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Der Hausgerätehersteller Miele streicht 700 Stellen in Gütersloh, Produktion wird nach Polen verlagert.

© imago/ecomedia/robert fishman/IMAGO/Robert B. Fishman / Bearbeitung Tagesspiegel

Miele verlagert Teile der Produktion nach Polen: Verlassen jetzt auch Traditionsunternehmen Deutschland?

Die Waschmaschinenfertigung wandert von Gütersloh nach Polen ab. Ist Miele der Vorbote eines größeren Trends? Drei Experten geben Antworten.

Von
  • Martin Gornig
  • Albrecht von der Hagen
  • Knut Giesler

Vor der Deindustrialisierung Deutschlands wurde zuletzt oft gewarnt. Eine Nachricht aus dieser Woche nährt die Befürchtungen: Der Hausgerätehersteller Miele will wegen sinkender Nachfrage nach seinen Produkten weltweit Stellen streichen oder verlagern.

Bis zu 2700 Jobs könnten entfallen oder von Verlagerung betroffen sein – und allein am Standort Gütersloh sollten 700 Stellen gestrichen werden, weil die dortige Produktion von Waschmaschinen fast komplett nach Polen verlegt wird. Zur Begründung verwies Miele auf den „weltweiten Einbruch der Nachfrage nach Hausgeräten sowie die drastischen Preissteigerungen auf der Kostenseite“.

Nachdem zuletzt die Solarindustrie Alarm geschlagen hatte, weil sie hierzulande keine Zukunft sieht, stellt sich die Frage: Verlassen nun auch die alteingesessenen Traditionsunternehmen Deutschland? Drei Experten schätzen die Lage ein. Alle Folge unserer Serie „3 auf 1“ finden Sie hier.


Es könnten noch viel mehr Firmen fliehen

Deutschland hat zu viele Standortnachteile gleichzeitig, alle gravierend und lange bekannt. Viele Investitionen rechnen sich nun in unserem Land nicht mehr, ausländische Wettbewerber produzieren deutlich günstiger und haben bei der Qualität aufgeholt.

Darunter leiden auch Familienunternehmen, die über Generationen hinweg schwierigste Krisen standorttreu meistern konnten. Dass jetzt selbst gestandene Mittelständler wie Miele es nicht mehr schaffen, ihre Produktion am Stammsitz zu halten und wesentliche Teile ins Ausland verlagern müssen, zeigt das Ausmaß dieser Krise. Auch Traditionsunternehmen werden durch die teuren deutschen Standortnachteile gezwungen, Produktion in besser aufgestellte Länder zu verlagern, damit die nächste Generation nicht das Licht ganz ausmachen muss.

Wenn Bundeswirtschaftsminister Habeck nicht endlich alles auf Angebotspolitik umstellt, wird die ungebremste Deindustrialisierung den Populisten von rechts und links die Tore öffnen, wie wir das schon in den USA oder in Großbritannien sehen.


Viele Unternehmen bereuen die Verlagerung

Miele will mit der Verlagerung nach Polen die Kosten senken. Das ist leider nichts Neues. Diesen Weg haben viele Unternehmen in den letzten Jahrzehnten eingeschlagen. Und viele haben festgestellt, dass dies ein Irrweg war. Die Zahl der Rückverlagerungen ist hoch, weil erkannt wurde, dass eine Verlagerung die eigentlichen Probleme nicht löst.

Im Premiumbereich, wo Made in Germany zählt, kommt es auf Qualität und Produkteigenschaften an. Wenn Miele bei der Stiftung Warentest abrutscht oder bei der Energieeffizienz, die für 50 Prozent der Kunden das entscheidende Kaufargument ist, schlechter als die Konkurrenz ist, hilft keine Kostensenkung, sondern dann braucht es Investitionen in Innovationen und Qualität.

Das Selbstverständnis von Miele ist, „Immer besser“ zu sein als alle anderen Anbieter. Diesen Anspruch gilt es einzulösen, statt den Problemursachen auszuweichen und den vermeintlich einfachen, aber falschen Weg der Kostenreduzierung zu gehen. Besser statt billiger wäre der richtige Ansatz.


Es gibt keinen Grund zur Torschlusspanik

Die Energiekosten sind explodiert, die Fachkräfte werden immer knapper und teurer und die Zahl der Formulare nimmt in Deutschland gefühlt mehr zu als ab. Da wundert es kaum, dass auch alteingesessene Unternehmen über die Grenzen schauen und nach alternativen Produktionsstandorten suchen. Dies gilt gerade für die Großen aus den energie- und lohnintensiven Branchen wie der Chemie oder der Elektrotechnik.

Aber die Verlagerung von Produktionsstandorten ins Ausland ist per se kein Indiz für eine Standortschwäche. Beispiel sind die großen Autokonzerne, die in der Vergangenheit gerade mit der Standortdiversifizierung die Autoproduktion hierzulande gesichert haben. Gleichzeitig besteht vielfach hohes Interesse am größten Industrieland in Europa. Dafür stehen Standortentscheidungen von Chipherstellern oder Batterieproduzenten für Deutschland.

Es gibt also keinen Grund zur Torschlusspanik, aber genug Anlass, erneuerbare Energien billiger, Ausbildungssysteme besser und den Staat digitaler zu machen.

(mit AFP)

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