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Wackliger Rückhalt. Martin Schulz (l.) ist darauf angewiesen, dass die Delegierten aus Michael Groscheks Landesverband für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen stimmen. Foto:

© Rolf Vennenbernd/dpa

Vor dem SPD-Parteitag: Michael Groschek: Die Macht am Rhein

Er stemmte sich erst gegen eine große Koalition, nun kämpft er für sie. Nordrhein-Westfalens SPD-Chef will ringt auch mit seinem mächtigen Landesverband. Sein Scheitern hätte drastische Folgen.

Düsseldorf scheint wegzufliegen an diesem Tag, an dem Friederike die Republik im Griff hat, sie durchrüttelt und durchschüttelt. In Düsseldorfs Altstadt flattern Blechplatten vom Dach, zerrt der Orkan auch an den Fahnen auf der Kavalleriestraße in Spuckweite des nordrhein-westfälischen Landtags. „NRW SPD“ steht auf den Flaggen. Sie knarren, sie flattern, drehen sich mal hier hin, mal da hin, fast scheint es, als sollten sie abreißen und sich verlieren im Sturmgebrause und im Nirwana. Aber die Fahnen trotzen.

Hinter den Fahnen befindet sich die Parteizentrale des SPD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen und darin sein Chef Michael Groschek. Der war mal Maat in der Bundesmarine, fuhr also zur See, ist folglich per definitionem sturmerprobt, er trotzt ihm auch.

Der 61-jährige Groschek wurde in den vergangenen Tagen zur zentralen Figur in der Frage, ob diese Republik demnächst mal wieder mehr hat als nur eine geschäftsführende Regierung. Groschek, der Mann mit dem gegerbten Gesicht und den markanten Augenbrauen, steht dem mitgliederstärksten Landesverband der SPD vor. Wenn die Partei am Sonntag bei ihrem Parteitag darüber entscheidet, ob sie Koalitionsverhandlungen mit der Union über eine erneute gemeinsame Regierung aufnimmt, stellt die nordrhein-westfälische SPD rund ein Viertel der Stimmberechtigen. 144 Delegierte aus Michael Groscheks Landesverband werden damit auch über die Zukunft der Partei entscheiden, zum Vergleich: Sachsen-Anhalt entsendet gerade einmal sechs Delegierte.

"Mitbestimmung bedeutet eben auch Mitverantwortung"

Sich am Regieren beteiligen oder doch lieber oppositionell bleiben – „man kann sich hier wie dort die Hände schmutzig machen“, sagt Groschek, während draußen vor der Tür Friederike die Äste von den Bäumen reißt, „aber Mitbestimmung bedeutet eben auch Mitverantwortung“.

Ein Viertel aller Delegierten, gute Güte, das ist Macht auf so einem Parteitag. Und bis dato hat sich diese Macht deutlich und vehement gegen die Große Koalition ausgesprochen. „No GroKo“ war der Ruf, der aus Nordrhein-Westfalen ins gesamte Land schallte. Und Michael Groschek, mitunter auch Mike genannt, war kurz nach dem Desaster der Bundestagswahl zusammen mit Parteichef Martin Schulz der lauteste Rufer.

„Mitbestimmung bedeutet eben auch Mitverantwortung“ – ist das die neue entschuldigende Erlösung für den Wendehals?

Michael Groschek sagt, die Ergebnisse der Sondierungen hätten ihn eben seine Meinung ändern lassen. „Wir werden am Sonntag eine überzeugende und überzeugte Mehrheit für die Verhandlungen zur großen Koalition bekommen“, sagt Groschek, „danach wird eine Mitgliederbefragung entscheiden, ob das Verhandlungsergebnis für die SPD akzeptabel ist.“ Ja, so sieht das Procedere aus, aber ist es auch akzeptabel innerhalb der SPD?

Groschek sitzt da in der Landeszentrale, wirkt entspannt, in sich ruhend, gekleidet in Jeans, einem am Kragen geöffneten Hemd, darüber ein Sakko. Groschek, geboren im Dezember 1956 in der damaligen Malocherstadt Oberhausen, machte Abitur am Heinrich-Heine-Gymnasium in der Lohstraße, studierte Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaften an der Gesamthochschule Essen. Mit seinem Werdegang, mit Jeans und Sakko, ist er so etwas wie die personifizierte Inkarnation des Godesberger Programms der SPD. 1959 hatte sich die Partei in Bad Godesberg – damals bei Bonn, heute Stadtteil der einstigen Bundeshauptstadt, in der auch der nächste wegweisende, der außerordentliche Parteitag am Sonntag stattfindet –, hingesetzt und sich neu definiert. Weg von der sozialistischen Partei der sich vereinigenden Proletarier, hin zur Volkspartei, in der auch Studiosi wie Groschek ihre politische Heimat finden.

Wochenlange Tingeltour durch die Ortsverbände

Wie vor fast 70 Jahren in Bad Godesberg sieht sich die SPD an diesem Wochenende essenziellen Fragen ausgesetzt. Wer sind wir? Wo stehen wir? Was wollen wir? Michael Groschek weiß, dass viele Menschen Antworten auf diese Fragen erwarten. „Die nächste GroKo muss eine Koalition der klaren Kante sein“, sagt er deshalb, „in der letzten herrschte eine Misstrauenskultur, das darf und wird sich nicht fortsetzen.“

In den vergangenen Wochen war Groschek auf Tingeltour durch die Ortsverbände seiner Partei. Er wollte, musste, Überzeugungsarbeit leisten für eine Sache, von der er sich selbst erst überzeugen musste. „Aber die Sondierungsgespräche haben doch gezeigt, dass wir uns in wichtigen Punkten durchsetzen konnten“, sagt Groschek. „Und dass wir bereit sind, Fehler aus der Vergangenheit, eigene Fehler zu korrigieren.“

Daran glauben längst nicht alle SPD-Mitglieder, vor allem die Jusos, die jungen Sozialdemokraten, geben keine Ruhe, sie fordern weiter die Oppositionsrolle. Und so geht ein Riss durch die Partei – und auch durch Michael Groscheks Familie. Während der Landeschef am Dienstag im Düsseldorfer „Holiday Inn“ vor Parteimitgliedern gemeinsam mit Martin Schulz für den Eintritt in eine große Koalition warb, protestierte Groscheks 27 Jahre alter Sohn Jesco vor dem Hotel mit einer Juso-Abordnung gegen das politische Ziel seines Vaters.

Selbst zaghafte Schritte fallen der Partei zurzeit schwer

Er habe Respekt vor den politischen Überzeugungen seines Sohnes, sagte Michael Groschek der „Rheinischen Post“. Als er im selben Alter gewesen sei, habe auch er ausschließlich an den großen Wurf geglaubt. „Heute weiß ich, dass der große Wurf manchmal schrittweise leichter erreicht werden kann als in einem einzigen großen Aufschlag.“

Aber selbst die zaghaften Schritte fallen der Partei zurzeit schwer, die neuesten Umfragen helfen nicht dabei, mutig voranzuschreiten. Wenn am nächsten Sonntag gewählt würde, verlöre die SPD laut ZDF-Politbarometer weitere drei Prozentpunkte und käme nur noch auf 20 Prozent. Zahlen wie diese machen Groscheks Mission nicht einfacher.

Also muss es grundsätzlich werden im Gespräch mit Michel Groschek. Wer also sind wir als SPD? Wo stehen wir als SPD? Was wollen wir als SPD? Und wo wollen wir hin als SPD? Im Foyer der NRW-Zentrale der SPD hängt das berühmte Bild von Willy Brandt, wie er in Warschau 1970 als Zeichen der Demut und der Mitverantwortung niederkniet vor dem Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos der Nazizeit. Ein Bild und eine Haltung, die viele Menschen überzeugten von den Ideen und Zielen der Sozialdemokratie.

Wie grenzt sich die SPD ab?

Bild und Haltung haben von ihrer Kraft nichts verloren, „aber wir können heute nicht mehr nur in der weiten Vergangenheit schwelgen“, sagt Michael Groschek. „Dann geht es uns wie dem HSV, der heute bei allem ehemaligen Ruhm gegen den Abstieg spielt.“

Da steckt die zweite Aufgabe der SPD. Sich nicht nur einzumischen in die Regierungspolitik, sondern sich wieder darzustellen, als Alternative zur Politik der CDU/CSU. „Wir sind keine Arbeiterpartei mehr, wir sind die Partei der Arbeit“, sagt Groschek. Aber wie sich abgrenzen? Gegen die AfD ist das nicht schwer, gegen die CDU der nahezu sozialdemokratischen Kanzlerin Angela Merkel ist es schon schwieriger. Und gegen die Linke, deren Sahra Wagenknecht gerade zur Sammlungsbewegung der linken Menschen aufgefordert hat. „Ach“, sagt Groschek, „die Linke ist zerrissen. Da gibt es die ostdeutsche Gruppe mit dem Habitus der Kümmererpartei, und da gibt es die westdeutsche Gruppierung mit den Salonrevoluzzern.“ Das klingt stimmig, ist aber noch keine Antwort auf die Frage, wo und wie sich die Sozialdemokratie künftig positionieren will. „Wir müssen wieder die Partei des Fortschritts werden und linke Heimatpartei“, sagt Groschek.

Friederike zerrt draußen vor der Parteizentrale immer noch an den Verhältnissen. Es stürmt im Land, es braust, „aber wir haben doch keine Weimarer Verhältnisse“, sagt Groschek, „wir sind immer noch ein stabiles Land, wir sind immer noch ein stabiles Europa, und in dem brauchen wir eine stabile Sozialdemokratie.“

Er will "kein Schmusekind von Dobrindt" sein

Er habe in allen Gesprächen gespürt, dass die Bereitschaft zur großen Koalition gewachsen sei, sagt Groschek, er sei zuversichtlich, dafür habe er gekämpft. Er sagt auch, er wolle „kein Schmusekind sein von Dobrindt“. Eine Spitze gegen den an der SPD-Basis maximal unbeliebten Unions-Mann, die muss schon noch sein.

Groschek wirkt sehr gradlinig, sehr konsequent, sehr glaubhaft, sehr überzeugt. Die Frage ist nur: reicht das? Sind Groschek und die anderen Befürworter einer Großen Koalition kämpferisch und visionär genug für den Parteitag am Sonntag? An dem sich die kurzfristige Zukunft des Landes entscheiden soll? An dem sich auch die langfristige Zukunft der Sozialdemokratie in Deutschland, ja, auch in Europa entscheiden könnte?

Immerhin, Friederike hat draußen vor der Tür jetzt Ruhe gegeben. Die stolzen Fahnen mit der Aufschrift „NRW SPD“ haben sich zur Ruhe geneigt. Man kann das deuten, wie man will.

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