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Mit der Zeit bemerkt man wirklich, wie der Pinsel leichter in der Hand liegt.

© Hannah Prasuhn

Inside out – Japan in Berlin (1): Wenn das Reispapier raschelt und die Tinte trocknet

Beim Kalligrafie-Kurs am Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin herrscht konzentrierte Stille. Man findet zu sich selbst. Eine kleine Reportage.

Ohne Pandemie wären unsere elf jungen Journalistinnen und Journalisten der Paralympics Zeitung jetzt eigentlich in Tokio. Von dieser Reise sahen wir zu diesen Spielen ab und sitzen nun in Berlin. Aber sollte es in dieser Stadt nicht auch so etwas wie Japan-Flair geben? Wir haben uns auf die Suche gemacht. Hier unsere Serie Inside out – Japan in Berlin. Teil eins: Kalligrafiekurs am Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin in Dahlem.

Schreiben kann so schwer sein. Zumindest dann, wenn es nicht nur um die mickrigen 26 Buchstaben des Alphabets geht, sondern um Tausende Schriftzeichen. Diese werden, so soll es auch sein, gemalt. Mit Ziegenhaarpinseln und schwarzer Tinte aus Kiefernharz und Tierfetten. Damit alles sitzt – die aufrechte Haltung, der fast rechtwinklig gespreizte Arm, der feste Griff – braucht es Zeit. Sehr viel Zeit.

90 Minuten sind da zu wenig, aber es sind gerade genug, um ein wenig reinzuschnuppern in die Kunst der Kalligrafie. Ein Mittwochabend in Berlin-Dahlem. Der Wind weht durch die Baumwipfel, der Verkehr rauscht vorbei. Es ist laut hier am Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin, wo fünf von den Nachwuchsredakteurinnen und -redakteuren der Paralympics Zeitung an einem Kalligrafiekurs teilnehmen. Zumindest draußen. Denn sobald man den lichtdurchfluteten, kühlen Flachbau betritt, setzt eine Stille ein, die man in der Stadt (selbst in Dahlem) vermisst.

Frau Minagawa lernte Kalligrafie in ihrer Kindheit

Leise, fast schon flüsternd begrüßt Minagawa Saiu die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer. Frau Minagawa, Lehrmeisterin für die Kanji-Schrift, macht Kalligrafie seit sie neun Jahre alt ist und kommt aus Tokio. Mit schnellen Schritten geht sie voran zu den Übungsräumen, wo altes Zeitungspapier, Pinsel und Tinte ausliegen. Und natürlich der Reibestein, ein kleiner Block, der auf der einen Seite ausgehöhlt ist, so dass man dort die Tinte anrühren kann.

An den Wänden hängen eine Karte von Japan – in Landessprache natürlich – und Tabellen, auf denen Dutzende Schriftzeichen zu sehen sind.

Frau Minagawa macht es vor: Sie greift einen Pinsel, fasst ihn etwa in der Mitte des Griffes an und taucht ihn ins Schwarze. Den Pinsel setzt sie beinahe senkrecht aufs Papier, die Pinselspitze geht in einem 45-Grad-Winkel vom Griff ab. Minagawas lange schwarze Haare fallen ihr über die Schulter und bedecken ihr Gesicht.

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Dann zieht sie drei horizontale Linien übers Blatt, das Schriftzeichen für die Zahl Drei. Die Handbewegungen sind nicht schnell, auch nicht langsam, aber sehr bestimmt. „In der Kalligrafie dreht sich alles um die Bewegung des Pinsels und man muss seinen ganzen Körper benutzen, um den Pinsel korrekt zu bewegen“, sagt Minagawa. Das klingt schwer und ist es auch.

Frau Minagawa zeigte ihre Griffe und Pinselschwünge.

© Max Fluder

Beispiel: schwarze Linie. Ein Strich, mehr ist das doch nicht – das könnte man denken. Bis man lernt auf Winkel, Stärke und Dicke der Linie zu achten, als wären sie Geldbeutel, Haustürschlüssel und Handy. Hier ist die Linie zu wenig gebogen, da die Tinte nicht gleichmäßig verteilt und von der Welle, die man nur mit zwei zugedrückten Augen noch Gerade nennen kann, fängt man am besten gar nicht an zu sprechen. Wie schwer es doch sein kann, drei schöne Striche untereinander weg zu ziehen – auf so etwas kommt man auch nur im Kalligrafiekurs.

Gekritzel auf einer Toilettentür neben einem Rembrandt

Für Minagawa ist das natürlich kein Problem. Sonst würde sie auch Kalligrafie-Novizen nicht beibringen, wie es richtig geht. Indem sie um den Tisch herumtigert und immer wieder die gutgelungenen Exemplare hervorhebt. „Great“, sagt sie dann auf Englisch. Oder manchmal auch auf Deutsch: „Toll!“. Wenn sie einem die Griffe und Pinselschwünge ganz genau zeigen möchte, dann beugt sie sich über einem, greift einem an die Hand und führt einfach Hand und Pinsel. Ein bisschen ist es so wie bei einem Tennislehrer, der sich über seinen Schützling beugt.

Hier schrieb Max: KÖNIG.

© Max Fluder

Und mit der Zeit bemerkt man wirklich, wie der Pinsel leichter in der Hand liegt. Wie der Körper beim Zeichnen aufrechter und der Arm rechtwinkliger wird. So wie es sein soll also. Auch die Zeichnungen werden ordentlicher, klarer, aufgeräumter. Trotzdem: Die Schriftzeichen der Anfängerinnen und Anfänger sehen neben denen von Frau Minagawa in etwa so aus wie das Gekritzel auf einer Toilettentür neben einem Rembrandt. Allerdings liegt zwischen 90 Minuten und zweieinhalb Jahrzehnten Erfahrung auch ziemlich viel Zeit.

Was von einem Kalligrafie-Abend für Anfängerinnen und Anfänger bleibt, sind viele Dinge. Tintenschwarze Hände, zumindest dann, wenn man einmal nicht aufmerksam ist und sich selbst bemalt. Schöne Schriftzeichen zum mit nach Hause nehmen. Und vor allem eines: die Erinnerung an die konzentrierte Stille, den Fokus auf nichts als den Pinsel, den Körper und das Zeitungspapier.

Wenn das Reispapier raschelt und die Tinte trocknet, kann man ganz bei sich sein. Das ist Zen. Denn Schreiben ist auf diese Weise nicht nur schwer, sondern auch schön und entspannend.

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier.

Max Fluder

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