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Festgefahrene Debatte. Die „Letzte Generation“ macht Pause bis Anfang Oktober. Aber wie soll es dann weitergehen? Bis der erste Aktivist überfahren wird?

© picture alliance/dpa/Hendrik Schmidt

Atempause im Klimastreit: Panik und Hass sind die schlechtesten Ratgeber

Fast wäre ein Aktivist der „Letzten Generation“ überfahren worden. Jetzt macht die Organisation eine Pause. Danach kann es nicht so weitergehen: Beide Seiten müssen voneinander lernen.

Ein Kommentar von Sascha Karberg

Das Bild könnte symbolkräftiger nicht sein: Ein wutentbrannter LKW-Fahrer fährt mit voller Absicht einen friedlich die Straße blockierenden Klimaaktivisten an. Die Szene erregt die Gemüter nicht allein wegen ihrer Brutalität, sondern weil sie in bildlicher Perfektion darstellt, was in jedem von uns täglich vor sich geht: Die Realität wird kraftvoll verdrängt.

Das Wissen, dass da draußen die Temperaturen immer schneller in Rekordhöhen steigen, Tier- und Pflanzenarten in nie zuvor gekannter Geschwindigkeit verschwinden, Gletscher abschmelzen, sich Dürren, Überflutungen und Hitze zu Lande und zu Wasser häufen, schieben wir alle, die jetzt in den Urlaub fliegen oder fahren, weit von uns.

Bloß weg mit den Sorgen. Bloß weg mit denen, die uns auf unsere jahrzehntelangen Versäumnisse hinweisen. Bloß weg und abschalten, erholen, das Leben genießen. Keine Angst haben vor dem, was da kommen könnte.

Das ist menschlich. Aber es ist angesichts der Unverrückbarkeit der Tatsache Klimawandel so grundfalsch und sinnlos, wie es sträflich und strafbar ist, vorsätzlich die körperliche Unversehrtheit eines Menschen zu riskieren, Nötigung hin oder her.

Es ist an der Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, an welchem Punkt die Klimadebatte steht und wie es weitergehen soll. Wollen wir riskieren, dass nach den Ferien der erste Aktivist der „Letzten Generation“ oder ein ehemaliges Fridays-For-Future-Kind überfahren und schwer oder gar tödlich verletzt wird?

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Und das nur, weil sie an der Gleichgültigkeit, dem Verdrängen, dem Beschwichtigen und dem besitzstandswahrenden Denken der Mehrheit verzweifeln? Weil sie mit regelverletzenden, aber gewaltlosen Mitteln verlangen, dass diese Gesellschaft endlich die seit gut einem Jahrhundert bekannte Realität des Klimawandels nicht nur akzeptiert, sondern auch konsequenter handelt?

Sicher ist diese Auseinandersetzung auch ein Generationenkonflikt. Während die Älteren sich – trotz Überflutungen im Ahrtal, trotz wiederholter Dürre-Sommer, trotz zunehmender Waldbrände von Sizilien bis Brandenburg, trotz steigender Lebensmittelpreise – vor den Folgen des Klimawandels sicher wähnen, rennt den Jungen die Zeit davon.

Immer näher rücken die Kipppunkte, die Unumkehrbarkeiten der klimawandelbedingten Entwicklungen. Das verkleinert den Spielraum für Kompromisse und verhärtet die Debatten.

LKW-Fahrer fährt Protestierenden der „Letzten Generation“ an.
LKW-Fahrer fährt Protestierenden der „Letzten Generation“ an.

© Twitter/Twitter

Und es macht – zu Recht – Angst: Die Zahl der Angststörungen und Depressionen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen steigt. Wer dieser Generation sagt, sie möge sich mal zusammenreißen, Kernfusion oder irgendeine andere Technologie werde uns schon irgendwann irgendwie retten, ist mehr als zynisch. Vor allem belügt er sich selbst.

„So schimm wird es schon nicht kommen“

Denn darin sind wir Älteren wirklich gut. Wir sind die Generation, die gelernt zu haben glaubt, dass es schon nicht so schlimm kommen wird: Wald gibt’s immer noch, trotz Waldsterben. Die Ozonschicht: ist nicht mehr so löchrig wie einst. Der Atomkrieg: blieb aus. Super-GAUs: Tschernobyl und Fukushima waren weit genug weg.

Wir haben unsere Ängste zu unterdrücken gelernt, das Verdrängen unbequemer Realitäten perfektioniert. Und so zugelassen, dass sich das Problem Klimawandel monströs vergrößerte. Wir waren es, die die Folgegenerationen in diese Lage manövriert und die Mittel massiv eingeschränkt haben, mit denen sie unsere Gleichgültigkeit, unsere Arroganz und unsere Realitätsschutzschirme überhaupt noch durchbrechen können.

Es wäre ein Anfang, das einzugestehen, den eigenen Beitrag am Konflikt anzuerkennen und nicht die Aktivisten allein für ihre Blockade-Aktionen verantwortlich zu machen, während wir ein Klimaschutzgesetz nach dem anderen blockieren und zerreden. Wir müssen ins Gespräch kommen, statt uns festgeklebt frontal gegenüberzusitzen. So wie Panik und Verzweiflung für die eine Seite kein guter Ratgeber ist, sind Hass, Gewalt und Drangsalierung auf der anderen fehl am Platz.

Viel besser wäre, wir machten einander Mut, dass die nötigen, großen gesellschaftlichen Veränderungen zu schaffen sind, so unwahrscheinlich sie jetzt auch erscheinen mögen. Den Älteren werden Beispiele wie die Wiedervereinigung oder der Atomausstieg einfallen.

Die Wissenschaft zeigt uns seit langem nicht nur die deprimierenden Folgen des Klimawandels, sondern auch die Hoffnung machenden Lösungen auf. Man müsste sie nur langsam mal umsetzen. Am besten zusammen an einem runden, nachhaltig produzierten Tisch.

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