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Die Fahrradbranche freut sich über steigende Umsätze.

© Andreas Klaer

Das Geschäft boomt: Fahrradwirtschaft fordert Ausbau von Radwegen und Subventionen

Auch in Krisenzeiten sind Beschäftigung und Umsätze gestiegen. Der Bundesverband Zukunft Fahrrad sieht dennoch viel Potenzial ungenutzt.

Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Januar zum „Mobilitätsgipfel“ lud, trafen sich fast ausschließlich Vertreter der Automobilwirtschaft. Für Wasilis von Rauch, Geschäftsführer des Bundesverbands Zukunft Fahrrad, zeigt das ein veraltetes Mobilitätsverständnis. „Das Fahrrad ist vom Lastenrad bis zum E-Bike nicht nur zentraler Treiber der Mobilitätswende, sondern auch eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft“, sagte er am Mittwoch bei der Vorstellung einer Branchenstudie zur Fahrradwirtschaft in Deutschland des T3 Transportation Think Tank.

Demnach stiegen von 2019 bis 2022 in den Kernbereichen Herstellung, Handel und Dienstleistungen die Zahl der Beschäftigten um rund 30 Prozent und der Umsatz um 70 Prozent. Den Fahrradtourismus mit eingerechnet, arbeiteten im vergangenen Jahr mehr als 325.000 Menschen für die Fahrradbranche. Es könnten jedoch noch mehr sein: Allein der Fachhandel meldet 18.000 offene Stellen, Fachpersonal wird in allen Bereichen gesucht.

Fahrrad-Leasing als Hauptmotor des Marktes

Der gesamte steuerbare Umsatz lag 2022 bei fast 45 Milliarden Euro (netto). Den größten Zuwachs verzeichnete der Bereich Dienstleistungen, also etwa Dienstrad-Leasing, Abomodelle und Bikesharing. „Das Leasing ist der Hauptmotor des Marktes“, sagte von Rauch. So wurden 2022 600.000 neue Räder geleast, die preislich bei mehr als 3000 Euro liegen. Positiver Effekt des Dienstrad-Leasings sei, dass dadurch der Alltagsradverkehr gestärkt werde. Damit dieser weiterwächst, müsse jedoch das Radwegenetz unverzüglich ausgebaut werden. Momentan bewerten 70 Prozent der Nutzer:innen das Wohlbefinden auf Fahrradwegen mit der Schulnote 4, wie der jüngste Fahrradklimatest des Fahrradclubs ADFC zeigte.

Wir brauchen eine Fahrrad-Wirtschaftsstrategie und regelmäßige Spitzengespräche der zuständigen Ministerien mit der Branche, um diese zügig umzusetzen.

Wasilis von Rauch, Geschäftsführer des Bundesverbands Zukunft Fahrrad

Für einen stabilen Fahrradwirtschaftsstandort muss aus Sicht von Zukunft Fahrrad aber auch die Nachfrage angekurbelt und müssen Unternehmen gefördert werden. Vorbild sei der Fahrradtourismus, wo gut ausgebaute Wege, die in Städten und Gemeinden häufig noch fehlten, für hohe Nachfrage und damit kräftiges Wirtschaftswachstum sorgten. So wuchs die Zahl der Beschäftigten im Fahrradtourismus bis 2022 auf 263.000, die Umsätze stiegen seit 2019 um rund 40 Prozent. Konkret wünscht sich Zukunft Fahrrad eine stärkere Förderung von Diensträdern, Cargobikes und Mobilitätsbudgets, die Unternehmen ihren Mitarbeitern anbieten – etwa anstelle eines Dienstwagens.

Frankreich und Portugal helfen lokaler Fahrradwirtschaft gezielt

Als Vorbild gelten Frankreich oder Portugal, die die lokale Fahrradwirtschaft gezielt unterstützen. Portugal ist mit seinem „Bike Valley“ inzwischen der größte Fahrradhersteller in Europa. Auf Beschluss des Parlaments senkte das Land Anfang 2023 die Mehrwertsteuer auf Fahrräder von 23 auf sechs Prozent. Frankreich hat einen Branchenvertrag aufgesetzt, wonach sich die französische Fahrradproduktion bis 2030 verdoppeln soll. Zukunft-Fahrrad-Geschäftsführer Wasilis von Rauch wünscht sich eine solche Unterstützung auch von der Bundesregierung: „Wir brauchen eine Fahrrad-Wirtschaftsstrategie und regelmäßige Spitzengespräche der zuständigen Ministerien mit der Branche, um diese zügig umzusetzen.“

Die Ampel bekennt sich im Koalitionsvertrag zwar zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans 3.0 der Vorgängerregierung. Doch das Kapitel „Fahrrad & Wirtschaft“ beschränkt sich auf Bekenntnisse zur Relevanz der Fahrradwirtschaft, enthält aber keine wirtschaftspolitische Strategie. Dynamik in das Thema bringen könnte die Weltleitmesse Eurobike, die kommende Woche in Frankfurt am Main startet.

Produktion kommt von Asien nach Europa zurück

Mit einer nationalen Fahrradstrategie, so die Hoffnung des Verbands, würden in Zukunft auch noch mehr Räder in Deutschland statt in Fernost produziert. Branchenexperte Ralf Kindermann beobachtet im Zuge der Lieferkettenprobleme wegen der Coronapandemie und des Ukrainekriegs bereits „starke Reshoring-Tendenzen“, also das Zurückholen von Produktion aus Asien nach Europa.

Als Beispiel nannte er den Rahmenhersteller V-Frames aus Thüringen, der ein innovatives Carbon-Spritzgussverfahren entwickelt. Die Nähe der Lieferkette sei auch entscheidend, um Schwankungen auszugleichen. So kamen viele Händler in der Pandemie der Nachfrage kaum hinterher, während sich mittlerweile in den Lagern Überkapazitäten aufgebaut haben. Die steuerbaren Umsätze in der Herstellung stiegen von 2019 bis 2022 um mehr als 60 Prozent auf 7,5 Milliarden Euro.

Die Beschäftigtenzahlen stagnierten zunächst trotz steigender Umsätze und zogen erst in den Folgejahren an – im Gesamtzeitraum um gut 16 Prozent. Phasenweise fehlte schlicht das Material zur Herstellung, so der Verband, hinzu kamen Lieferkettenprobleme und explodierende Transportkosten. Dies alles zusammen habe trotz steigender Umsätze für wenig Planungssicherheit gesorgt.

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