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Jubeln wie die Weltmeister. Leon Goretzka (mit Pokal) und seine deutschen Teamkollegen wollen auch 2018 zum WM-Kader gehören.

© dpa

Wer schafft es 2018 in den WM-Kader?: Nationalmannschaft: Luxus in der Hinterhand

Auf Jahre hin unschlagbar? Der deutsche Fußball hat mit Größenwahn schlechte Erfahrungen gemacht - aber so viele Möglichkeiten wie Joachim Löw hatte noch kein Bundestrainer.

Die Fußball-Nationalmannschaft ist zurück in Deutschland, das WM-Casting namens Confed-Cup vorüber. Doch anders als bei „Germany’s Next Topmodel“ kann das Publikum jetzt nicht für seinen bevorzugten Kandidaten abstimmen. Die Entscheidung liegt allein bei Bundestrainer Joachim Löw. Zu beneiden ist er darum nicht. „Jeder Spieler, der hier war, hat auf jeden Fall eine bessere Position, als er vor dem Turnier hatte“, hat er nach dem 1:0-Sieg im Finale gegen Chile gesagt. Wir helfen ihm ein bisschen, wen er nächstes Jahr mit nach Russland nehmen sollte.

SICHER DABEI

Torhüter Marc-André ter Stegen hat eine bemerkenswerte Wandlung hinter sich: von Old Flatterhand, der bei Länderspielen regelmäßig patzt, zum Torhüter, der Manuel Neuer am meisten ähnelt. Dass der 25-Jährige in Russland mehr oder weniger Stammkeeper war, ist ein klares Indiz, dass er bei der WM die Nummer zwei hinter Neuer sein wird. Der Torhüter vom FC Barcelona ist dank seiner fußballerischen Fähigkeiten wie Neuer ein elfter Feldspieler. Dass er auch sein Handwerk beherrscht, hat er gegen Chile gezeigt.

Für Timo Werner endete das Turnier nicht nur mit dem Titel, sondern auch mit einer persönlichen Auszeichnung. Mit drei Toren (und dank seiner beiden Assists) ist er Torschützenkönig geworden. In seiner Heimat mag der Leipziger wegen seiner Schwalbe gegen Schalke immer noch nicht wohlgelitten sein; Bundestrainer Löw aber schätzt den 21-Jährigen über alle Maßen. Werner ist nicht nur schnell, er ist auch zielstrebig. Eine Eigenschaft, die bei der EM vor einem Jahr schmerzlich vermisst wurde. Dass Werner manchmal zu verschwenderisch mit seinen Chancen umgeht, ist wohl seinem jugendlichen Alter geschuldet.

Drei Tore hat auch Leon Goretzka erzielt. Der Schalker ist ein Mittelfeldspieler ganz nach Löws Geschmack: schnell, technisch gut, mit Zug in die Tiefe. Überragend sein Tor gegen Australien, als er perfekt in den freien Raum startete, um den Pass von Joshua Kimmich in Empfang zu nehmen. Die Gefahr, dass der 22-Jährige in der Saison vor der WM bei Bayern auf der Bank versauert, besteht offenbar auch nicht mehr. Auf die Frage, ob er bei Schalke bleibe, antwortete Goretzka nach dem Finale: „Ja, natürlich.“

Sichere WM-Starter sind auch Joshua Kimmich, Jonas Hector und Julian Draxler, die längst zum Stamm der Nationalmannschaft gehören. Hector und Kimmich spielen bei Löw immer. Kimmich hat seit seinem Pflichtspieldebüt bei der EM nicht nur immer in der Startelf gestanden – er hat auch immer durchgespielt.

GUTE CHANCEN

Drei Tore hat Lars Stindl in vier Einsätzen beim Confed-Cup erzielt. Aber nicht nur deswegen hat er sich in der Hierarchie der Alternativ-Nationalmannschaft weit nach oben gespielt. Stindl ist ein Mittelfeldspieler, wie Löw ihn liebt – nur hat Löw das bis vor ein paar Wochen selbst noch nicht gewusst. Stindl bewegt sich geschickt in den von Löw erfundenen Zwischenräumen. Nachteil ist sein fortgeschrittenes Alter von fast 29 Jahren – und die namhafte Konkurrenz auf seiner Position. Lars Stindl müsste niemand Geringeren als Thomas Müller verdrängen.

Der Hoffenheimer Niklas Süle verfügt mit 95 Kilogramm verteilt auf 195 Zentimeter nicht nur über eine beeindruckende Statur. Er scheint auch ein furchtloser Bursche zu sein. Der 21-Jährige wechselt in diesem Sommer zum FC Bayern, wo er als Innenverteidiger mit Jerome Boateng, Mats Hummels und Javier Martinez konkurriert, die man selbst mit 95 Kilogramm Körpergewicht nicht mal eben zur Seite schiebt. Sollte sich Süle auch bei Bayern behaupten, wird er automatisch ein Kandidat für die WM. Beim Confed-Cup hat er von allen Innenverteidigern den stabilsten Eindruck hinterlassen. Trotzdem stand er nur zweimal in der Startelf.

Das lag vielleicht daran, dass der Bundestrainer ein Faible für Antonio Rüdiger hat. Warum, das haben auch dessen Auftritte in Russland nicht zweifelsfrei klären können. Der beste deutsche Innenverteidiger dieses Sommers war jedenfalls nicht Antonio Rüdiger (auch nicht Niklas Süle, Matthias Ginter oder Shkodran Mustafi), sondern Niklas Stark von Hertha BSC, der mit der U 21 in Polen den EM-Titel gewonnen hat. Sicher, Rüdiger ist eine imposante Erscheinung, er ist schnell, aber manchmal eben auch ein bisschen verträumt und immer für einen Patzer gut, wie man ihn sich als Innenverteidiger eigentlich nicht erlauben sollte.

Mittelfeldspieler Sebastian Rudy ist so etwas wie der Anti-Süle: unscheinbar, ein bisschen verhuscht und lieber im Hintergrund unterwegs. Beim Confed-Cup im Allgemeinen und im Finale gegen Chile im Besonderen war er der stille Held, der es nicht darauf anlegt, selbst zu glänzen, sondern sein Team glänzen zu lassen. Rudy, mit 27 schon einer der Älteren im deutschen Kader, macht vieles richtig, weil er über ein herausragendes Spielverständnis verfügt. In Russland war er einer von nur drei Spielern (neben Kimmich und Draxler), die in allen Begegnungen in der Startelf standen. Dass er sich für einen Wechsel von Hoffenheim zu den Bayern entschieden hat, wo die eher Unscheinbaren eher nicht so geschätzt werden, spricht zumindest für ein gesundes Selbstbewusstsein.

GERINGE CHANCEN

Der Leverkusener Julian Brandt zählt zu den größten Versprechen im deutschen Fußball; eingelöst wurde das Versprechen bisher nicht. Vor einem Jahr blieb Brandt der Schritt vom vorläufigen in den endgültigen EM-Kader noch versagt, und auch beim Confed-Cup ist es dem 21-Jährigen nicht gelungen, seine Unentbehrlichkeit nachzuweisen. Gegen Australien leistete er die Vorarbeit zum ersten Tor der Deutschen, danach aber gewährte Löw ihm nur noch zwei Kurzeinsätze. Brandt muss in Leverkusen die Unwiderstehlichkeit wiederfinden, die sein Spiel in den Wochen vor der EM 2016 ausgezeichnet hat. Andernfalls dürfte er es angesichts der Konkurrenz auf den Außenbahnen (Marco Reus, Julian Draxler, Thomas Müller, Leroy Sané) schwer haben.

Innenverteidiger Matthias Ginter ist der eifrigste Titelsammler im deutschen Fußball: Weltmeister, Silbermedaillengewinner bei Olympia und jetzt auch noch Confed-Cup-Sieger. Trotzdem ist er alles andere als Stammkraft bei Joachim Löw. Auch bei Borussia Dortmund war Ginter nie unumstritten. Unter anderem deshalb ist er nun zu Ligakonkurrent Borussia Mönchengladbach gewechselt, der sich schon zweimal vergeblich um ihn bemüht hatte. Vielleicht hilft dem 23-Jährigen diese Wertschätzung, um in seinen Leistungen konstanter zu werden.

Wie Ginter war auch Shkodran Mustafi 2014 schon beim WM-Titel dabei. Anders als Ginter hat er in Brasilien sogar gespielt – wenn auch nicht besonders gut. In Russland ist Mustafi im Gruppenspiel gegen Chile ein folgenschwerer Fehler unterlaufen, anschließend musste er auf die Bank – bis er im Finale gegen Chile wieder in der Startelf stand und seine Sache mehr als ordentlich machte.

Liverpools Emre Can gehörte beim Confed-Cup schon zu den gestandenen Spielern im deutschen Team. Er hat sogar schon im EM-Halbfinale in der Startelf gestanden. Das größte Manko des 23-Jährige: Emre Can ist Mittelfeldspieler – und in diesem Ressort mangelt es ganz sicher nicht an hochklassiger Konkurrenz. Wenn man etwa Can und Goretzka nebeneinanderhält, fällt auf, wie schwerfällig Can sich über den Platz bewegt. Man könnte natürlich auch sagen: Can besitzt eine Robustheit wie wenige deutsche Spieler.

Sieben Länderspiele hat die Nationalmannschaft seit Ende Mai bestritten; nur einmal stand Marvin Plattenhardt in der Startelf. Am Quasi-Immer-Spieler Hector kommt Herthas Linksverteidiger nicht vorbei. Seine WM-Chancen hängen daher davon ab, ob der Bundestrainer sich den Luxus erlaubt, einen ausgebildeten Linksverteidiger als Backup für Hector in den Kader aufzunehmen. Plattenhardts Vorteil: Der zweite realistische Kandidat – Marcel Schmelzer – steht in Löws Wertschätzung auch nicht allzu weit oben.

Was für Plattenhardt links gilt, gilt für Benjamin Henrichs rechts. Schön, einen Spezialisten für die Außenverteidigerposition in der Hinterhand zu haben – aber vielleicht nicht zwingend notwendig.

Es kann nur einen geben: Bernd Leno und Kevin Trapp konkurrieren um den Platz als dritter Torhüter. Leno hat den leichten Vorteil gegenüber Trapp durch seinen fahrigen Auftritt gegen Australien verspielt. Auszuschließen ist daher nicht, dass ein anderer noch zum lachenden dritten Mann hinter Neuer und ter Stegen wird. Timo Horn vom 1. FC Köln wird immer wieder als Kandidat genannt. Und das völlig zu Recht.

Dass Amin Younes als einziger Deutscher in Russland kein Mal von Anfang an ran durfte, sagt einiges über seine WM- Chancen. Ein klares Ausschlusskriterium ist das aber noch nicht, weil Younes mit seiner Dribbelstärke über ein Alleinstellungsmerkmal verfügt, das ihn gegen tiefstehende Gegner nachgerade für einen Job als Spezialkraft prädestiniert.

OHNE CHANCE

Der beste deutsche Stürmer? Sandro Wagner ist es nicht – mehr. Timo Werner ist locker an ihm vorbeigezogen, nicht nur in der Bundesliga, auch beim Confed-Cup. Im ersten Spiel stand Wagner noch in der Startelf, danach durfte er keine Minute mehr ran. Zur WM wird Löw wohl nur einen Strafraumstürmer mitnehmen. Und der heißt Mario Gomez.

Einen Gnadeneinsatz hat auch Kerem Demirbay bekommen, der in und mit Hoffenheim eine überragende Saison gespielt hat. Sein Problem ist: Die Konkurrenz im Mittelfeld ist mehr als überragend.

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