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Das RAW-Gelände gehört seit 2015 zum größten (westlich gelegenen) Teil der Kurth Gruppe aus Göttingen. Insgesamt beträgt die Grundstücksfläche 51434 Quadratmeter. Ebenfalls seit 2015 besitzt die International Campus AG auf der östlichen Seite einen 18000 Quadratmeter großen Teil des Geländes.

© Kurth Gruppe

Quartiersentwicklung: „Ein bisschen rough muss es ja auch bleiben“

Das RAW-Gelände in Friedrichshain steht vor dem Beginn der verbindlichen Bauleitplanung

Der Ausbau des alten Reichsbahnausbesserungswerks Friedrichshain (RAW-Gelände) in einen veritablen Gewerbestandort geht in die Zielkurve: Am Dienstagabend wurde im Astra Kulturhaus eine Informationsveranstaltung für das zwischen zwischen Warschauer Brücke, Gleisanlagen, der Modersohnstraße und der Revaler Straße gelegene Areal abgehalten. Auf dem Podium: der im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zuständige Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne), Eigentümer Lauritz Kurth für die Kurth Gruppe, Florian Falkenhagen als Vertreter der Anrainerschaft sowie Verfahrenskoordinator und Moderator Marc Steinmetz (Büro a:dks, Mainz/Berlin)). Vor rund einhundert Interessierten war man sich in der Werkstatt Masterplan RAW 2021 weitgehend einig: Großes soll, nein muss hier entstehen!

„Es ist eine Ehre für mich, dass sich das RAW selbst in eine neue Nutzung überführt und gleichzeitig eine radikale Transformation anstrebt“, sagte Schmidt. „Was wir vorhaben, ist der zukunftsweisende Weg“, sagte Kurth. Ein Modellprojekt in Sachen Bürgerbeteiligung also, ein Modellprojekt in Sachen Gemeinwohlorientierung. Aber auch im planerischen Sinne?

Eine klimaneutrale Quartierentwicklung ist nicht geplant

So weit ist man hier noch nicht. Planung in Berlin dauert – und so könnte das RAW von der Wirklichkeit überholt werden. Es geht um mehr als Solardächer und E-Ladesäulen. „Inwiefern wird der Klimanotlage Rechnung getragen?“, fragte eine der ansässigen Gewerbetreibenden. Doch wer will das heute schon beantworten? In der jüngeren Vergangenheit hat sich Berlin (noch) nicht mit der Ausweisung klimaneutraler Quartiersentwicklungen an die Spitze Europas katapultiert. Das RAW-Gelände immerhin hätte das Zeug dazu. Die Aufgaben Instandhaltung und Instandsetzung waren dem Standort schon zu DDR-Zeiten eingeschrieben.

Vieles vom Altbaubestand soll erhalten, gleichzeitig viel Neues gebaut werden. Im Aufstellungsbeschluss für den B-Plan 2-25a (Arbeitsstand: 3. September 2020, verabschiedet am 6. Juni 2019) ist die DNA das RAW-Geländes als „Sondergebiet Soziokulturelles Zentrum“ ausgewiesen, das es zu erhalten gilt. Hier sind kleinere Gewerbetreibende ansässig, einige von ihnen seit Jahrzehnten. Sie bekommen für ihren Bereich („Soziokulturelles L“) eine 30-jährige Bestandsgarantie: Die Mieten bleiben dort niedrig.

In der kommenden Woche soll es nun am Mittwoch einen „Kick-Off“-Ortstermin geben, um ein Konzept für den Masterplan zu finden, mit dessen Ausarbeitung dann eines der Planungsbüros auf Basis eines Gremiumbeschlusses beauftragt wird. Damit beginnt das Fachverfahren. Der Masterplan soll die Grundlage für Gebäude- und Freiflächengestaltung liefern.

Drehkreuz für neue Ideen. Das RAW-Gelände in Friedrichshain soll offen für alle sein - und ein Standort für Gewerbe bleiben. Zu welchen Ziel die Planungen auch immer führen werden: Die Baumasse an der Warschauer Straße wird massiver.

© NIls Klöpfel

Ausgewählt wurden vier Planungs-/Architekturbüro mit besonderer Expertise in den Bereichen Städte- und/oder Hochbau. Es sind dies: Ortner&Ortner Baukunst Gesellschaft von Architekten mbH, Holzer Kobler Architekturen und Cobe/MVRDV. Neben diesen drei Berliner Büros wirken Astoc Architects and Planners GmbH aus Köln an den Planungen mit. Im Februar 2022 soll ein Zielkonzept ausgewählt und nach weiteren Diskussionen im Gremium überarbeitet werden. Beteiligt sind hier neben den Planungsbüros und Vertretern von Anrainern und Bestandsnutzern Vertreter des Eigentümers, sowie der Bezirk und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen.

Bremen will mit klimaneutralen Wirtschaftsstandorten den Standard setzen

Letztere hatte zur Informationsveranstaltung keine Vertreter(in) entsandt. Andere Bundesländer – wie beispielsweise Bremen – machen Quartiersentwicklungen in einer vergleichbaren Größenordnung zur Chefsache. Ziel ist es, wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele miteinander zu verknüpfen. Bei der Erschließung neuer Gewerbegebiete und bei der Weiterentwicklung bestehender Wirtschaftsstandorte liegt der Schwerpunkt daher künftig auf Klima- und Umweltschutz sowie Biodiversität. „Klimaneutrale Wirtschaftsstandorte werden künftig den Standard setzen“, sagte Bremens Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa, Kristina Vogt, auf der Expo Real Anfang Oktober in München.

Zum Bremer Konzept gehört daher, die Gebiete und ihre angesiedelten Unternehmen mit erneuerbaren Energien zu versorgen, Grün- und Wasserflächen zu erhalten oder neu zu schaffen, Abfälle zu vermeiden und effizientes Recycling zu ermöglichen. Fassadengestaltungen und Gründächer sollen dazu beitragen, dass sich Gebäude nicht durch Sonneneinstrahlungen aufheizen. Von einem solchen Paradigmenwechsel war beim RAW-Gelände bisher nicht die Rede.

Berlin beginnt erst, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen: Wie die Stadt die Wärmewende ökologisch und zugleich sozial gerecht gestalten kann, war zum Beispiel am Dienstag in der Urania Thema der Tagung „Wissen. Wandel. Berlin. 2021“ des Forschungsverbunds Ecornet Berlin, dem fünf führende Berliner Institute der Nachhaltigkeitsforschung angehören. Um bis spätestens 2045 klimaneutral zu werden, müssen rund 360000 Wohn- und Nichtwohngebäude der Hauptstadt umweltfreundlich mit Raumwärme und Warmwasser versorgt werden.

Das RAW-Gelände in der Revaler Straße in Berlin-Friedrichshain gehört zu den Kriminalitätsschwerpunkten des Bezirks.

© Kitty Kleist-Heinrich

Zusätzlich müssen alle Neubauten ressourcenschonend geplant und errichtet werden. Neben organisatorischen und technischen Herausforderungen auf dem Weg zu einer klimaschonenden Wärmeversorgung ist eine Schlüsselfrage, wie das sozial gerecht gelingen kann, damit Mieten auch für einkommensschwache Gruppen bezahlbar bleiben.

„Wenn wir den Kollaps des Klimasystems verhindern und den politischen Zielen gerecht werden wollen, müssen klimaneutrales Wohnen und Bauen zum Standard werden“, sagte Thomas Korbun, Sprecher des Forschungsverbunds und Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW).

Allein Carsten Jost, Architekt und früherer Mitorganisator der „Mediaspree versenken“, bürstete die Diskussion im Astra Kulturhaus vor diesem Hintergrund einmal mehr gegen den Strich: „Das RAW kann bis auf die Projekte des Soziokulturellen L, die in der Großbaustelle und späteren Betonwüste ohnehin untergehen werden, abgerissen und mit Sockelbauten, Blocks und Hochhäusern zugebaut werden.“ Kristine Schütt, Gewerbetreibende auf dem RAW-Gelände, beklagte die dichte Baumasse, die geplant sei und möchte der Klimanotlage auch in diesem Plangebiet positiv begegnen.

Baustadtrat Schmidt: Wer nach oben baut, kann entsiegeln

Bezirksstadtrat Schmidt gab zu Protokoll: „Es ist nicht so, dass man sagen kann: Baudichte ist per se klimaschädlich.“ Die Frage sei, wie man baue und nicht, wie viel man baue. „Wenn man noch oben baut, kann man entsiegeln“, sagte der Politiker der Grünen. Er ist stolz auf das bisher Erreichte: „Wir haben zehn Prozent der Baumasse im Neubau und im Bestand gemeinwohlorientiert abgesichert – mit Nullmieten“, sagte Schmidt: „Das ist nicht schlecht.“ Um die Frage, wie sich die Energiewende auf dem RAW-Gelände abbilde, könne aber kein großes Neubauprojekt herumkommen. Ihm und den ortsansässigen Künstlern, Ateliers, Gewerbetreibenden und Initiativen ist vor allem wichtig, dass die alternativkulturelle Kulisse erhalten bleibt und mit Leben erfüllt wird. Es werde werde insgesamt mehr Freiraum geben im Sinne von öffentlichem Raum. „Ein bisschen rough muss es ja auch bleiben.“

Eigentümer Kurth betonte, dass er auf eine organische Weiterentwicklung hofft – und auf neue Betriebe mit entsprechender Wirtschaftskraft. „Die Mischung kann im Kleinen und im Großen funktionieren.“

Hier dürfte Kurth viel Fingerspitzengefühl bei der Vermietung abgefordert werden. Wohl nicht nur Florian Falkenhagen (RAW Kultur L eG) befürchtet, dass es nach der Bebauung auf dem RAW-Gelände zugehen könnte, wie in einem soziokulturellen Zoo, „wo alle von oben aus den Neubauten herunterschauen auf das soziokulturelle L“.

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