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Legehennen

© dpa/Julian Stratenschulte

Viele Hühner auf engstem Raum: Wie ein harmloses Virus besonders gefährlich wurde

Sars-CoV-2, Ebola, Mpox: Werden Krankheitserreger mit der Zeit aggressiver oder harmloser? Und wovon hängt das ab? Für ein gängiges Geflügel-Virus rekonstruiert eine Studie nun die Entwicklung über 1000 Jahre.

Von Walter Willems, dpa

Der Erreger einer gängigen und weltweit verbreiteten Viruserkrankung von Hühnern hat seine verheerende Wirkung erst mit der Massentierhaltung Mitte des 20. Jahrhunderts erlangt.

Das schließt ein internationales Forschungsteam im Fachblatt „Science“ aus genetischen Analysen von bis zu 1000 Jahre alten Überresten des Marek-Virus (MDV). Demnach nimmt generell bei Krankheitserregern die Umwelt entscheidenden Einfluss sowohl auf die Ausbreitung dieser Pathogene als auch auf ihre Virulenz – also auf die Schwere der von ihnen verursachten Krankheiten.


Anhäufung von Mutationen auf engstem Raum

Die hochansteckende Marek-Krankheit ist eine Erkrankung von Hühnern, die 1907 in Ungarn erstmals beschrieben wurde. Damals galt sie als relativ harmlose Infektion, die allenfalls ältere Hühner krank machte. Inzwischen verursacht das Marek-Virus bei Hühnern häufig bösartige Tumoren. Die Bekämpfung der in Deutschland meldepflichtigen Krankheit etwa durch Impfungen kostet die Geflügelindustrie weltweit mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr, schreiben nun die Autoren einer aktuellen Studie.

In früheren Jahrhunderten hatten aggressive Varianten in kleinen und lokal isolierten Hühnerpopulationen eher für ihr eigenes Aussterben gesorgt. In der Massentierhaltung könnten sie sich dagegen verstärkt ausbreiten und mit der schnellen Folge von Übertragungen eher Mutationen anhäufen, erläutert Sebastian Duchene vom Pariser Institut Pasteur in einem „Science“-Kommentar. Die Massentierhaltung erhöhe demnach nicht nur die Zahl neuer Mutationen, sondern begünstige auch, dass sich besonders aggressive Varianten des Virus weiterverbreiten konnten.


Impfstoffe verhinderten nicht die Ausbreitung

Das gilt etwa für Stämme mit dem krebserregenden Gen „Meq“. Das Forschungsteam um Steven Fiddaman von der Universität Oxford baute in der Studie alte und moderne Formen dieses Gens nach und testete sie in Zellen im Labor. Das Ergebnis: Im Gegensatz zu den neuen Varianten waren die alten Virenstämme wahrscheinlich nicht dazu in der Lage, Tumoren zu verursachen.

Die Autoren vermuten, dass die steigende Aggressivität der Erreger nicht nur auf die Zunahme der weltweiten Hühnerpopulationen zurückzuführen ist, sondern auch auf die Verwendung bestimmter Impfstoffe: Jene hätten zwar symptomatische Erkrankungen verhindert, aber die Übertragung des Virus nicht unterbunden, was wahrscheinlich zu einer beschleunigten Evolution der Virulenz führte.

Um die Entwicklung des Erregers zu rekonstruieren, hatte das Team Virengenome aus bis zu 1000 Jahre alten Hühnerknochen aus 140 archäologischen Stätten in Europa und dem Nahen Osten analysiert. „Unsere Daten zeigen, dass das Virus mindestens 1000 Jahre vor der ersten Beschreibung der Krankheit im Jahr 1907 bereits weit verbreitet war“, sagt einer der Studienleiter, Laurent Frantz von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Gefährlichkeit entwickelte es demnach erst mit dem drastischen Anstieg der Hühnerhaltung in den 1950er und 1960er Jahren.

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