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Teil der „Flussgeschichten“ war eine Installation im Naturhafen Raddusch.

© Klemens Czurda

Wenn der Fluss spricht: Die Spree und ihre ungewisse Zukunft

Die Spree wird bald weniger Wasser führen und die Anrainer fürchten schon heute die Konkurrenz um die Ressource. Die Forschung dazu materialisierte sich nun in einer Kunstaktion. 

Mit dem Spreewaldkahn fährt man nicht alle Tage bis nach Berlin. Doch ein Kubikmeter handgeschöpftes Hafenwasser hat sich im Oktober auf diese ungewöhnliche Reise begeben. In einem Glasbecken fuhr es vom Spreewaldort Raddusch bis zum Holzmarkt 25, wo derzeit ein Teil der Berlin Science Week stattfindet. Zwei Tage dauerte die Fahrt. 

Die Aktion ist Teil von „Flussgeschichten“ – eines Experiments, das Wissenschaft und Performancekunst vereint. „Das sind auch neue Wege, Wissenschaftskommunikation auszuprobieren“, erklärt Projektkoordinatorin Pauline Münch. Kommunizieren möchte ein Berliner Forschungskonsortium namens „Cliwac“, das die Folgen des Struktur- und Klimawandels in Berlin und Brandenburg auf das Wasser erforscht. 

Der Fluss bekommt eine Stimme

Und so transportierte die Spree – die Akteurin, um die sich alles dreht – neben dem symbolischen Glasbecken mit gelblichem Wasser und Entengrütze auch eine Reihe weiterer Kunstwerke in die Hauptstadt. Darunter Klänge des Flusses und seiner tierischen Bewohner, die im Spreewald mit dem Mikrofon aufgezeichnet wurden sowie Audionachrichten, Bilder und Briefe, die die Lausitzer Bevölkerung an die Spree richtete. Die Flussfahrt selbst wurde filmisch dokumentiert. Eine Audioinstallation lud dazu ein, selbst gedanklich ein Teil der Spree zu werden. 

Diese Botschaften und Werke sind im ersten Teil des Events entstanden, das im September in Raddusch stattfand. Der Fluss wird in den Werken personifiziert: „Wenn die Spree selbst als Akteurin wahrgenommen wird, spricht in diesem großen Interessensausgleich auch das Wasser selbst“, sagt Schauspieler und Dramaturg Maximilian Grünewald. Er hat das künstlerische Konzept hinter den „Flussgeschichten“ erarbeitet. 

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Keimzelle für das Kunstprojekt ist anthropologische Forschung, die in der Lausitz Perspektiven und Zukunftsvorstellungen zu Umweltveränderungen und der drohenden Wasserkrise aufzeichnet. Mit den vielen Bedürfnissen, die der Fluss erfüllen soll.

Interessen prallen aufeinander

Ansprüche verschiedener Interessengruppen an die Spree gibt es nämlich viele. Ihr wird infolge des Kohleausstiegs spätestens 2038 über die Hälfte ihres Volumens ausgehen, weil dann das Sümpfungswasser aus dem Bergbau fehlt. Die Anrainer fürchten schon jetzt die Konkurrenz um die Ressource. 

„Nur weil die Berliner sich ihre Füße waschen wollen, können sie uns den Spreewald nicht trocken legen“, sei so eine spitze Bemerkung, mit der ein Radduscher die Lage kommentiert hätte, sagt Münch. Denn der zukünftige Wassermangel bedroht nicht nur die einzigartige Naturlandschaft im Süden Brandenburgs, die Erholungsraum für neun Millionen Touristen pro Jahr ist und wegen seiner Moore als klimarelevanter Kohlenstoffspeicher gilt. Auch die Trinkwasserversorgung Berlins wird beeinträchtigt. Der Fluss ist zum Politikum geworden. 

Es könne helfen, dem Fluss im Sinne einer Demokratisierung eine eigene Stimme zu geben, anstatt die Natur nur als eine auszubeutende Ressource zu betrachten, sagt Grünewald. Er plädiert für „unkonventionelle Lösungsansätze“ für wicked problems: vertrackte, geradezu bösartige Probleme, für die es keine einfachen Lösungen gibt. „Und die auch vor allem aus menschlicher Perspektive allein nicht geklärt werden können.“

Künstler:innen wie er würden „Räume schaffen, wo auch Wissenschaftler:innen ihr eigenes Forschungsobjekt in einer Art von Introspektive auch nochmal anders wahrnehmen können.“ Gerade interdisziplinäre Projekte hätten beim Austausch zwischen den Disziplinen typische Probleme, die Kunst überwinden helfen könne. „Zwischen naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Betrachtung gibt es eine ganz große Notwendigkeit zusammenzuarbeiten“, sagt Grünewald.

Was bringt das alles?

Doch sind nicht alle Kunstwerke dem flüchtigen Betrachter unmittelbar zugänglich: Sie können als abgehoben wahrgenommen werden, in denen Außenstehende die Kultur der Region missverstehen oder sogar exotisieren.

Lagerfeuergeschichten: Eine Performance befasste sich mit den Ursprungsmythen von Spreewald und Spree.
Lagerfeuergeschichten: Eine Performance befasste sich mit den Ursprungsmythen von Spreewald und Spree.

© Tagesspiegel/Susanne Ballaschk

Reichweite und Nutzen von solchen Projekten sind naturgemäß beschränkt. Sie bergen zudem immer die Gefahr, wenig nachhaltig zu sein: Irgendwann läuft die Finanzierung aus. Akademisch wäre das Thema abgeschlossen, alle Publikationen geschrieben und alle Ausstellungen beendet. Die Bewohner der Region müssen sich aber über Jahrzehnte weiter damit auseinandersetzen. 

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel bemängelt ein Anwohner die kurzfristige Werbung für das Performance-Event in Raddusch. So waren zu manchen Zeiten fast nur Projektbeteiligte zugegen. Vor Ort sei man zunächst skeptisch gewesen, sagt auch Grünewald. Doch nachdem man das anfängliche Misstrauen überwunden gehabt hätte, wären viele fruchtbare Gespräche entstanden – mit den Leuten „die sich mehr als fünf Minuten Zeit genommen haben.“

Sind nun Ressourcen in Form des gesammelten Materials und Forschungsinhalten nur in eine Richtung abgeflossen, nämlich nach Berlin? Nein, den Kontakt mit den Einwohnern wolle man halten, so die Projektbeteiligten: Es ist ein weiteres Treffen mit Radduschern geplant, Teile der Ausstellung gehen zurück in den Spreewaldhafen und es sollen Schautafeln gestaltet werden. Das Forschungsprojekt an sich geht ohnehin weiter. „Wir werden auch das Wasser im Aquarium zurückbringen“, sagt Grünewald. „Das ist nur eine Leihgabe.“

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