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Im Zentrum der türkischen Stadt Kirikhan wurden zahlreiche Häuser zerstört oder massiv beschädigt.

© dpa/Boris Roessler

Ein Jahr nach dem Erdbeben in der Türkei: Das haben Forschende aus der Katastrophe gelernt

Als am 6. Februar 2023 in der Türkei und Syrien die Erde bebte, waren selbst Experten vom Ausmaß der Katastrophe überrascht. Die Analysen des Bebens lieferten neue Erkenntnisse.

Sie zählt zu den verheerendsten Naturereignissen des 21. Jahrhunderts: Die Erdbebenkatastrophe in der türkisch-syrischen Grenzregion am 6. Februar 2023. Etwa 60.000 Menschen starben damals; mehr als doppelt so viele wurden verletzt. In den frühen Morgenstunden erschütterte ein Erdstoß der Magnitude 7,8 den Osten der Türkei und den Norden Syriens. Neun Stunden später folgte ein Beben der Stärke 7,5. Es gab zahlreiche Nachbeben.

Die Region war Expert:innen schon vor dem Februar 2023 als Risikogebiet für schwere Erdbeben bekannt. Dennoch gab es bei dem Ereignis vor einem Jahr einige Überraschungen für sie – zum Beispiel, dass es zu zwei so schweren Erdstößen kurz hintereinander kam. Auch die Opferzahlen waren von keinem Modell so prognostiziert worden.

Das erste Beben der Katastrophe vom Februar 2023 ereignete sich in Kahramanmaraş kurz nach vier Uhr morgens.
Das erste Beben der Katastrophe vom Februar 2023 ereignete sich in Kahramanmaraş kurz nach vier Uhr morgens.

© AFP/Thorsten Eberding

In den vergangenen Monaten haben Geophysiker:innen an der Erdbebenserie in der Türkei und Syrien geforscht. Nun hat das Deutsche Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) seine wichtigsten Erkenntnisse über die Katastrophe zusammengefasst.

1 Monatelanger „Vorbereitungsprozess“ in der Region um das Epizentrum

Es ist derzeit zwar nicht möglich, verlässlich Vorläuferphänomene eines Erdbebens zu identifizieren, auf deren Basis der Katastrophenschutz die Bevölkerung vor einem Erdbeben warnen könnte. Doch es gibt Hinweise auf Veränderungen im Erdboden, die dazu herangezogen werden könnten.

„Die Analyse der raum-zeitlichen Verteilung der regionalen Seismizität führte zu der Beobachtung eines achtmonatigen Vorbereitungsprozesses in der Region um das Epizentrum“, sagt GFZ-Geophysiker Grzegorz Kwiatek. „Das weist auf eine hohe und – was noch wichtiger ist – zunehmende seismische Gefahr in dieser Region hin.“

Eine derartige Fokussierung der Erdbebenaktivität vor dem Bruch von Gestein war Forschenden schon aus Laborexperimenten bekannt. Außerdem beobachteten sie dieses Phänomen in den vergangenen Jahrzehnten bei mehreren großen Erdbeben entlang kontinentaler Verwerfungszonen, allerdings nicht bei allen. Dennoch sagt Marco Bohnhof vom GFZ: „Auf Basis lokal dichter Messnetze ist es prinzipiell möglich, Orte bevorstehender Erdbeben bereits Monate vor deren Eintreten zu identifizieren.“

2 Menschen über das Smartphone warnen

Smartphones können helfen, Frühwarnungen zu verbreiten. Forschende an der Universität Bologna haben etwa die App „EQN“ entwickelt. Sie kann Erschütterungen messen und Nutzer:innen warnen.

Das erste Beben in der Türkei wurde bereits nach zehn Sekunden erkannt. Erdbebenwellen breiten sich langsamer aus als Warnsignale. So gab es für Städte, die weiter vom Zentrum entfernt lagen, aber auch schwer getroffen wurden, eine Vorwarnzeit von bis zu einer Minute – Zeit, die im Zweifel ausreicht, um Schutz unter Türrahmen zu suchen, ins Freie zu rennen oder Ampeln vor Brücken auf Rot zu stellen. Derzeit werden Tests durchgeführt, um das Potenzial solcher neuen, auf Smartphones basierenden Frühwarntechnologien zu bewerten.

3 Modelle besser an die tatsächlichen Gegebenheiten anpassen

Neu entwickelte Computer-Modelle helfen, die Auswirkungen von Erdbeben im Voraus zu simulieren. Die Modelle müssen allerdings lokale Vorschriften, ihrer Einhaltung und das Verhalten der Menschen besser abbilden, um zu verlässlicheren Aussagen über zu erwartende Schäden zu kommen. Nur so können sich Katastrophendienste besser vorbereiten. 

Was den Forschenden bei ihrer Arbeit geholfen hat, war die dichte Instrumentierung der Region und die Daten, die türkische Behörden bereitstellten – auch über das Vorjahr hinweg. Doch nach wie vor stellt die Variabilität der verschiedenen vor Erdbeben beobachteten Prozesse sowie die Schwierigkeit, Vorläuferphänomene, die zu Erdbeben führen, von anderen Signalen zu unterscheiden, die Forschenden vor Herausforderungen. Deshalb liegt eine mittelfristige Erdbebenwarnung schon Monate vor dem Ereignis noch in der Zukunft der Seismologie.

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