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Ob ein Tempolimit auf Autobahnen zu weniger Staus führt, ist fraglich.

© Imago/Westend61/Maria Maar

Mit 150 km/h über die Autobahn: Zwei EU-Staaten lockern ihr Tempolimit – doch bringt das wirklich was?

In Tschechien dürfen Autofahrer auf ausgewählten Strecken bald schneller fahren. In Italien will sich der Verkehrsminister an Deutschland orientieren. Faktisch spricht dafür nichts, sagt eine Expertin.

Während die Deutschen über strengere Tempolimits auf Straßen nachdenken, dürfen Autofahrer in Tschechien auf ausgewählten Autobahnen wohl bald schneller fahren: 150 Kilometer pro Stunde (km/h).

Ende Juni stimmten die Prager Abgeordneten für eine entsprechende Änderung der Straßenverkehrsordnung. Nun hat auch der Senat das Vorhaben abgesegnet, meldet der MDR

Aktuell gilt auf tschechischen Autobahnen noch eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h. 

Das neue Gesetz muss noch von Präsident Petr Pavel unterschrieben werden, dann tritt es am 1. Januar 2024 in Kraft. 

Verkehrsminister Martin Kupka von der liberalkonservativen Partei ODS geht tschechischen Medien zufolge davon aus, dass es noch bis zu zwei Jahre dauern kann, bis Fahrer tatsächlich mit 150 km/h über ausgewählte Autobahnabschnitte fahren können.

Fest steht, dass Autofahrer die neue Höchstgeschwindigkeit zunächst nur auf kurzen Etappen auskosten können, auf einer Strecke mit einer Gesamtlänge von rund 50 Kilometer.

Insgesamt ist das tschechische Autobahnnetz nur etwa 1300 Kilometern lang.

Zum Vergleich: In Deutschland gibt es mehr als zehnmal so viele Autobahnkilometer. 

Die Tschechen diskutieren schon lange über eine Lockerung

Der Vorschlag, das Tempolimit auf tschechischen Autobahnen zu lockern, ist schon alt.

Das Onlinemedium „Autobible“ bezeichnet ihn gar als „innenpolitischen Evergreen“. Immer wieder diskutierten die Tschechen darüber, doch die Umsetzung scheiterte. 

Kritiker bemängelten den Zustand der Autobahnen sowie den Fahrstil vieler Tschechen. Ob sich diese beiden Faktoren nun grundlegend verbessert haben, ist fraglich. 

Kritiker werfen der Regierung Populismus vor

Der aktuelle Vorstoß hat seinen Ursprung im Jahr 2021. Er kam von der liberal-konservativen Regierungspartei ODS, als sie noch nicht im Amt war.

Kritiker sprachen von Populismus. Man wolle den Tschechen nach den harten Corona-Jahren eine Freude machen, hieß es. 

Klimaschutzgruppen fordern eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf deutschen Autobahnen, wie hier ein Mitglied der „Letzte Generation“ in Berlin.
Klimaschutzgruppen fordern eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf deutschen Autobahnen, wie hier ein Mitglied der „Letzte Generation“ in Berlin.

© dpa / dpa/Paul Zinken

Expertin bezweifelt Nutzen einer höheren Obergrenze

Kerstin Haarmann vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), der sich seit Jahren für strengere Tempolimits auf deutschen Straßen einsetzt, sagt dem Tagesspiegel: „Natürlich gefällt es manchen Autofahrern, wenn Politiker sagen: Ihr dürft rasen.“

Sie erklärt sich den Vorstoß mit innenpolitischen Motiven, denn ihrer Ansicht nach spreche faktisch nichts dafür, die Obergrenze zu erhöhen.

Sie bezweifelt, dass Tempo 150 auf der Autobahn die Fahrtzeiten in der Praxis verkürzt, ganz im Gegenteil: „Der Verkehrsfluss verschlechtert sich, wenn die Autos auf einer Straße mit zunehmend unterschiedlichen Geschwindigkeiten fahren.“

Und je größer die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen den einzelnen Verkehrsteilnehmern ist, umso gefährlicher werde die Situation.

In Deutschland fordern Polizeigewerkschaften seit Jahren ein Tempolimit auf Autobahnen, um die Zahl der Verkehrstoten zu reduzieren.

Der Verband der deutschen Versicherer (GVD) schlug 2019 einen Praxistest vor.

Damit könne man herauszufinden, ob ein generelles Tempolimit auf Autobahnen „wirklich zu einem deutlichen Mehr an Sicherheit führt und, wenn ja, wieviel“. So formulierte es der Leiter der Unfallforschung der Versicherer, Siegfried Brockmann, damals.

Umgesetzt wurde dieser Vorstoß nie. Kerstin Haarmann vom Verkehrsclub Deutschland bleibt trotzdem zuversichtlich, wenn sie die Situation in Deutschland mit der in Tschechien vergleicht:

„In Deutschland muss der Verkehrsminister immerhin fachlich gut begründen können, wieso er kein Tempolimit einführt.“

Auch andere Länder planen das Tempolimit zu lockern

Tschechien ist jedoch nicht das einzige Land, in dem über eine Lockerung des Tempolimits von 130 km/h auf 150 km/h nachgedacht wird. 

In Italien kündigte Verkehrsminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega Nord im Frühjahr an, die Straßenverkehrsordnung zu überarbeiten. 

Die Änderung sieht unter anderem vor, das Tempolimit auf bestimmten Autobahnabschnitten anzuheben wie in Tschechien.

Grundsätzlich ist auf dreispurigen Autobahnen in Italien schon Tempo 150 erlaubt.

In der Praxis ist es allerdings oft durch Beschilderung oder Telematik eingeschränkt. 

Als Beispiele für Straßen, auf denen Autos künftig 150 km/h fahren dürfen, nannte Salvini Strecken zwischen Mailand und Brescia (etwa 100 km), Bologna und Bari (etwa 600 km) sowie Genua Voltri und Gravellona Toce (etwa 200 km). 

Salvini will sich an Deutschland orientieren

Ob und wann sein Vorstoß tatsächlich umgesetzt wird, ist offen.

Medienberichten zufolge nannte Salvini Deutschland als Vorbild. Im europäischen Vergleich ist die Bundesrepublik mit seiner Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen allerdings ein Sonderfall.

In den meisten anderen Ländern sind auf Autobahnen maximal 130 km/h erlaubt, nur in Polen darf man 140 km/h fahren.

Die Holländer haben sich 2020 sogar auf eine Obergrenze von 100 km/h geeinigt. Nach 19 und bis 6 Uhr beträgt das Limit 120 oder 130 km/h.

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