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Viel Platz. Kühe auf einer Weide in Sachsen.

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Tierwohl in der Landwirtschaft: Mehr Auslauf und weniger Schmerzen

Wie lebt die Kuh, wie geht's dem Schwein? Das wird für Konsumenten immer wichtiger. Doch das Landwirtschaftsministerium agiert in Sachen Tierwohl zögerlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ralf Nestler

Tiere essen? Diese Frage beantworten 93 Prozent der Deutschen mit ja, weitgehend unverändert über die vergangenen drei Jahre und damit allen vermeintlichen Ernährungstrends zum Trotz. Allerdings wird den Fleischessern zunehmend wichtig, unter welchen Bedingungen ihr Essen vor dem Schlachten gehalten wird. Wenngleich es hier noch erkleckliche Unterschiede gibt zwischen dem, was diesbezüglich in Umfragen geäußert wird und dem, was jeder Einzelne beim Einkauf tut oder lässt.

Dennoch ist Tierwohl inzwischen ein Gewinnerthema. Aber nicht für das Bundeslandwirtschaftsministerium. Erst vor wenigen Tagen irritierte es mit einer Stellungnahme zur Forderung des Bundesrates, die ganzjährige Anbindehaltung von Rindern zu verbieten. Bei Jungtieren bis zu sechs Monaten ist sie bereits verboten, für ältere Tiere gibt es jedoch keine Regelung. In neu errichteten und renovierten Ställen gibt es Platz und Auslauf, in älteren Betrieben ist es aber üblich, Rinder – zumindest zeitweise – festzumachen. Das ist übrigens auch in Bio-Betrieben erlaubt, wenn sie weniger als 20 Tiere (in Bayern und Baden-Württemberg 30) halten.

Kühe brauchen Auslauf und Kontakt zu den anderen Tieren

Eine Diskussion über „artgerechte“ Haltung ist bei Nutztieren so eine Sache. Sie sind derart hochgezüchtet, dass sie in freier Natur nicht lange überleben dürften. Der Begriff „Tierwohl“ trifft es besser. Experten sind sich einig darüber, dass Kühe Auslauf brauchen, Kontakt zu den anderen Tieren, und auch Platz, um sich bei Konflikten aus dem Weg gehen zu können. Das Fixieren gehört nicht dazu. Selbst das Landwirtschaftsministerium, das Tierwohl und wirtschaftliche Interessen der Halter gegeneinander abzuwägen versteht, kommt in seiner aktuellen Stellungnahme zu dem Schluss, dass „eine dauerhafte Anbindehaltung von Rindern über sechs Monaten langfristig nicht mehr praktiziert werden sollte“.

Umso erstaunlicher ist es, dass der Vorstoß des Bundesrates, trotz einer üppigen Übergangszeit von zwölf Jahren, abgebügelt wird. Das von Christian Schmidt (CSU) geführte Ressort befürchtet, dass eine solche Regelung „mittelbar zu einer Beschleunigung des Strukturwandels und zu einer erheblichen Belastung kleinerer und mittelständischer (Nebenerwerbs-)betriebe führen würde“. Auf Deutsch: Wer nicht umbaut, muss schließen.

20 Millionen Ferkel werden jedes Jahr kastriert

Das klingt schmerzhaft, ist aber unausweichlich. Und zudem durch die Argumentation des Ministers gedeckt, der mit seiner Tierwohl-Initiative Deutschland zum „Trendsetter“ bei dem Thema machen will. Das Tempo machen aber andere, etwa die großen Handelsketten. Laut Gesetz ist es ab 2019 verboten, Ferkel ohne Betäubung und Schmerzausschaltung zu kastrieren: Eine Maßnahme, die jährlich an 20 Millionen Ferkeln hierzulande vorgenommen wird, um später einen unangenehmen Geruch im Fleisch zu vermeiden. Rewe, Edeka Südwest und Aldi wollen den Stichtag nun auf den 1. Januar 2017 vorziehen.

Die Zeit ist knapp, denn es gibt keine ausgereifte Methode, um mit wenig Schmerz den Weg zum Eber zu beenden. Drei Verfahren sind in der engeren Auswahl. Erstens: Operative Kastration mit Ketamin-Narkose – sie ist bei jungen Tieren schwer zu dosieren und sie schlafen sehr lange, verpassen dadurch wichtige Mahlzeiten. Zweitens: Inhalationsnarkose mit Isofluran – das Mittel ist für lebensmittelliefernde Tiere bisher nicht zugelassen und es gibt keine Informationen zu Rückständen im Körper, wie Inge Böhne vom Fachausschuss Schweine der Bundestierärztekammer erläutert. Auch die Atemmasken seien noch nicht gut. In einer Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover hat ein Viertel der Schweine nicht richtig geschlafen. Drittens gibt es eine Impfung, die das Immunsystem so anregt, dass über mehrere Zwischenschritte die Produktion von Testosteron unterdrückt wird und es damit nicht zur Entwicklung des unerwünschten Ebergeruchs kommt. Für diese Immunokastration sind zwei Spritzen nötig: im Ferkelalter und drei Wochen vor dem Schlachten. Sie wirkt aber nicht bei allen, es gibt in wenigen Fällen „Impfversager“.

Halter sorgen sich, ob die Konsumenten die Mehrkosten tragen

Länger zu warten wäre dennoch falsch, findet die Veterinärin Böhne. „Wir müssen endlich anfangen und Erfahrungen sammeln, dann wird sich zeigen, welches Verfahren das beste ist.“ Das sähen viele Landwirte genauso. Sie wollten mehr fürs Tierwohl tun, sorgten sich aber, ob die Kunden die Mehrkosten tragen.

Wenn solche Maßnahmen zum Tierschutz gesetzlich festgeschrieben werden, würden klare Verhältnisse herrschen – für Halter und für Konsumenten.

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