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Mitarbeiter des Jüdischen Krankenhauses Berlin (JKB) nehmen an einer Demonstration vor dem Abgeordnetenhaus teil. Seit elf Tagen sind die Beschäftigten des JKB im unbefristeten Streik.

© dpa/Jörg Carstensen

Unbefristeter Pflege-Streik in Berlin: Belegschaft des Jüdischen Krankenhauses demonstriert vor Parlament

Die Arbeitgeberin hat der Gewerkschaft Verdi zum ersten Mal ein konkretes Angebot im Tarifkonflikt vorgelegt. Jetzt gehen die Verhandlungen weiter.

Es kommt Bewegung in den festgefahrenen Tarifstreit am Jüdischen Krankenhaus Berlin (JKB): Die Klinikführung legte der Gewerkschaft Verdi bei einem Sondierungsgespräch Anfang der Woche erstmals ein Gegenangebot zu dem Forderungskatalog der streikenden Belegschaft vor. Nach Tagesspiegel-Informationen nahm an diesem Treffen die Klinikchefin Brit Ismer zum ersten Mal persönlich teil. „Wir haben endlich Verhandlungsmasse“, sagte eine Betriebsrätin.

Donnerstagfrüh demonstrierten rund 100 Beschäftigte vor dem Berliner Abgeordnetenhaus, es ist der elfte Tag des Streiks des Gesundheitspersonals. „Heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag“, rief die Menge. Und: „TV-E fürs JKB!“ Die Belegschaft fordert einen Entlastungstarifvertrag (TV-E), der bei zu vielen überlastenden Diensten Freischichten für das Pflege- und Gesundheitspersonal vorsähe.

Wir wollen nach einem Arbeitstag mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass unsere Patienten so versorgt wurden, wie sie es verdient haben.

Gregor Engel, Pflegekraft und Mitglied der Tarifkommission

Gregor Engel, Pfleger und Mitglied der Tarifkommission, sagte auf der Kundgebung: „Wir wollen nach einem Arbeitstag mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass unsere Patienten so versorgt wurden, wie sie es verdient haben.“ Das sei aufgrund der schlechten Personalbesetzung auf den Stationen derzeit oft nicht möglich. Von einem TV-E profitierten sowohl die Belegschaft als auch die Patient:innen, argumentierte Engel.

Prominente Politiker unterstützen den Streik

Dirk Stettner, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, lobte die „gute Arbeit“ des Personals, wollte den Demonstrierenden aber keine Versprechungen machen. Er kündigte an, mit dem SPD-Koalitionspartner zu sprechen. „Wir wissen, dass es ein Problem gibt.“

Auch andere prominente Politiker:innen waren vor Ort, unter anderem Janine Wissler, Bundesvorsitzende der Linken, und Ricarda Lang, Bundesvorsitzende der Grünen. Beide nahmen nur teil und machten keine Redebeiträge. Die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus, Silke Gebel (Grüne), sagte zu den Streikenden: „Dass Würde und Wirtschaftlichkeit ein Widerspruch sind, ist für mich das Hauptproblem im derzeitigen Gesundheitssystem. Würde muss großgeschrieben werden, und dafür ist es richtig, dass ihr kämpft.“

Auch vor Ort: Ricarda Lang, Bundesvorsitzende der Grünen, und Janine Wissler, Bundesvorsitzende der Linken.
Auch vor Ort: Ricarda Lang, Bundesvorsitzende der Grünen, und Janine Wissler, Bundesvorsitzende der Linken.

© dpa/Jörg Carstensen

Tobias Schulze, gesundheitspolitischer Sprecher der Berliner Linken, sagte: „Die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem sind katastrophal, aber es gibt bisher keine Lösungen. Deswegen ist es wichtig, dass die Beschäftigten auf die Straße gehen und sich die Entlastung selber erkämpfen.“ Er wies auf die laufende Klage von 29 privaten, frei-gemeinnützigen und konfessionellen Krankenhäusern gegen den Berliner Senat hin; die Gruppe beanstandet, dass dieser die landeseigenen Vivantes-Kliniken unberechtigt finanziell bevorteile.

„Sollten die Kläger Erfolg haben, wäre Vivantes sofort pleite“, sagte Schulze. Er schlug vor, einen Fonds aufzusetzen, damit alle Berliner Kliniken ihren Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen bieten könnten – und nicht nur die landeseigenen. Vivantes und die Charité haben bereits Entlastungstarifverträge mit der Gewerkschaft Verdi abgeschlossen. Es gilt als offenes Geheimnis, dass der Senat mit den zusätzlichen Geldern indirekt bessere Arbeitsbedingungen an seinen eigenen Häusern herstellt.

Neues Bettenhaus statt gute Bezahlung?

Ein weiterer Kritikpunkt auf der Kundgebung betraf das gerade im Bau befindliche neue Bettenhaus des JKB. Dieses mindestens 60 Millionen Euro teure Bauvorhaben finanziert das Krankenhaus mithilfe eines Darlehens.

Eigentlich ist das Land verpflichtet, für Technik und Bauten der für die Versorgung als notwendig eingestuften Krankenhäuser aufzukommen. Dem kommt das Land nur unzureichend nach. Seit Jahren staut sich ein Defizit auf.

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Millionen Euro mehr könnte der Tarifvertrag das JKB kosten.

Pfleger Gregor Engel sagte, das für den Neubau aufgewendete Geld fehle jetzt an anderer Stelle. Das JKB sollte das eigene Personal ordentlich entlohnen, statt teuer zu bauen: „Jetzt haben wir bald über 100 neue Betten, dabei fehlt heute schon Personal, um den laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten.“

Nach der Kundgebung fuhr die Tarifkommission in den Wedding und setzte die Verhandlungen mit der Klinikführung über einen möglichen Tarifvertrag fort. Ursprünglich war der 22. Januar avisiert. Die Verdi-Gewerkschaftssekretärin Gisela Neunhöffer sagte dem Tagesspiegel, das Gegenangebot stelle sie nicht zufrieden. Einige Vorschläge seien schlechter als die bislang geltenden Regelungen. „Die Arbeitgeberin muss sich noch viel bewegen.“

Die Geschäftsführung des Krankenhauses hatte in dieser Woche ein Faktenblatt an mehrere Abgeordnete sowie den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und an Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) geschickt. Das Dokument liegt dem Tagesspiegel vor. Darin heißt es unter anderem, dass der von Verdi geforderte Tarifvertrag zusätzliche Kosten in Höhe von 15 Millionen Euro verursachen würde. Außerdem nimmt der Brief Stellung zu mehreren Aussagen von Verdi. Den Vorwurf, es gebe „patientengefährdende Arbeitsbedingungen“, weist die Klinikführung „auf das Entschiedendste zurück“.

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