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Gesundheit: Korruption in der NS-Zeit: Die Gier der Goldfasane

Die Deutschen fanden 1933 schnell einen Spitznamen für die NSDAP: "Na, suchst Du auch ein Pöstchen?" Und das nicht ohne Grund.

Die Deutschen fanden 1933 schnell einen Spitznamen für die NSDAP: "Na, suchst Du auch ein Pöstchen?" Und das nicht ohne Grund. Nach der Machtübernahme Hitlers wurden rund 100 000 Parteigenossen mit Posten im Staatsdienst versorgt - "die größte öffentliche Patronage der jüngeren Geschichte", sagt der Neuzeithistoriker Frank Bajohr. Sein Buch über die Korruption in der NS-Zeit "Parvenüs und Profiteure" ist jetzt erschienen. Bajohrs These: Die Korruption war nicht nur weit verbreitet im NS-Staat, sie war ein wesentliches Kennzeichen des Herrschaftssystems, "das Schmiermittel für die politischen Klientelstrukturen und damit funktional und stabilisierend".

Während sich im letzten Jahr die Autoren Gerd R. Ueberschär und Winfried Vogel schon einmal einem Ausschnitt dieses Themas widmeten - "Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten" - legt Bajohr nun eine umfassende Geschichte der Korruption im Dritten Reich vor.

Ein keineswegs außergewöhnliches Beispiel für die verbreitete Ämterpatronage der ersten NS-Jahre ist Hamburg. In der Hansestadt regelten genaue Vorgaben die Aufteilung der Beute. Je 43 Prozent der neu zu besetzenden Stellen im öffentlichen Dienst waren NSDAP- und SA-Mitgliedern vorbehalten, die restlichen 14 Prozent der SS.

Deutsche Beutegemeinschaft

Und auch nachdem diese erste Welle von Belohnungen für treue Dienste abgeebbt war, gingen Bestechung, Patronage und Beutemachen munter weiter. "Die nationalsozialistische Volksgemeinschaft war auch eine Beutegemeinschaft", sagt Bajohr. Die hohen Staatsfunktionäre schufen sich Sonderfonds, mit denen sie ihre Gefolgschaft bei der Stange hielten - denn eine starke Anhängerschaft entschied über Macht und Ohnmacht im Kompetenzchaos des Dritten Reiches. Diese Töpfe füllten Gelder, die aus den öffentlichen Haushalten abgezweigt wurden, Spenden der Industrie und Honorare für dubiose Dienstleistungen. So kassierte Hitler unter anderem insgesamt 52 Millionen Reichsmark von der Reichspost für die Verbreitung seines Konterfeis auf Briefmarken.

Gerade die ganz Großen des Regimes bereicherten sich schamlos am Staat. Kaum einer von Hitlers innerem Führungszirkel zahlte Steuern. Und wenn doch, dann zu stark reduzierten Sätzen. Dabei war den Nazis durchaus bewusst, dass die Bevölkerung darauf allergisch reagieren könnte, hatte die NSDAP doch während der Weimarer Republik immer wieder die angebliche Korruption der Politiker angegriffen. Deshalb wurden nach 1933 die Steuerakten von Goebbels, Göring, Himmler, Speer und Co. als Staatsgeheimnisse behandelt.

Beute ließ sich auch mit dem Rassenhass machen. Man zwang Juden, Geld an Nazifunktionäre und -organisationen zu spenden. Viele von ihnen plünderte man bei fingierten Hausdurchsuchungen regelrecht aus. Selbst viele einfache Bürger fanden nichts dabei, sich am Eigentum ihrer deportierten jüdischen Nachbarn zu bereichern. Bajohr: "Die Korruption im Dritten Reich war außerordentlich vielgestaltig."

Nur bei einem verstanden die Nazis keinen Spaß: wenn einer von ihnen in die eigenen Kassen langte. Und es geschah recht häufig, dass (kleine) NSDAP-Funktionäre, die nicht an die Staatströge heranreichten, Mitgliedsbeiträge für die Partei und Einnahmen aus Partei-Sammlungen unterschlugen. "Der NSDAP-Reichsschatzmeister strengte zwischen 1934 bis 1941 fast 11 000 entsprechende Verfahren an." Ob jemand deswegen tatsächlich belangt wurde, hing von der politischen Opportunität ab. Wie wichtig war der Beschuldigte? Und hatte ein solches Verfahren einen Nutzen für die NSDAP? In der Öffentlichkeit wurden derartige Vergehen nicht diskutiert. Wenn überhaupt, durfte die Presse nur verschleiernd über diese Prozesse berichten. Dann hieß es beispielsweise: "Der Angeklagte gehörte einer Organisation an."

Zwar sorgte die Korruption bei der Bevölkerung für Unmut, allerdings nicht in staatsgefährdendem Ausmaß. Man gewöhnte sich daran, hielt sie für die Schattenseite eines erfolgreichen Systems. "Wenn das der Führer wüsste", wurde zum geflügelten Wort jener Zeit. Die Leute brachten es fertig, die Korruption der Funktionäre von ihrem Boss zu trennen. Sie hielten Hitler für unbestechlich und bescheiden. Dabei war er "der politische Bandenchef" (Bajohr).

Mit den ersten Rückschlägen im Krieg ab Winter 1941 und der sich ständig verschlechternden Versorgungslage war es mit dieser Toleranz vorbei. Der Sozialneid gegenüber den üppig lebenden Bonzen führte zu einer immer offener geäußerten Kritik. Das Regime nahm den Unmut ernst, fürchtete man doch, dass die "Heimatfront" wie im Ersten Weltkrieg zusammenbrechen könnte. Aktionismus schien das Gebot der späten Stunde zu sein. Hitler befahl 1942 seinen "Goldfasanen" eine bescheidenere Lebensführung. In Schauprozessen opferte man angebliche Kriegsgewinnler, um Entschlossenheit zu beweisen.

"Die Kleinen hängt man"

Einer dieser Fälle war das Verfahren gegen den Gauamtsleiter der NS-Volkswohlfahrt Schleswig-Holstein, Wilhelm Janowsky. Nach den Bombenangriffen auf deutsche Städte im Frühjahr 1942 öffnete die NS-Führung die Lebensmittellager und ließ den Inhalt an Ausgebombte verteilen, um die Moral zu stärken. Janowsky hatte dabei Pralinen, Sekt, Zigarren, Kleidung und Schuhe für sich und seine Freunde "mitgehen" lassen. Er sollte nun das Bauernopfer sein. Und tatsächlich verurteilte ihn ein Gericht im August 1942 nach der "Volksschädlingsverordnung" zum Tode. Das Urteil wurde im Dezember vollstreckt.

Die Wirkung auf die Moral der Bevölkerung blieb jedoch zwiespältig. "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen", dachten viele. Denn: "Eine durchgreifende Bekämpfung der Korruption war damit nicht verbunden", sagt Frank Bajohr. Wie auch, war die Günstlingswirtschaft doch immanenter Bestandteil des Dritten Reiches. "Die Cliquen waren das stabilisierende Element im Herrschaftschaos des NS-Staates."

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