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Vogelperspektive: Von oben sieht man nicht den Einzelnen in der Bevölkerung.

© Getty Images/iStockphoto

Vielfalt der Lebensentwürfe: Neue Forschung für mehr Ordnung im Wimmelbild

Die Gesellschaft wird immer älter und die Kernfamilie ist nur eine vieler Konstellationen. Was die Vielfalt an Lebensmodellen fürs Gesamtsystem bedeutet, soll ein neues Berliner Forschungszentrum ergründen.

Eine Trennung gehört, für die allermeisten, zum Leben wie die Liebe. Doch ein Blick auf die Statistiken verrät, dass solche Ereignisse einen variierenden Impact auf den weiteren Lebensverlauf haben: je nachdem, wer sich trennt, mit welchem Vermögen, welcher Gesundheit und in welchem Alter. Lebensläufe, neue Familienkonstellationen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen: All das soll am neuen Berliner Einstein Center Population Diversity (ECPD) untersucht werden, das im April seine Arbeit aufgenommen hat. Experten aus Medizin, Soziologie, Psychologie und Demografie wollen hier gemeinsam erforschen, wie unterschiedliche Familienmodelle und Lebensformen mit Aspekten wie Gesundheit, sozialer Ungleichheit und Bildung zusammenhängen.

Im Mittelpunkt stehen die unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens, die es neben dem traditionellen Familienmodell heute gibt: Alleinerziehende, geschiedene oder getrennte Beziehungen, die wieder zu einer neuen „Patchworkfamilie“ zusammenkommen, Regenbogenfamilien, Paare mit einem Kind oder Lebenspartner, die gewollt oder ungewollt kinderlos bleiben. Aber auch um Zuwanderung und die Folgen der steigenden Lebenserwartung soll es gehen.

Das Neue an dem Großvorhaben ist laut Paul Gellert, dem Direktor des Zentrums, „biomedizinische und sozialwissenschaftliche Daten zusammenzubringen“. Gellert selbst ist Gesundheitspsychologe an der Charité mit einem Schwerpunkt auf dem Altern. Am Einstein-Zentrum werde es unter anderem um die mentale Gesundheit von Familien gehen, erklärt er.

Ein Weg, um der mentalen und körperlichen Gesundheit nachzuspüren, sind in der Biomedizin zum Beispiel sogenannte Biomarker. Durch sie kann man Prozesse und Krankheitszustände im Körper messen – etwa chronische Entzündungswerte oder das Cortisol-Level im Blut, das anzeigt, wie gestresst jemand ist. An genetischen Profilen lassen sich zudem Risikofaktoren ausmachen, etwa für Einsamkeit oder Depressivität.

Mit Biomarkern und Bürgergesprächen

Ein weiterer Fokus ist alternde Gesellschaft mit all ihren Herausforderungen. Die Forschenden wollen einen genauen Blick auf die „Babyboomer“ werfen, jene geburtenstarken Jahrgänge, die in den nächsten Jahren in Rente gehen. Eine Generation, die im Vergleich zu vorhergehenden Jahrgängen weit häufiger Trennungen und Scheidungen erlebt hat und sich auch erstmals vermehrt noch im höheren Alter ab 55 Jahren trennt.

„Scheidung und Trennung sind Lebensereignisse, die einen klaren Einfluss auf Gesundheit und Armutsrisiko haben“, sagt Michaela Kreyenfeld, Soziologin an der Hertie School und Co-Direktorin des ECPD. Wenn der Partner oder die Partnerin wegfallen, die – wie man weiß –, normalerweise die ersten sind, die sich bei Pflegebedürftigkeit um den anderen kümmern, müssen mehr Menschen professionell gepflegt werden.

Paul Gellert, Gesundheitspsychologe, und Michaela Kreyenfeld, Soziologin, vom neuen Einstein Center for Population Diversity in Berlin.

© Tom Louis Klein

Scheidungen und Trennungen bedeuten für Frauen, die während der Ehe weniger oder gar nicht gearbeitet haben, erhebliche Verluste bei der Rente. Das gilt im besonderen Maße für unverheiratete Frauen, die nach der Geburt von Kindern weniger oder gar nicht erwerbstätig waren. „Aber auch geschiedene Männer waren bisher zu wenig auf dem Radar“, sagt Kreyenfeld. „Auch für sie sind Trennungen und Scheidungen ein Risikofaktor im Alter.“ Womöglich brauche es sozialpolitische Reformen, um neue Risikogruppen abzufedern.

Wie sich ein Beziehungsende auf die Gesundheit auswirken kann, soll genauer erforscht werden. So weiß man schon, dass Frauen danach eher an Depressionen leiden, Männer dagegen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Um Ordnung ins Wimmelbild der deutschen Bevölkerung zu bringen, wollen die Forschenden große Datensätze auswerten – Registerdaten der Rentenversicherung, Längsschnittdaten des Sozio-oekonomischen Panels oder aus Schweden und Finnland. Zudem werden sie mit Bürgern und Bürgerinnen ins Gespräch kommen. Im Rahmen eines „Real World Lab“ laden sie Menschen ein, darüber zu sprechen, was für sie Familie bedeutet.

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