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Gorgonien erholen sich nur langsam von überstandenen Hitzewellen und sind vielerorts bereits verschwunden.

© PantherMedia / Dieter Möbus/Dieter Möbus

Hitzewellen im Mittelmeer: Neue Normalität lässt besondere Arten schwinden

Hitzewellen treten im Mittelmeer immer häufiger auf. Alteingesessene Arten leiden, einige neuere profitieren. Das Mittelmeer wandle sich vom vielfältigen Urwald zur eintönigen Wiese, so ein Forscher.

Von Annett Stein, dpa

Ende Juli wurde mit 28,7 Grad Celsius die bislang höchste mittlere Oberflächentemperatur im Mittelmeer seit Aufzeichnungsbeginn 1982 erfasst. In einigen Bereichen liegen die Werte weiterhin bis zu etwa drei Grad höher als um diese Jahreszeit üblich. Schon 2022 hatte es eine schlimme Hitzewelle im Mittelmeer gegeben.

„Vor 25 Jahren waren marine Hitzewellen Ausnahmen, jetzt werden sie zur Normalität“, sagt Joaquim Garrabou vom spanischen Institut für Meereswissenschaften (ICM). „In den vergangenen Jahren haben wir fast jedes Jahr Hitzewellen in Teilen des Mittelmeers erlebt.“

Schon die Hitzewelle im Sommer 2022 im westlichen Mittelmeer habe Temperaturrekorde gebrochen. In diesem Jahr sei die Lage noch schlimmer, sagt Meeresökologe Garrabou. Das gesamte Mittelmeer sei betroffen und die höchsten Meerestemperaturen werden üblicherweise erst im August erreicht.

Häufigere und intensivere Erwärmung

Marine Hitzewellen seien durch längere Perioden ungewöhnlich warmer Meerestemperaturen gekennzeichnet, die mindestens fünf Tage lang andauern, erklärt die Ozeanographin Katrin Schroeder vom italienischen Institut für Meereswissenschaft (ISMAR). „Das Mittelmeer ist für diese Hitzewellen besonders anfällig und gehört zu den am stärksten betroffenen Regionen der Welt.“ In den vergangenen 40 Jahren habe sowohl die Häufigkeit als auch die Intensität deutlich zugenommen. „Konkret sind diese Hitzewellen in diesem Zeitraum etwa viermal häufiger und zehnmal intensiver geworden.“

Einer im Juni veröffentlichten Studie zufolge erwärmt sich das Wasser im westlichen Mittelmeer im Zuge des Klimawandels mit einer Geschwindigkeit von etwa zwei Grad je 100 Jahren. An einigen Stellen wie bei L’Estartit an der Costa Brava seien es sogar drei Grad pro Jahrhundert, schrieben ICM-Forscher im „Journal of Marine Science and Engineering“.

Trotz seiner eher geringen Größe beherbergt das Mittelmeer eine immense Artenvielfalt. Viele Spezies sind endemisch, kommen also nur hier vor. Marine Hitzewellen können schlimme Massensterben auslösen, wie sie etwa 2003 und 2022 beobachtet wurden. Betroffen sind Experten zufolge vor allem sesshafte Arten wie Korallen, Schwämme, Muscheln und Seegräser.

„Derzeit ist es noch zu früh im Sommer, um solche Massensterben zu beobachten“, erklärt Garrabou. Üblicherweise seien die Folgen hoher Temperaturen erst Ende August, im September, Oktober und sogar November zu sehen. „Die Arten können der Hitze eine Zeit lang widerstehen, aber dann beginnen sie zu leiden.“

Lokales Aussterben

Christian Wild von der Universität Bremen zufolge reagieren viele Arten von Korallen, Muscheln, Seesternen, Seeigeln und Schwämmen sowie unter den Pflanzen vor allem Seegräser empfindlich auf hohe Wassertemperaturen, hohe Salzgehalte und niedrige Sauerstoffkonzentrationen. Der Salzgehalt des Mittelmeeres steige, weil bei Hitze mehr Wasser verdunste. Zudem lösten sich in wärmer werdendem Wasser immer weniger Gase wie Sauerstoff und Kohlendioxid, erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie.

Viele der betroffenen Arten seien habitatbildende Arten, so der spanische Meereswissenschaftler Garrabou, böten also mit ihrem Wachstum Lebensraum für andere Arten. Ihre Rolle ließe sich mit der von Bäumen an Land vergleichen. Viele andere Arten sind auf sie angewiesen. Beispiele aus dem Meer seien zu den Weichkorallen gehörende Gorgonien, Seegräser und Makroalgen. „Sie haben langsame Wachstumsraten und können zehn, 30 oder sogar über 100 Jahre alt werden.“

Viele Arten wie etwa Mittelmeer-Muränen (Muraena helena) sind auf artenreiche Lebensräume angewiesen.

© imago/imagebroker/IMAGO/imageBROKER/Rolf von Riedmatten

Manche Gorgonien wüchsen gerade mal einen Zentimeter oder weniger pro Jahr. In einer stabilen Umwelt mache das nichts aus, weil ihre Sterblichkeitsrate mit nur etwa einem Prozent pro Jahr sehr gering sei. Bei hitzebedingten Massensterben aber könne sie auf etwa 80 Prozent hochschnellen. Die Arten seien nicht an eine so hohe Erwärmungsrate angepasst und hätten eine sehr geringe Erholungsfähigkeit, führt Garrabou aus. „Außerdem werden sie, selbst wenn sie sich zu erholen beginnen, von neuen marinen Hitzewellen getroffen.“ Daher befänden sich viele Gorgonien-Populationen auf dem Weg zum Zusammenbruch. „Bei einigen Arten haben wir in einigen Mittelmeerregionen bereits ein lokales Aussterben erlebt.“

Hotspot für eingeschleppte Arten

Andere Spezies profitieren hingegen von höheren Temperaturen, Quallen zum Beispiel. Offenbar kämen viele Quallenarten des Mittelmeeres mit den aktuellen Bedingungen – hohe Temperaturen, mehr Nährstoffe im Wasser, weniger Fressfeinde – gut klar, sagt der Bremer Forscher Christian Wild. „Dadurch sind diese Nesseltiere Gewinner des Klimawandels und es kann zu Massenauftreten kommen, wenn die oberflächlichen Wasserströmungen die Tiere zusammentreiben.“

Weitere Profiteure sind invasive Arten, die immense Schäden an heimischen Ökosystemen anrichten können. Im Mittelmeer breiteten sich zum Beispiel ursprünglich aus den Tropen und Subtropen stammende Arten wie die Grünalge Caulerpa taxifolia und der Rotfeuerfisch (Pterois miles) aus, erklärt Wild. Endemische Arten wie das Neptunsgras (Posidonia oceanica) würden verdrängt.

Durch den Suezkanal gelangte Arten fänden im überhitzten Mittelmeerraum gute Bedingungen vor, sagt auch Garrabou. Kaninchenfische (Siganus) zum Beispiel ernährten sich im östlichen Mittelmeer von Makroalgen und veränderten so Meereslandschaften und Ökosysteme. „Wo es früher dichte Algenwälder gab, haben wir jetzt Unterwasserwüsten.“ Arten, die normalerweise in den Algenwäldern leben, und Arten, die sich wiederum von diesen ernähren, könnten dort nicht mehr leben.

Wie Diego Kersting von der spanischen Forschungseinrichtung CSIC erklärt, ist das Mittelmeer ein Hotspot für biologische Invasionen und beherbergt die meisten eingeschleppten Arten der Welt. „Es wird geschätzt, dass etwa 1000 Arten in das Mittelmeer eingeführt wurden“, sagt er. Die Zahl der nachgewiesenen eingeführten Arten habe sich zwischen 1970 und 2014 mehr als verdoppelt, in den letzten Jahren habe sich diese Entwicklung noch beschleunigt. Die Einschleppungen hingen zwar nicht zwingend mit den steigenden Temperaturen zusammen – diese begünstigten das Überleben vieler zugewanderter Spezies aber. „Viele dieser invasiven Arten haben negative Folgen für die Ökosysteme.“

Für die Zukunft der mediterranen Meeresökosysteme lässt sich ein klarer Trend ausmachen: „Wir beobachten einen Prozess der Simplifizierung der marinen Ökosysteme“, sagt ICM-Forscher Joaquim Garrabou. „Das ist so, als würde man einen Urwald mit jahrhundertealten Bäumen mit einer Wiese vergleichen.“ Genau das passiere im Meer: „Wir hatten sehr komplexe Ökosysteme, die eine hohe Artenvielfalt beherbergten, und jetzt verlieren wir sie, zumindest in den flachen Gewässern.“

Lässt sich noch gegensteuern? Zwar gibt es zum Beispiel Projekte, die Wärmetoleranz heimischer Korallen zu vergrößern; die Widerstandsfähigkeit ließe sich wohl auch mit weniger Überfischung und Verschmutzung verbessern. Aber, so betont CSIC-Experte Diego Kersting, der erste obligatorische Schritt zur Rettung mediterraner Ökosysteme müsse ein anderer sein: das irrationale Wachstum und den Ausstoß von Treibhausgasen zu stoppen. „Ohne diesen Schritt sind alle anderen Maßnahmen nutzlos.“

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