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Besonders anfällig waren die Strecken der Deutschen Bahn mit höchster Auslastung, die für Stabilität und Pünktlichkeit im gesamten Netz besonders wichtig sind.

© picture alliance/Imagebroker/Arnulf Hettrich

Update Exklusiv

Hälfte des Bahnnetzes marode: Grüne wollen für Sanierung zusätzliche Kredite aufnehmen

Die marode Infrastruktur gilt als Hauptgrund für verspätete Züge. Ein DB-Bericht zeigt: Es wird immer schlimmer. Die Grünen wollen deshalb neue Schulden aufnehmen.

Es sind äußerst schlechte Werte: Der Zustand des deutschen Schienennetzes, auf den viele Verspätungen zurückgehen, hat sich im Jahr 2022 weiter verschlechtert. Die Deutsche Bahn vergibt der eigenen Infrastruktur eine Note von 3,01, wie aus dem jüngsten Netzzustandsbericht der neuen Bahn-Gesellschaft InfraGo hervorgeht. Im Jahr zuvor lag die Note bei 2,93. Daten für 2023 sind noch nicht veröffentlicht.

Mehr als die Hälfte des bewerteten Netzportfolios habe sich im mittelmäßigen, schlechten oder mangelhaften Zustand befunden, heißt es in dem Bericht. „Der Zustand der Schieneninfrastruktur hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert, da nicht ausreichend Mittel zur Verfügung standen, um genügend Anlagen zu erneuern“, schreibt InfraGo-Chef Philipp Nagl.

Die Grünen fordern trotz Haushaltskrise mehr Geld für die Bahn – finanziert mit Krediten. „Der Nachholbedarf des Netzes beträgt jetzt 90,3 Milliarden Euro“, sagte der bahnpolitische Sprecher, Matthias Gastel, dem Tagesspiegel. „Das ist mit dem regulären Haushalt nicht zu leisten.“

Für den Neu- und Ausbau von Bahnstrecken schlägt Gastel einen mehrjährigen Schienenfonds nach österreichischem Vorbild vor – und damit auch eine zusätzliche Verschuldung des Bundes. Für die Sanierung kann er sich vorstellen, das Eigenkapital der Bahn weiter zu erhöhen. „Ein Verweigern der notwendigen Investitionen führt zum Rückgang der heimischen Wirtschaft, dem Verlust von Arbeitsplätzen und sinkenden Steuereinnahmen“, warnte er.

Wissing will bei Bahn sparen

Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, kritisierte die Sparpläne der Ampel beim Schienenverkehr. „Der Investitionsstau wird immer größer“, sagte er dem Tagesspiegel. Deshalb sei es völlig unverständlich, dass drei Viertel der Spar-Vorgaben für das Verkehrsministerium zulasten der Schiene gehen sollen. Um die Vorgaben von Finanzminister Christian Lindner zu erfüllen, will Verkehrsminister Volker Wissing (beide FDP) die Förderung des Schienengüterverkehrs um rund 300 Millionen Euro reduzieren.

Zudem plant Wissing 810 Millionen Euro, die für den Ausbau und die Digitalisierung des Netzes geplant waren, in die Generalsanierung von 40 Hauptstrecken umzuleiten. So möchte der FDP-Politiker weggefallene Gelder aus dem Klima- und Transformationsfonds ersetzen. „Die Schiene ist schon kaputtgespart – weitere Kürzungen für die Sanierung der hochbelasteten Korridore können wir uns nicht leisten“, sagte Flege. „Wenn die Haushälter nicht nachbessern, wäre das fatal für die Klimaziele der Bundesregierung“, erklärte er.

Auch die Union fordert mehr Geld für die Schiene. „Ich hoffe, dass sich die Ampelkoalition diesen Netzzustandsbericht 2022 vor der morgigen Bereinigungssitzung nochmal genau anschaut“, sagte der Bahnpolitiker Michael Donth dem Tagesspiegel.. Eine deutliche Erhöhung der Finanzmittel für die Infrastruktur sei für den Haushalt 2024 mittlerweile nicht mehr erkennbar, „wäre aber dringend nötig“.

SPD-Fraktionsvize Detlef Müller erklärte dem Tagesspiegel, dass seine Fraktion für eine weitere Förderung des Schienengüterverkehrs kämpfen wolle. Für die Bahnsanierung hingegen habe man trotz der schwierigen Haushaltslage für die kommenden zwei Jahre ausreichend Mittel sichern können. „Danach brauchen wir aber mehr Geld.“

Müller lobte zugleich den neuen Netzzustandsbericht. „Der Bericht ist ehrlich, das ist eine neue Qualität“, sagte er. Die Anlagen würden immer weiter veralten, der Investitionsrückstau wachsen. Um darauf zu reagieren, habe die Ampel die Korridorsanierung beschlossen, die in diesem Sommer beginne.

Der Bericht soll künftig regelmäßig veröffentlicht werden und in die Steuerung der Infrastruktur einfließen, wie InfraGo schreibt. InfraGO-Chef Philipp Nagl will ihn als zentrale Grundlage verwenden, um den Bedarf bei Erneuerung und Instandhaltung der Infrastruktur zu bestimmen.

Die Bahn sollte hier nicht Fahrkarten verkaufen, sondern Eintrittskarten fürs Museum.

Claus Ruhe Madsen, schleswig-holsteinischer Wirtschafts- und Verkehrsminister 

Besonders anfällig für Verschleiß waren 2022 die Strecken mit höchster Auslastung, die für Stabilität und Pünktlichkeit im gesamten Netz besonders wichtig sind. Dieser Teil der Infrastruktur umfasst rund 3500 Streckenkilometer, was etwa zehn Prozent des gesamten Streckennetzes entspricht. Für diesen Bereich vergibt die Bahn nur eine Note von 3,15. Insbesondere Gleise und Weichen sind dort in einem schlechteren Zustand als im übrigen Netz. Mehr als ein Viertel der Gleise müsste mittelfristig erneuert werden.

Alle Infrastrukturanlagen seien stand-, betriebs- und verkehrssicher, heißt es in dem Bericht. Gerade Anlagen wie Weichen, Bahnübergänge und Stellwerke im hochbelasteten Netz lägen jedoch nur im Notenbereich mittelmäßig bis mangelhaft. Das bedeutet: „Es besteht Handlungsbedarf. Um die geltenden Standards auch weiterhin einzuhalten, müssen bei pünktlichkeitsrelevanten Anlagen zum Teil unverzüglich betriebliche oder technische Maßnahmen ergriffen werden.“

Mit der Generalsanierung von 40 hochbelasteten Strecken will die Bahn die Probleme in den kommenden Jahren angehen. Gestartet wird im Juli auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Für rund fünf Monate soll sie vollständig gesperrt und grundlegend modernisiert werden. Im Jahr darauf ist die Strecke Berlin-Hamburg dran.

Aufgrund der sanierungsbedürftigen Infrastruktur war die Pünktlichkeit der Bahn im vergangenen Jahr so schlecht wie seit vielen Jahren nicht. Rund jeder dritte Fernzug war verspätet unterwegs.

Schleswig-Holstein zog deshalb nun Konsequenzen und kürzt Zahlungen an die Deutsche Bahn. „Wir haben permanent Ärger mit der Bahn. Entweder sind die Schienen kaputt oder die Züge sind kaputt. Schleswig-Holstein zahlt jedes Jahr 150 Millionen Euro Entgelt für ein museumsreifes Schienennetz. Die Bahn sollte hier nicht Fahrkarten verkaufen, sondern Eintrittskarten fürs Museum“, sagte der schleswig-holsteinische Wirtschafts- und Verkehrsminister Claus
Ruhe Madsen am Dienstag dem „Hamburger Abendblatt“.

Wie es in dem Bericht weiter heißt, fehlten dem privaten Bahnbetreiber Erixx Lokführer, dann hätten Softwarefehler massenhaft dessen Züge auf den zentralen Strecken im Land lahm. Von den Zügen der DB Regio wiederum seien gerade einmal vier von zehn, die die Hauptstrecken bedienen, pünktlich. Darauf reagierte Madsen nun und kürzte der DB Regio die Zahlungen von Januar an um mehr als 500.000 Euro monatlich.

Madsens Begründung: „Unpünktlichkeit, Unzuverlässigkeit und fehlende Sauberkeit. Wenn Sie in einer Wohnung leben, in die es reinregnet, kürzen Sie auch die Miete.“

Ohne Handhabe ist das Land allerdings aktuell bei den Zahlungen der sogenannten Netzentgelte. Hier fallen jährlich die von Madsen genannten 150 Millionen Euro an. Allerdings sind die Verkehrsunternehmen Vertragspartner der Bahn, nicht das Land. Der CDU-Politiker bat dem Bericht zufolge deshalb die Firmen, „die Zahlungen an die DB zu
kürzen“. Seine Begründung: das marode Netz. (mit dpa)

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