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Massenhaft unkontrolliert: In der Geflügelzucht verbreiten sich Erreger schnell. Medikamente können nur größeren Gruppen von Tieren verabreicht werden. Der ungezielte Einsatz fördert die Entstehung multiresistenter Keime.

© branex/ Fotolia

Tierseuchen: Im Kampf gegen resistente Bakterien

Forscher der Freien Universität Berlin wollen die Verbreitung von multiresistenten Erregern in der Tierhaltung eindämmen.

Als Mitte des 20. Jahrhunderts mit Penicillin das erste Antibiotikum entwickelt wurde, waren die Erwartungen groß: Der neue Wirkstoff konnte gefährliche Bakterien abtöten, und eine Therapie bis dahin schwer behandelbarer Krankheiten war möglich. Doch die zu bekämpfenden Bakterien entwickelten in den vergangenen 60 Jahren Resistenzen; Antibiotika verloren so ihre Kraft. Inzwischen gibt es sowohl in der Human-, als auch der Veterinärmedizin Bakterien, die eine Vielzahl von antimikrobiellen Resistenzen aufweisen. Forscherinnen und Forscher am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität entwickeln derzeit Methoden, mit denen die Entstehung und Ausbreitung solcher multiresistenter Keime in der Tierhaltung eingedämmt werden sollen.

Ab wann gilt ein Keim eigentlich als multiresistent? „Als Faustregel gilt, dass multiresistente Bakterien gegenüber mindestens drei unterschiedlichen Klassen von antimikrobiellen Wirkstoffen resistent sind“, sagt Stefan Schwarz, Professor für Mikrobiologie und seit Oktober 2016 Leiter des Instituts für Mikrobiologie und Tierseuchen der Freien Universität, „wobei für diese Klassifizierung nur die erworbenen Resistenzen zählen.“ Neben erworbenen Resistenzen gibt es auch natürliche Resistenzen, die sich aus der Struktur oder dem Stoffwechsel der jeweiligen Bakterien herleiten. So sind Bakterien, die keine Zellwand besitzen, immer natürlich resistent gegenüber Wirkstoffen, die die Bildung einer Zellwand hemmen.

Ursachen für die Entstehung multiresistenter Keime sind falsche Medikamenteneinnahme und unsachgemäße Verschreibungen bei Menschen und Tieren. Früher wurden antimikrobielle Wirkstoffe in der Tierzucht nicht nur zur Bekämpfung von Krankheiten, sondern auch zur Leistungssteigerung eingesetzt. Das ist aber seit 2006 EU-weit verboten. Antibiotika sind bei Tieren immer verschreibungspflichtig und müssen vom Tierarzt verordnet werden. „Man sollte beim Einsatz darauf achten, dass der Wirkstoff möglichst eng auf den zu bekämpfenden Erreger zugeschnitten und durch ein Antibiogramm abgesichert ist“, sagt Stefan Schwarz. Dazu werden bei den betroffenen Tieren Proben genommen und die darin enthaltenen Bakterien isoliert. Daraus lässt sich schließen, welche Bakterien für die Erkrankung verantwortlich sind. Von diesen Bakterien werden dann die sogenannten Antibiogramme erstellt, die Auskunft darüber geben, gegenüber welchen Wirkstoffen die Bakterien empfindlich oder resistent sind. „Eine solche passgenaue Diagnose trägt dazu bei, das Entstehungsrisiko von multiresistenten Keimen zu reduzieren, weil Antibiotika gezielter eingesetzt werden können“, sagt Schwarz.

Resistente Keime verhindern - von der Brut bis zur Schlachtung

Je nach Tierart und Herdengröße müssen Antibiotika in der Tiermedizin unterschiedlich verabreicht werden. Während bei Hunden, Katzen und Pferden, aber auch bei Zuchtschweinen und -rindern die Therapie eines einzelnen Tieres möglich ist, werden Mastputen und -hähnchen die Medikamente über Futter und Wasser kollektiv verabreicht. „Die individuelle Medikation eines einzelnen Tieres ist bei mehreren tausend Tieren in einem Stall nicht umsetzbar“, sagt Schwarz. Bei der Geflügelhaltung werden allein dadurch, dass viele Tiere auf engem Raum zusammenleben, im Vergleich zur Schweine- und Rinderhaltung immer noch sehr viel mehr Keime von Tier zu Tier übertragen.

Aus diesem Grund ist der Forschungsverbund EsRAM ins Leben gerufen worden. EsRAM steht für „Entwicklung stufenübergreifender Reduktionsmaßnahmen für antibiotikaresistente Erreger beim Mastgeflügel“. Es ist eine vom Institut für Tier- und Umwelthygiene an der Freien Universität koordinierte Kooperation mit der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Universität Leipzig, dem Leibniz-Institut für Agrartechnik Potsdam-Bornim, dem Bundesinstitut für Risikobewertung, dem Friedrich-Loeffler-Institut Jena sowie dem Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft und zwei Pharmaunternehmen.

In vorangegangenen Studien wurde die theoretische Basis geschaffen, jetzt geht es um die praktische Umsetzung. „Wir möchten Maßnahmen entwickeln, um die Entstehung und Verbreitung multiresistenter Keime in der Geflügelzucht zu verhindern, und zwar auf allen Stufen der Produktion – von der Brut des Eis bis zur Schlachtung der Tiere“, sagt Uwe Rösler, Professor für Tier- und Umwelthygiene an der Freien Universität und Koordinator des EsRAM-Forschungsverbundes. Denn die verschiedenen Stationen auf dem Lebensweg der Tiere spielten eine entscheidende Rolle, wie Untersuchungen bewiesen: Rösler und sein Team konnten zeigen, dass viele Tiere auch deshalb mit multiresistenten Bakterien infiziert sind, weil Keime aufgrund bestimmter hygienischer Gegebenheiten an verschiedenen Stationen an die Tiere weitergegeben werden können.

Bakterien überleben oft die Desinfektion der Ställe

Problematisch sei deshalb vor allem, dass sich Tiere immer wieder mit den resistenten Bakterien infizierten, die sich dann bei gegebenenfalls erforderlichen Antibiotikabehandlungen im Unterschied zu den nicht resistenten Bakterien stark vermehren könnten. Denn bei einer Antibiotikagabe würden nur die empfindlichen Bakterien abgetötet oder in ihrer Vermehrung gehemmt. So entstehe dann ein Ungleichgewicht in der Bakterienpopulation, bei dem der Anteil der resistenten Bakterien sich stetig erhöhe. Schon bei der Brut würden beispielsweise resistente Bakterien von den Elterntieren auf die Eier übertragen. Hier sollen spezielle Desinfektionsmaßnahmen in der Brüterei eine Infektion der Küken verhindern.

Ein weiterer kritischer Punkt seien die Ställe, sagt Rösler. Diese würden zwar gründlich gereinigt und desinfiziert, wenn die gesamte Tiergruppe den Betrieb in Richtung Schlachthof verlassen habe. Es komme aber oft vor, dass die Bakterien die Desinfektion überlebten und dann die neu in den Stall kommenden Tiere infizierten. „Ziel ist es, an diesen Punkten anzusetzen und effektivere hygienische Maßnahmen zu entwickeln“, sagt Rösler. Der kritischste Punkt sei aber nach wie vor die Schlachtung. „Das Problem der Kreuzkontamination, bei der Bakterien von infizierten geschlachteten Tieren auf andere geschlachtete Tiere übertragen werden, existiert ja im Grunde schon immer“, erklärt Rösler. Bei Geflügel sei die Infektionsgefahr besonders groß, weil bei der Schlachtung der Tiere an vielen Stellen mit Wasser gearbeitet werde und komplexe Maschinen zum Einsatz kämen, etwa beim Brühen und Rupfen. Durch das Rupfen wird zum Beispiel oft die Haut leicht verletzt, und das verwendete Wasser ist ein idealer Übertragungsweg für die resistenten Keime. Deshalb sollen unter anderem verschiedene Rupf- und Brühverfahren daraufhin untersucht werden, bei welchen die Kontaminationsgefahr am geringsten ist. Gleiches gilt für die Verfahren, mit denen die frisch geschlachteten Tiere anschließend gekühlt werden – auch hier soll eine Kreuzkontamination möglichst vermieden werden.

Das Wachstum "guter" Bakterien im Tierdarm fördern

Die am Forschungsverbund EsRAM beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verfolgen aber noch einen anderen Ansatz: Sie wollen das Wachstum „guter“ Bakterien im Tierdarm fördern und resistenten Erregern so gar nicht erst eine Chance geben, sich dort anzusiedeln. Dafür entwickeln sie sogenannte Competitive Exclusion-Kulturen (CE) mit natürlichen Bakteriengesellschaften, die schon bei Eintagsküken im Darm angesiedelt werden und diesen so umfangreich in Beschlag nehmen, dass resistente Erreger darin keinen Platz mehr finden. Tiere, deren Darm mit einer solchen Kultur besiedelt sind, wären daher deutlich weniger anfällig gegen eine Besiedlung mit resistenten Erregern. Bisherige CE-Kulturen werden in der Regel aus Blinddärmen erwachsener Tiere gewonnen und sind, weil sie nicht einheitlich definiert sind, derzeit in der EU nicht zugelassen. Ziel von EsRAM ist es nun, standardisierte, gut wirksame CE-Kulturen zu entwickeln, die auch innerhalb der EU verwendet werden können.

Die Resistenzforschung an der Freien Universität beschränkt sich aber nicht allein auf das Gebiet der Geflügelzucht. Stefan Schwarz untersucht zurzeit die Makrolidresistenz bei Erregern, die für Atemwegserkrankungen von Rindern verantwortlich sind. Makrolide sind antimikrobielle Wirkstoffe, die die Entstehung von Proteinen in den Bakterien und damit das Wachstum der Bakterien hemmen. In Nordamerika findet man bereits Makrolidresistenz bei entsprechenden Erregern von Rindern. Das Team von Stefan Schwarz will in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt die Resistenzmechanismen ergründen, um im besten Fall die Bildung von Resistenzen in Europa rechtzeitig unterbinden oder bekämpfen zu können. Die Arbeitsgruppe ist auch an weiteren internationalen Projekten beteiligt, unter anderem an einem Forschungsvorhaben, in dem der Austausch multiresistenter Bakterien zwischen Hunden, Katzen und ihren Besitzerinnen und Besitzern untersucht wird.

Derzeit entsteht das Tiermedizinische Zentrum für Resistenzforschung

Um die Forschungen zu Entstehung und Vermeidung von Resistenzen voranzutreiben, errichtet die Freie Universität am Fachbereich Veterinärmedizin derzeit das Tiermedizinische Zentrum für Resistenzforschung (TZR). Hier sollen wissenschaftliche Projekte zu diesem Thema gebündelt werden. Das Zentrum ist im Juni 2014 von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) des Bundes und der Länder bewilligt worden und umfasst ein Fördervolumen von 28,4 Millionen Euro. „Damit haben wir beste Möglichkeiten in der Forschung“, sagt Schwarz. Auch Uwe Rösler, der derzeitige Sprecher des Tiermedizinischen Zentrums für Resistenzforschung, freut sich auf die neue Einrichtung: „Wir haben dann die in Deutschland einzigartige Möglichkeit, die Entstehung von Resistenzen bei Bakterien, Parasiten und Viren von verschiedenen Nutz- und Heimtierspezies vergleichend zu untersuchen.“ Mit dem zukünftigen Forschungszentrum und der jetzt schon breit aufgestellten Forschung soll es gelingen, die Verbreitung multiresistenter Keime bei Tieren nachhaltig einzudämmen.

Manuel Krane

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