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Für ihre Erfolge erntete Schwimmerin Lia Thomas teils heftige Kritik. Ihr wurden überdies „unfaire Vorteile“ vorgeworfen.

© IMAGO/USA TODAY Network

Ausgrenzung und Zwangsouting: Warum die „offene Kategorie“ für Athlet*innen scheiterte

Die Entscheidung, eine dritte Kategorie einzurichten, war umstritten. Nun hat sich überdies niemand angemeldet und die Wettkämpfe werden abgesagt. Was steckt dahinter?

Keine Athlet*innen werden in der „offenen Kategorie“ beim Schwimm-Weltcup in Berlin am kommenden Wochenende antreten. So lautete die Meldung des Weltschwimmverbandes World Aquatics am Dienstagvormittag. Nach Anmeldeschluss könne der Verband bestätigen, dass keine Meldungen für die Wettkämpfe eingegangen seien.

Die „offene Kategorie“ wurde vor allem für trans Sportler*innen, sowie nicht-binäre Personen eingeführt, die dort über 50 und 100 Meter in allen Schwimmarten starten sollten.

Dies hing maßgeblich mit der Verschärfung der Regularien durch den Weltverband zusammen. Dieser hatte im vergangenen Jahr beschlossen, dass trans Frauen nur noch bei den Frauen antreten dürfen, wenn sie geschlechtsangleichende Maßnahmen bis zum Alter von zwölf Jahren abgeschlossen haben. Ab dann muss ihr Testosteronspiegel kontinuierlich unter 2,5 nmol/L gehalten worden sein.

In diesem Zusammenhang wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit der Einführung einer „offenen Kategorie“ auseinandersetzen sollte für Personen, die „nicht die Kriterien für die Männer- oder die Frauen-Kategorie erfüllen“. Bei dem Weltcup in Berlin, der vom 6. bis 8. Oktober stattfindet, sollten nun erstmal Wettbewerbe in dieser neuen Kategorie stattfinden.

Mit der Einführung der offenen Kategorie wurde immerhin anerkannt, dass der Sport nicht binär, sondern mehrgeschlechtlich ist.

Christian Rudolph, Vorstand des Lesben- und Schwulenverbandes

„Wir bedauern es sehr, dass die Initiative von World Aquatics augenscheinlich keinen Anklang gefunden hat“, sagte Kai Morgenroth, Vizepräsident des Deutschen Schwimmverbandes (DSV). „Umso wichtiger ist es jetzt, aktiv Ursachenforschung zu betreiben, zuzuhören und zu lernen, um funktionierende Ideen für zukünftige Projekte zu entwickeln.“

Der DSV hatte das „Pilotprojekt“ zuvor unterstützt und als „Zeichen für mehr Inklusion im Weltsport“ gewertet. „Die Idee war es, Personen aller Geschlechter und Geschlechtsidentitäten den Zugang zum Hochleistungssport im Rahmen internationaler Schwimmwettkämpfe zu ermöglichen“, hieß es vom Verband.

Auch einige Schwimmerinnen hatten die neuen Regularien begrüßt, so etwa Ex-Olympiasiegerin Nancy Hogshead-Makar, die zuvor immer wieder von „unfairen Vorteilen“ von trans Frauen gesprochen hatte.

Auch in anderen Sportarten wird das Thema diskutiert

Gleichzeitig gab es viel Kritik, denn in Ländern wie Deutschland ist es schlicht unrealistisch, eine medizinische Transition vor Vollendung des zwölften Lebensjahres vollständig abzuschließen. Mit der neuen Regelung wurden trans Frauen daher faktisch von den Frauenwettbewerben ausgeschlossen. Auch für die Olympischen Spiele können sie sich nicht mehr qualifizieren.

Für die trans Schwimmerin Lia Thomas, deren Erfolge in den USA eine hitzige Debatte ausgelöst hatten, zerbrach mit der Einführung der neuen Regelung der Traum von den Olympischen Spielen in Paris 2024. Dass sie in Berlin nicht an den Start geht, verwundert wenig. Denn aus der queeren Community gab es immer wieder Kritik an der neuen Kategorie. Die LGBTIQ*-Organisation „Athlete Ally“ etwa fürchtete „weitere Ausgrenzung und Entfremdung“ von trans Personen.

„Mit der Einführung der offenen Kategorie wurde immerhin anerkannt, dass der Sport nicht binär, sondern mehrgeschlechtlich ist“, sagt Christian Rudolph vom Vorstand des Lesben- und Schwulenverbandes. „Trotzdem wird damit trans Frauen ihr Frausein aberkannt. Ich sehe keine Notwendigkeit dieser Kategorie. Ganz im Gegenteil: Sie geht vorbei an Menschenrechten und auch am olympischen Gedanken.“

Der US-amerikanische Schwimmer Iszac Henig setzte bei einem College-Wettbewerb mit diesem Schriftzug ein Zeichen für trans Athlet*innen im Schwimmen.

© IMAGO/USA TODAY Network

Rudolph kritisiert überdies, dass die Einführung der „offenen Kategorie“ einem Zwangsouting gleichkäme. „Davor müssen Athlet*innen geschützt werden.“ Er kann auch das Argument, dass trans Frauen automatisch einen Vorteil haben, nicht nachvollziehen. „Das Argument zieht nicht, wenn man sieht, wie Michael Phelps für seine körperlichen Vorteile gefeiert wurde. Wichtiger wäre es doch, über Aspekte zu sprechen, die Frauen im Sport tatsächlich einen Nachteil verschaffen, zum Beispiel fehlende Prämien oder Förderungen.“

Die internationalen Verbände und Organisationen gehen derweil unterschiedlich mit dem Thema um. Das Internationale Olympische Komitee schreibt kein einheitliches Testosteronlevel mehr vor, das trans Athlet*innen unterschreiten müssen, um zu Wettkämpfen zugelassen zu werden. In Sportarten wie Leichtathletik oder Radsport hingegen wurden die Regularien zuletzt verschärft.

Einen Gegenentwurf bildet die Regel des Berliner Fußball-Verbandes

Rudolph befürchtet, dass die Regularien in der Spitze auch Auswirkungen auf die Breite haben könnten. „Die Diskussion insgesamt wird hochgepusht. Das ist verheerend. Vorurteile kommen auch im Amateursport an und halten Sportler*innen schlimmstenfalls davon ab, in den Sport zu gehen.“

Ein Gegenentwurf zur Regelung des Weltschwimmverbandes ist eine Regelung des Berliner Fußball-Verbandes. Dieser stellt trans, intergeschlechtliche und nicht-binären Personen die Entscheidung, in welchem Team sie spielen wollen, seit dem vergangenen Jahr frei.

Der Weltschwimmverband hat die Idee einer „offenen Kategorie“ derweil noch nicht aufgegeben. „Auch wenn es derzeit keine Nachfrage auf Elite-Ebene gibt, plant die Arbeitsgruppe, die Möglichkeit zu prüfen, in Zukunft Wettkämpfe der offenen Kategorie in Masters-Veranstaltungen aufzunehmen“, heißt es vom Verband. Ob dann – anders als beim Schwimmweltcup in Berlin – auch Anmeldungen erfolgen, wird sich zeigen.

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