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Zeichnung eines Steinwerkzeugs und seinem Griff aus Bitumen-Knete.

© Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Illustration: Daniela Greinert.

Schlauer als gedacht: Neandertaler konnten lange im Voraus planen

Als Neandertaler einen Zweikomponentenklebstoff entwickelten, bewiesen sie damit ein hohes Maß an kognitiven Fähigkeiten. Damit sind sie uns noch ähnlicher als bislang vermutet.

Die Neandertaler – sie waren wohl intelligente Wesen wie du und ich. Dabei hätte man vor 15 Jahren noch geglaubt, dass sie nicht einmal sprechen konnten, erzählt Ewa Dutkiewicz, Steinzeitkuratorin am Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin.

Doch nun hat sie in einer Studie zusammen mit dem Forscher Patrick Schmidt von der Universität Tübingen nachgewiesen, dass Neandertaler aus Le Moustier in der südwestfranzösischen Dordogne einen Zweikomponentenkleber entwickelt hatten. Die Rohstoffe trugen sie vor 40.000 Jahren aus weit entfernten Orten zusammen. Mit dem Material befestigten sie Griffe an scharfen Feuersteinklingen.

Fundgrube in Westfrankreich

Wie kam es zu dieser Entdeckung? Alles begann, als der Schweizer Privatgelehrte Otto Hauser 1907 das Skelett eines Neandertalers unter einem der Felsüberhänge am Fundort Le Moustier ausgrub. Die Höhle hatten Neandertaler schon 120.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung genutzt. Die jetzt untersuchten Funde stammen aus der jüngsten, etwa 40.000 Jahre alten Schicht. Über seine Witwe seien Teile der „Hauser-Sammlung“ vor rund 100 Jahren ins Berliner Museum gekommen, wo sie gepflegt und einzeln verpackt 60 Jahre lang unberührt lagen.

Erst als der Student Gunther Möller vor zwei Jahren ein Thema für seine Bachelor-Arbeit suchte, wurden die 280 Artefakte der Sammlung erstmals untersucht. Möller fielen bei einigen Stücken ockerfarbene Sedimentreste auf, die immer quer über die Klinge liefen. „Das waren keine zufälligen Spuren“, sagt Dutkiewicz. „Es sah ganz so aus, als sei der Ocker mit etwas gemischt worden, aber das musste man genauer untersuchen.“

Ihr Kollege Schmidt kam aus Tübingen nach Berlin, um sich die Objekte genauer anzusehen. Der Ocker, ein eisenhaltiges Mineraliengemisch, war leicht zu analysieren, aber worin war er eingearbeitet? Von einem zwei Millimeter großen Stück der unbekannten Masse nahm er einen Millimeter mit nach Tübingen – gerade groß genug, um es naturwissenschaftlich zu untersuchen.

Es stinkt und klebt an den Händen

Leider blieb die Gaschromatographie in Strasbourg ohne eindeutiges Ergebnis, da zu wenig organisches Material in der Probe enthalten war. Chemisch deutete nichts auf pflanzliche Harze oder Teere hin. Die Forschenden verdächtigten jedoch Bitumen, eine schwarze, zähflüssige Masse, die ähnlich wie Erdöl tief im Boden entsteht und an der Luft fest werden kann – es „ist eine Katastrophe, es stinkt, ist flüssig und klebt an den Händen“, sagt Dutkiewicz. Im französischen Zentralmassiv-Gebirge existieren davon Lagerstätten, die allerdings 200 Kilometer von der Le-Moustier-Stätte entfernt sind.

Das Steinartefakt aus dem oberen Felsüberhang der Neandertaler-Fundstelle Le Moustier. An einer Kante stand so viel Material über, dass eine Beprobung möglich war.
Das Steinartefakt aus dem oberen Felsüberhang der Neandertaler-Fundstelle Le Moustier. An einer Kante stand so viel Material über, dass eine Beprobung möglich war.

© Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Foto: Gunther Möller

Schmidt habe mit Bitumen und Ocker experimentiert und Ockerpulver schrittweise wie Mehl einem Kuchenteig zugegeben. Schließlich erhielt er bei einem Anteil von 55 Prozent eine formbare Masse, die nicht an der Hand klebt und trotzdem als Griff eine Klinge halten kann. Nun war es möglich, die scharfen Steinklingen mit größerer Kraft zu nutzen, ohne sich dabei zu verletzen.

Die nächste natürliche Quelle für Ocker liegt etwa 50 Kilometer von Le Moustier entfernt. Also organisierten die Neandertaler, die als Jäger und Sammler in einem Umkreis von 500 Kilometern unterwegs waren, das Sammeln von Bitumen und Ocker von zwei verschiedenen Orten.

„Das setzt eine große Planung weit in die Zukunft und kognitive Fähigkeiten voraus, die ihn zum Menschen machen“, sagt Dutkiewicz. Bisher war lediglich vom Homo sapiens bekannt, dass dieser im südlichen Afrika zur gleichen Zeit einen ähnlichen Klebstoff aus Ocker und Baumharzen entwickelt hatte.

Die Entdeckung wäre nicht möglich gewesen, wären die Objekte der Sammlung Hauser von vor 100 Jahren nicht sorgsam aufbewahrt worden. Dies zeige den Wert archäologischer Sammlungen in Museen für aktuelle und künftige Forschung, sagen die Forschenden. Daher hätten sie auch ein Millimeter der klebrigen Masse für kommende Untersuchungen auf dem Steingerät belassen. Ewa Dutkiewicz schließt nicht aus, dass dieses Ergebnis eine Initialzündung für weitere Forschungen in anderen Sammlungen sein könnte.

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