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Die Gefahr durch russische Cyberattacken steigt auch in Berlin.

© Getty Images/iStockphoto

Update

Russische Cyberattacken und „Tik-Tokisierung“: Berliner Verfassungsschutz warnt vor wachsenden Bedrohungen

Der Berliner Verfassungsschutz stellt seinen Jahresbericht vor. Und warnt vor Fake-News-Kampagnen: Für russische Propaganda sei auch Berlin „von besonderem Interesse“.

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Der Berliner Verfassungsschutz warnt vor zunehmenden russischen Internet-Attacken und Kampagnen mit sogenannten Fake News. Die Bedrohungen durch russische Geheimdienste haben in Berlin infolge des Angriffskrieges auf die Ukraine zugenommen und sich verändert, heißt es im Jahresbericht des Verfassungsschutzes für 2022, der am Dienstag vorgelegt wurde.

Darin ist von neuen „hybriden Bedrohungen“ die Rede. Neben klassischer Spionage setzten die russischen Dienste Cyberattacken nicht nur zum Ausforschen ein, sondern um gezielt IT-Systeme zu beschädigen und lahmzulegen. Es bestehe eine „besondere Bedrohungslage für IT-Strukturen“ von Berliner Unternehmen und Behörden. Auch die Gefahr für die Energiewirtschaft und mit der Energieversorgung befasste politische Gremien sei gestiegen, ebenso die Gefahr von Sabotageakten gegen die Versorgungs- und Infrastruktur.

„Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat in mehrfacher Hinsicht direkte Auswirkungen auf die innere Sicherheit in Berlin“, sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Um der gewachsenen Bedrohung durch russische Spionage entgegenzutreten, „werden wir auch auf einen starken Verfassungsschutz angewiesen sein“.

Daneben versucht Russland laut Verfassungsschutzbericht, mit Desinformationskampagnen die Lage in Deutschland zu destabilisieren und Propaganda zum Krieg in der Ukraine zu verbreiten. Berlin sei dabei von besonderem Interesse für russische Stellen, heißt es im Bericht. Derlei trifft in Berlin in verschiedenen extremistischen Szenen teils auf fruchtbaren Boden. Für Rechtsextremisten war der Krieg das dominierende Thema, jedoch waren sie sich keinesfalls einig.

Der Ukrainekrieg beschäftigt die Extremisten

Die Partei „Der III. Weg“, die in Berlin zum dominierenden Akteur in der Szene geworden sei, habe sich pro Ukraine positioniert und stehe in der Tradition der NS-Lebensraumpolitik. Die Ukraine sei für sie Teil des „weißen Europas“, der im Kampf gegen ein „raumfremdes Vielvölkerimpe­rium“ verteidigt werden müsse.

Für Teile der NPD und andere rechte Gruppen ist Russland hingegen ein Verbündeter gegen den Westen und seine Werte. Der Verfassungsschutz warnt zudem davor, dass Rechtsextremisten am Krieg teilnehmen. Es bestehe die Gefahr, „dass Rechtsextremisten an Waffen und Sprengstoff ausgebildet und in militärischen Taktiken geschult werden“. Zudem versuchten Rechtsextreme die Folgen des Kriegs für Deutschland und der Sanktionen gegen Russland für sich zu nutzen, etwa den Kostenanstieg.

Reichsbürger und sogenannten Selbstverwalter verhalten sich laut Verfassungsschutz überwiegend pro-russisch und vermischten russische Propaganda mit eigene verfassungsfeindlichen Positionen. Aus ihrer Sicht ist die USA ein Besatzer und Russland eine Schutzmacht. Zudem verbreiten sie russische Desinformation und Propaganda, wonach in Deutschland Volksaufstände wegen steigender Lebenshaltungskosten drohten. Auch die im Zuge der Corona-Krise entstandenen Gruppe der Staatsdelegitimierer seien zumeist pro-russisch, bereits bei den Protesten gegen die Pandemiemaßnahmen hatten sie russische Desinformationen verbreitet.

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Bei den Islamisten in Berlin war der Ukraine-Krieg weniger präsent. Zwar hatte die Terrormiliz „Islamischer Staat“ dazu aufgerufen, den Ukraine-Krieg für Attentate in Europa zu nutzen. Doch „konkrete Reaktionen der islamistischen Szene in Berlin erfolgten darauf nicht“, heißt es im Bericht. Eine größere Rolle habe der Krieg in der „Islamistischen Nordkaukasischen Szene“ gespielt, dabei geht es vor allem um den Tschetschenien-Konflikt. Hier verläuft in Berlin die Linie zwischen Anhängern des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow und jihad-salafistischen Tschetschenen, die pro-ukrainisch sind. Andere islamistische Gruppen in Berlin nutzen laut Verfassungsschutz den Ukraine-Krieg etwa für ihre Anti-Israel-Propaganda.

In der linksextremistischen Szene gibt es keine einheitliche Haltung zum Krieg. „Auf der einen Seite wurde Russland als Aggressor gebrandmarkt. Auf der anderen Seite wurden potenzielle Reaktionen der NATO sowie Waffenlieferungen an die Ukraine und eine geplante Aufrüstung der Bundeswehr scharf kritisiert“, heißt es vom Verfassungsschutz. Linksextreme nehmen laut Nachrichtendienst vermehrt Rüstungs- und Logistikunternehmen und die Bundeswehr ins Visier. Der Szene wird als Protestaktion gegen Rüstungsexporte ein Anschlag auf Kabelschächte der Bahn im März 2022 zugerechnet, aber ebenso Angriffe auf die Gasprom-Zentrale und die russische Botschaft.

Steht bald auch die AfD im Berliner Verfassungsschutzbericht

Das Personenpotenzial der Extremisten in Berlin blieb 2022 weitgehend stabil. 1450 Rechtsextremisten wurden gezählt, davon sind 770 als gewaltbereit eingestuft – ein leichter Anstieg. Die Zahl der Reichsbürger und Selbstverwalter stieg um 30 auf 700. Davon sind 150 auch rechtsextremistisch.

Das Potenzial der Islamisten und Salafisten bleibt mit 2270 Personen nahezu unverändert, die Zahl gewaltbereiter Islamisten sank von 450 auf 350. Das sei aber kein Grund für Entwarnung, hieß es. Einzig die Linksextremisten haben hundert Anhänger verloren, sie bleiben jedoch mit 3700 die stärkte Gruppe. Auch die Zahl gewaltbereiter Linksextremisten sank von 950 auf 850 Personen.

Ein neuer Trend ist die „Tik-Tokisierung“. Über das soziale Netzwerk TikTok versuchen laut Verfassungsschutz vor allem Salafisten, Anhänger zu finden. Kurze Videos dienten Predigern als Köder, um Jugendliche anzusprechen. Meist geht es darin um Fragen, was nach islamischen Recht erlaubt und nicht erlaubt ist. Die „Tik-Tokisierung“ sei mittlerweile in allen extremistischen Bereichen zu beobachten, heißt es vom Verfassungsschutz.

„Wir brauchen eine wehrhafte Demokratie, die wird von unterschiedlichen Stellen angegriffen, das ist so“, sagte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU). „Dieser Bericht zeigt mir einmal mehr, wie wichtig der Verfassungsschutz in Berlin ist und wir auch einen starken Verfassungsschutz brauchen.“ Es brauche Frühwarnsysteme und ein enges Zusammenspiel mit den Sicherheitsbehörden.

Bald könnte auch die AfD in Berlin im Verfassungsschutzbericht auftauchen. Im Bund und in anderen Bundesländern wird die AfD bereits als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt und kann mit nachrichtendienstlichen Mittel beobachtet werden. Doch der Berliner Verfassungsschutz darf bislang nichts über Verdachtsfälle sagen, auch nicht, ob die AfD in Berlin einer ist – selbst wenn vieles dafür spricht. Daher will die schwarz-rote Koalition das Gesetz ändern und „eine Ermächtigung für die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Verdachtsfälle“ einführen.

„Es eint Extremisten, dass sie politische Krisen für sich nutzen und mit den Ängsten der Menschen spielen, um unsere Demokratie zu destabilisieren. Mitten in Europa herrscht ein Krieg“, sagte der Landesvize der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Stephan Kelm. Der Krieg stelle die Gesellschaft durch die wachsende Inflation neben der ohnehin schon präsenten Migration nach Deutschland vor Aufgaben, auf die es selten schnelle und einfache Antworten gebe.

„Die damit verbundenen existenziellen Sorgen bieten einen Nährboden für Demagogen und staatsgefährdende Ideologien, denen wir uns tagtäglich entgegenstellen müssen, da sie unser Zusammenleben mehr als alles andere gefährden“, sagte Kelm. Er forderte die bestmögliche technische Vernetzung der Sicherheitsbehörden, rechtsstaatliche Grundlagen für die Ausweitung der sogenannte Quellen-TKÜ an Handy und eine Harmonisierung der Polizei- und Versammlungsgesetze.

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