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Eine Kapazitätsreserve aus alten Braunkohlekraftwerken nützt zwar den Netzbetreibern relativ wenig. 2,7 Gigawatt sollen vier Jahre als Reserve weiter finanziert werden, aber keinen Strom mehr liefern. Das kostet die Stromkunden im Jahr rund 230 Millionen Euro.

© Julian Stratenschulte/dpa

Energiewende-Kompromiss der Koalition: Her mit der Kohle

Die große Koalition findet mühsam Kompromisse zum Klima und zu Stromnetzen. Die meisten Entscheidungen gehen zu Lasten der Stromkunden und der Steuerzahler.

Aus den „losen Zahnrädern“ der Energiewende habe die große Koalition in der Nacht zum Donnerstag „ein Uhrwerk“ gemacht. So sieht es zumindest Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Nach der langen Nacht im Kanzleramt lobte er den Kompromiss der drei Parteichefs als „historischen Pakt für neuen Wohlstand“. Und mehr noch: Er sprach von der „lang erwarteten Versöhnung von Ökonomie und Ökologie“ und der Energiewirtschaft als erstem Wirtschaftszweig, in dem die totale Digitalisierung umgesetzt werde.

Eineinhalb Stunden nach Gabriel saß Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sekundiert von seiner Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (beide CSU) grinsend in der Berliner Landesvertretung des Freistaates und sagte, er sei mit dem Kompromiss „rundum zufrieden“, Aigner habe die bayerischen „Kernanliegen durchsetzen können“. Inmitten der griechischen Chaostage habe Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die vielen Konflikte der Energiepolitik zum Kompromiss geführt. Sie selbst äußerte sich am Donnerstag nicht dazu.

Die Gewerkschaft IG BCE sieht sich als Sieger

Als Sieger fühlte sich am Ende jedenfalls die Gewerkschaft IG BCE, die Gabriel davon überzeugt hatte, dass für die Stilllegung uralter Braunkohlekraftwerke die Stromkunden aufkommen sollen. Die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, nannte die Lösung „Hartz IV für alte Braunkohlekraftwerke“. Von 2017 an sollen Kraftwerke mit einer Leistung von 2,7 Gigawatt in eine sogenannte Kapazitätsreserve eingestellt und nach vier Jahren stillgelegt werden. Das kostet die Stromkunden im Jahr einmalig zwischen einer und zwei Milliarden Euro und jedes Jahr weitere 230 Millionen Euro. Weil mit dieser Lösung nicht genug Kohlendioxid (CO2) gespart werden kann, werde die Förderung für Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), in denen gleichzeitig Strom und Wärme erzeugt werden, um eine Milliarde Euro erhöht. Dazu kommen Effizienzinvestitionen in einer Höhe von rund 1,2 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt.

So will die Regierung ihr Klimaziel noch erreichen: Bis 2020 soll Deutschland 40 Prozent weniger CO2 ausstoßen als 1990. Auch wenn Umweltschützer diese Entscheidung als „Wortbruch“ der Kanzlerin beim Klimaschutz werteten, meint Christoph Bals von Germanwatch: „Dies ist ein Pyrrhussieg der Kohlelobby. Vieles spricht dafür, dass ihr scheinbarer Sieg den Einstieg in den Ausstieg aus der Kohle einleitet.“ An den Börsen haben sie das noch nicht verstanden: Dort stieg der Wert der RWE-Aktien zwischenzeitlich um rund fünf Prozentpunkte.

Bayern kann sich als Sieger fühlen, weil die deutschen Stromkunden dem Freistaat nun doch zwei Gaskraftwerke mit einer Leistung von je 600 Megawatt in Haiming und Leipheim finanzieren werden. Auch das bereits gebaute und derzeit stillgelegte neue Gaskraftwerk von Eon in Irsching wird mit einer großzügigeren Bezahlung auf Kosten der Stromkunden betriebsbereit gehalten und darf nach vier Jahren Stillstand wieder in den Markt zurückkehren. Das ist dann eine Art Kapazitätsmarkt nur für Süddeutschland, während es sonst dabei bleibt, dass sich Kraftwerke aus dem Verkauf des Stroms finanzieren müssen, was derzeit gerade nicht mehr funktioniert, künftig aber wieder möglich werden soll.

Erdkabel sind schwerer und komplizierter bei der Verlegung, weil sie so schwer sind. Aber sie erhöhen nach Überzeugung von Politikern und Netzbetreibern die Akzeptanz der Bürger.

© Roland Weihrauch/dpa

Abstriche musste Bayern im Streit um den Netzausbau machen. Die großen Gleichstromleitungen aus dem Norden und Osten in den Süden verlaufen zwar leicht verändert, aber es bleibt dabei, dass sie gebaut werden. Die Südostleitung aus Sachsen-Anhalt soll nun auf bereits bestehenden Masten verlegt werden. Der sogenannte Südlink von Brunsbüttel bis Großgartach in Baden-Württemberg und Grafenrheinfeld in Bayern soll, wo immer es möglich ist, als Erdkabel verlegt werden. Ilse Aigner und Horst Seehofer gaben sich überzeugt, dass das die „Akzeptanz der Bürger“ erhöhen werde. Das kostet die Stromkunden dann rund 0,15 Cent pro Kilowattstunde Strom mehr Netzgebühren, hieß es.

Reaktionen auf den Energiekompromiss

Die Wirtschaft habe nun Orientierung, sagte Vizekanzler Sigmar Gabriel nach der langen Nacht im Kanzleramt zur Energiewende. Nicht alle sind so euphorisch.

„Nach einer strittigen Debatte ist es gelungen, tragfähige Lösungen zu finden, die gut sind für das Klima, die Arbeitsplätze und die industriellen Standorte.“

Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft IG BCE

„Das nun beschlossene IG-BCE-Modell hilft RWE und Vattenfall, nicht aber den Bergleuten.“

Hermann Falk, Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energien

„Ein wichtiger Baustein für einen effizienten künftigen Kraftwerkspark fehlt. Der industriellen Kraft-Wärme-Kopplung bleibt die Perspektive verwehrt.“

Matthias Zelinger, energiepolitischer Sprecher des VDMA

„Der Kohleausstieg ist auf der Tagesordnung und wird von dort nicht mehr verschwinden. Jetzt gilt es, einen Kohleausstiegsfahrplan 2035 zu erarbeiten.“

Regine Günther, Klimaexpertin der Umweltstiftung WWF

„Die Braunkohle ist derzeit ein unverzichtbarer Teil des Energiemixes. Wir brauchen sie als Brückentechnologie für das Gelingen der Energiewende.“

Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB)

„Damit hat die Regierung faktisch ihr klimapolitisches Scheitern vereinbart.“

Hubert Weiger, Vorsitzender BUND

„Die Bundesregierung löst mit ihrer Übereinkunft einen Entscheidungsstau bei der Energiewende aus. Das macht den Weg frei für mehr Akzeptanz und Investitionssicherheit.“

Holger Lösch, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI)

„Ich entscheide nicht politisch, wo Gaskraftwerke hinkommen, sondern frage, was nötig ist.“

Franz Untersteller (Grüne), Umweltminister in Baden-Württemberg

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