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Die will nur krabbeln. Eine Ammen-Dornfinger-Spinne, aufgenommen im Sommer 2007 in Briesen (Brandenburg).

© Patrick Pleul/dpa

Ammen-Dornfinger-Spinne: Furcht vor der neuen Giftspinnen-Art – zu Unrecht

Ein gefährliches Tier, sagen die einen. Das spinnengewordene Sommerloch die anderen. Das angeblich neue und angriffslustige Tier in Berlin und Brandenburg ist ein verträglicher Zeitgenosse.

Zugegeben, sie sehen nicht gerade freundlich aus. Ammen-Dornfinger-Spinnen haben im Vergleich zu vielen anderen Spinnen hierzulande gut sichtbare Kieferklauen und – oh Schreck: Ein Teil ihres Körpers leuchtet in den Warnfarben Rot und Orange. An Berichten über diese bis zu 1,5 Zentimeter großen Tierchen und ihre Bisse kommen vor allem Berliner und Brandenburger seit Kurzem kaum vorbei. Einige Medien berichten von einer zunehmenden Verbreitung dieser Spinnen in der Region durch den Klimawandel. Ursprünglich kommen sie aus dem Mittelmeerraum. In den sozialen Medien gehen die meist mit der Spinne bebilderten Warnungen um: Seid vorsichtig beim Laufen und Entspannen im Gras, heißt es da zum Beispiel. Denn der Ammen-Dornfinger beiße selbst durch Jeans hindurch, er sei gefährlich und ganz stark auf dem Vormarsch, selbst in der Hauptstadt. Experten halten das für übertrieben und betonen, diese Spinnen seien auch anderswo in Deutschland verbreitet. Und das nicht erst seit gestern. Sie sind aufgebracht angesichts der Hysterie, die sich in die Debatte mischt.

Seit mindestens zehn Jahren in Berlin

Seinen ersten Ammen-Dornfinger hat der Berliner Insektenkundler Jens Esser von der Entomologischen Gesellschaft „Orion“ vor etlichen Jahren in Berlin-Mitte auf einer Brache entdeckt. Damals wusste er nicht, was er da vor sich hatte. Inzwischen hat er die Tiere häufig gesichtet und auch ab und an ein Exemplar für einen Spinnenexperten eingesammelt. Seit mindestens zehn Jahren sei das Vorkommen in Berlin dokumentiert, sagt Esser. In Brandenburg ist der Ammen-Dornfinger Naturschützern zufolge schon weitaus länger zu Hause. Seit den 1950er-Jahren breite er sich aus, twitterte der Brandenburger Nabu nun über den „schüchternen Wandersburschen“. Esser hat Kinder über Wiesen voller Gespinste von Ammen-Dornfinger-Spinnen rennen sehen. Gebissen wurden weder er bei seiner Feldforschung noch die Kinder, wie er sagt. Man müsse es schon darauf anlegen und eines der gut erkennbaren Gespinste bewusst öffnen, um gebissen zu werden. Darin befinden sich die Spinneneier. „Das ist Mutti, die ihre Kinder verteidigt“, macht es Biologe und Spinnenfachmann Karl-Hinrich Kielhorn anschaulich. Beim Vorbeigehen im Gras gebissen zu werden, halten Experten für ein sehr unwahrscheinliches Szenario. Und selbst wenn: „Dann tut das weh, der Finger wird dick, und in zwei Tagen ist es wieder vorbei“, sagt Kielhorn. Nur in Ausnahmen reagieren Menschen heftiger, etwa mit Kreislaufproblemen.

Ein Thema fürs Sommerloch?

In den sozialen Medien gibt es neben Panik auch andere Stimmen: Sie verweisen auf das Sommerloch. Tatsächlich erinnert der Spinnenalarm an andere Tiere, die in früheren Sommern Schlagzeilen machten: Kaiman Sammy, Beiname „Bestie aus dem Baggersee“ (1994). Oder „Problembär“ Bruno, eingewandert 2006 von Tirol nach Bayern. Ebenfalls 2006 erschien bereits ein Zeitungsartikel unter dem Titel „Invasion der Todesspinne“: Es ging - Überraschung - um den „gefährlichen Dornfinger“, der „jetzt“ überall auftauche und zubeiße.

Dass derartige Berichte damals zahlreich waren, blieb nicht ohne Folgen, wie es in einem Fachartikel heißt. „Plötzlich hielten sich viele Personen als Opfer dieser Spinnen. Krankenhäuser, zoologische Institute, Museen und andere Anlaufstellen waren durch Spinnenbiss-Anfragen in Österreich und Deutschland überlastet“, schrieb die Wissenschaftlerin Barbara Knoflach von der Universität Innsbruck in einem entomologischen Fachblatt.

Grund für die anhaltende Beliebtheit des Themas ist für den Biologen Kielhorn die diffuse - und in seinen Augen hierzulande völlig ungerechtfertigte - Angst vor Spinnen in der Bevölkerung. Diese auch noch zu nähren, findet er „unverantwortlich“. (dpa)

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