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Junge Frauen bei einer Absolventenfeier an der Uni Bonn.

© Ute Grabowsky/Imago/Photothek

Hochschul-Bildungs-Report: Ungenutzte Bildungspotenziale

Stifterverband und McKinsey kritisieren, dass tausende Informatiklehrer fehlten, Erstakademiker und Flüchtlinge bräuchten einen besseren Hochschulzugang.

Ein Digitalpakt von Bund und Ländern, der Schulen mit Breitbandanschlüssen und Schüler mit Laptops ausstattet, dürfte wegen der schwierigen Regierungsbildung noch weiter in die Ferne gerückt sein. Doch wünscht man sich darüber hinaus, dass alle Kinder Programmieren lernen, fehlt noch mehr. Für ein Wahlfach Informatik und Programmieren ab der Sekundarstufe I würden 4000 Lehrkräfte gebraucht. Bei einem Pflichtfach Informatik von der Grundschule bis zum Abitur wären es sogar 24.000. Darauf weist der am Montag vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und der Unternehmensberatung McKinsey veröffentlichte Hochschul-Bildungs-Report hin.

Der Anteil der Lehramtsstudierenden, die Informatik als Studienfach wählen, beträgt nur 1,6 Prozent. Deshalb fordern die Initiatoren des Reports einen Bund-Länder-Pakt zur Ausbildung von Informatiklehrkräften. Auch jenseits des Lehramts mangele es an Informatik-Studierenden – ebenso wie insgesamt vor allem an Studentinnen in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), heißt es.

Data-Science-Education für alle Bachelorstudierenden

Eine Arbeitsmarktanalyse im Rahmen des Reports zeige, dass in Deutschland bis zu 95 000 Datenspezialisten fehlen. Der Fachkräftemangel benachteilige deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Gefüllt werden soll die Lücke nicht nur mit mehr MINT-Studierenden, sondern durch „Data-Science-Education-Programme“ in allen Bachelorstudiengängen.

Lehrerbildung und MINT-Bildung gehören zu den Handlungsfeldern, in denen der seit 2013 veröffentlichte „Hochschul-Bildungs-Report“ den Status quo des Hochschulsystems aus Unternehmenssicht ermittelt. Weitere Felder sind internationale Bildung und Chancengerechtigkeit. Ermittelt wird, ob das Hochschulsystem auf der Basis des Jahres 2010 von den Auftraggebern gesetzte Zielwerte bis 2020 erreichen kann – auf dem Weg zu einem „digitalen, flexiblen und optimal berufsvorbereitenden System“.

Ein Beispiel aus der Lehrerbildung: Für 2020 wurde bei den Lehramtsstudienanfängern ein Anteil von 36 Prozent an MINT-Fächern gesetzt. Im Ausgangsjahr 2010 lag er noch bei 29 Prozent, seitdem ist der Anteil kontinuierlich gesunken, aktuell auf 25,2 Prozent. Damit besteht wenig Hoffnung, dass der akute Lehrkräftemangel in MINT-Fächern in den Sekundarstufen I und II bis 2020 behoben wird.

Nur acht von 100 Nichtakademikerkindern machen den Master

Erstmals beziffert der Report, wie sich soziale Selektion an den Hochschulen fortsetzt. Dies wird mit einem „Bildungstrichter“ dargestellt, der zeigt, wie Nichtakademikerkinder von der Grundschule bis zur Promotion der Hochschulbildung verloren gehen. Die Unterschiede zu Akademikerkindern sind gravierend: Bezogen auf abgeschlossene Promotionen im Jahr 2014 haben von 100 Grundschulkindern ohne akademischen Hintergrund nur 21 ein Studium aufgenommen, bei den Akademikerkindern waren es 74.

Nur 15 von 100 Nichtakademikerkindern schaffen dann einen Bachelorabschluss, beim Master sind es lediglich acht – und bei der Promotion ist das Verhältnis 100:1. Die Abgangsquoten der Akademikerkinder sind um ein Vielfaches höher. Den Master erwerben sechs Mal so viele, die Promotion erreichen immerhin zehn von 100 Grundschulkindern.

„Verschenktes intellektuelles Potenzial“ kritisieren hier Stifterverband und McKinsey. Die geringeren Übergangsquoten der Studierenden aus Nichtakademikerfamilien seien weniger auf Leistungsunterschiede als vielmehr auf Sozialisationsprozesse und finanzielle Probleme zurückzuführen. Gesellschaftlich geprägte Selbstbilder und Selbstwahrnehmungen wirkten dem Streben nach einer höheren Bildung ebenso entgegen wie Probleme bei der Studienfinanzierung.

Die Hochschulen müssten sich stärker auf die Diversität der Studierendenschaft einstellen, indem sie etwa „ein Studium mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ – etwa in Teilzeit oder nebenberuflich – anbieten. Das Bafög soll die „heterogenen finanziellen Anforderungen insbesondere von Nichtakademikerkindern“ berücksichtigen, heißt es. Gleichzeitig müsse weiterhin mit den Mitteln des 2020 auslaufenden Hochschulpakts eine hohe Zahl von Studienplätzen aufrechterhalten bleiben, um die Chancen von Erstakademikern nicht noch zu schmälern.

Als Indikator für chancengerechte Bildung dient aber vor allem der akademische Erfolg von Bildungsinländern, also von hiesigen Abiturienten ohne deutschen Pass. Das Ziel von 17 400 Studienanfängern pro Jahr scheint zwar mit knapp 16 400 im Jahr 2015 erreichbar, doch ihr Anteil an den Studienanfängern und den Absolventen, der jeweils vier Prozent erreichen soll, stagniert bei 3,2 beziehungsweise 2,4 Prozent.

Nicht genutzte Potenziale auch bei den Geflüchteten

Nicht genutzte Bildungspotenziale sehen die Initiatoren des Bildungs-Reports auch bei den Geflüchteten. Zum einen prognostiziert die Studie, dass im Jahr 2020 bis zu 40 000 Flüchtlinge an Hochschulen in Deutschland eingeschrieben sein könnten. Wenn fehlende Sprachkenntnisse, gesundheitliche Probleme durch Traumafolgen und finanzielle Hürden beseitigt würden, könnten es aber doppelt so viele sein.

„Die Motivation vieler Flüchtlinge in den ersten Monaten nach ihrer Ankunft in Deutschland ist besonders hoch“, erklärt Solveigh Hieronimus, Partnerin bei McKinsey. Doch bis sie ein Studium aufnehmen können, dauere es zu lange. Staatliche Stellen sollten die Kompetenzen von Geflüchteten systematisch erfassen, eine frühzeitige Bildungsberatung sicherstellen und sie zügig an die richtigen Adressen im Bildungssystem vermitteln. Die Hochschulen müssten studienvorbereitende und fachliche Kurse ausbauen und verkürzen, heißt es.

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