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Thomas Tuchel hatte nach dem Bayern-Sieg in Dortmund am Sky-Mikrofon nicht wirklich viel zu sagen.

© Imago/Eibner

Tuchel und seine Fehde mit Matthäus und Hamann: Dünnhäutig, ja – aber in der Sache richtig

Der Bayern-Trainer wird kritisiert und wehrt sich mit Ironie. Das kann man dünnhäutig finden oder einfach als legitimen Versuch interpretieren, sich nicht alles gefallen lassen zu wollen.

Ein Gastbeitrag von Daniel Lemmer

Auch wenn ein Trainer des großen FC Bayern München mit seiner Unterschrift ein regelrechtes Resilienz-Bekenntnis ablegt, bedurfte es in den letzten Tagen keiner besonderen Menschenkenntnis, um eine ungefähre Vorstellung vom seelischen Innenleben des Bayern-Trainers Thomas Tuchel zu bekommen.

Schon rein sportlich war es für ihn und seine Bayern die reinste Achterbahnfahrt. Nach dem 45- minütigen Spektakel gegen Darmstadt folgte zunächst die fast zur Gewohnheit gewordene Pokal Tristesse und nur drei Tage später die beeindruckende Wiedergutmachung im deutschen Classico.

Doch noch mehr als das bittere Ausscheiden gegen Saarbrücken und die erschwerte personelle Ausgangssituation vor dem wohl wichtigsten Spiel dieser Hinserie schienen ihn die beiden Experten Dietmar Hamann und Lothar Matthäus zu beschäftigen und belasten. Die permanenten Nachfragen zu deren anhaltender Kritik an seiner Person nagten am Perfektionisten Tuchel. Je mehr er sich aus den Fängen der beiden Berufsnörgler zu befreien versuchte, umso tiefer schien er sich in diese Affäre zu verstricken.

Nach dem überzeugenden Auftritt seiner Mannschaft gegen Dortmund hätte der Bayern-Coach der üblichen Nachbesprechung im Anschluss an das Topspiel vergleichsweise gelassen entgegentreten können. Im Grunde hatte er diesmal wenig zu befürchten. Der zuletzt Bayern-kritische Rekordnationalspieler Matthäus zeigte sich rundum zufrieden mit der Leistung seines Ex-Vereins und Didi Hamann war gar nicht erst da.

Statt in stiller Zufriedenheit und sanfter Genugtuung die üblichen Fragen zu den Ursprüngen dieser wundersamen Leistungsexplosion stoisch abzuarbeiten, nutzte Tuchel das Aufeinandertreffen mit Sky-Moderator Hellmann und dem Experten-Team Matthäus/Simic – von einem Gespräch kann kaum die Rede sein – zum großen Gegenschlag.

„Ihr habt einen Job. Ihr dürft es benennen. Heute haben wir 4:0 gewonnen. Jetzt müsst ihr eine 180-Grad-Wende machen. Viel Spaß.

Thomas Tuchel nach dem 4:0 in Dortmund bei Sky

Mit beißender Ironie wich er bereits zu Beginn allen Fragen Hellmanns aus, um sich am Ende des „Gesprächs“ dem direkten Austausch mit Matthäus gänzlich zu entziehen. Er möchte in diese Diskussion gar nicht einsteigen, ließ er die Runde wissen. „Ihr habt einen Job. Ihr dürft es benennen. Heute haben wir 4:0 gewonnen. Jetzt müsst ihr eine 180-Grad-Wende machen. Viel Spaß.“, gab er noch zum Besten und verschwand. In der Pressekonferenz wenig später legte er noch einmal nach. Von Abkühlung noch immer keine Spur.

Selbstverständlich ruft das eigentümliche Auftreten Tuchels nun erneut die Kritiker auf den Plan. Dünnhäutig und unsouverän sei dieses Verhalten – im Grunde eines (Bayern-)Trainers nicht würdig. Fast könnte man meinen, dass hier ein unausgesprochener Plan aufzugehen schien: den emotionalen und reizbaren Menschen Tuchel solange unter dem Deckmantel der objektiven Sachanalyse zu provozieren, bis dieser endgültig die Fassung verliert.

Lothar Matthäus analysiert die Bayern-Spiele bei Sky und sparte dabei zuletzt nicht an Kritik.
Lothar Matthäus analysiert die Bayern-Spiele bei Sky und sparte dabei zuletzt nicht an Kritik.

© dpa/Focke Strangmann

Bemerkenswert, dass dies ausgerechnet im Moment der vermutlich besten Leistung unter seiner Führung gelingt. Hohe Einschaltquoten und Klickzahlen sind garantiert. Um mehr geht es vielleicht auch gar nicht. Im Abhängigkeitsgeflecht aus Sport und Medienlandschaft pervertiert der eigentliche main act, nämlich der Fußball, immer häufiger zum Nebenschauplatz.

Dabei macht man sich bei den Bayern seit geraumer Zeit zu Nutze, dass das Vereinsgefüge an der Säbener Straße nach den missglückten Umbrüchen in den letzten Jahren nach wie vor eine gewisse Stabilität vermissen lässt und vor allem in der einstigen Parade-Disziplin – der Abteilung Attacke (meistens in Person des Vereinsvaters Uli Hoeneß) – kaum in Erscheinung tritt. Eine geschlossene Stimme nach außen gibt es bei den Bayern zurzeit nicht. Das musste bereits Neu-Nationaltrainer Julian Nagelsmann schmerzlich erfahren. Und wenn doch einer die Stimme erhebt, dann hat es bisweilen einen selbstzerstörerischen Charakter – wie zuletzt in Hoeneß‘ Stammtischgepolter.

Gegenangriffe müssen die Bayern-Kritiker derzeit kaum fürchten

Die früher üblichen Gegenangriffe von Beckenbauer, Hoeneß oder Rummenigge brauchen Hamann & Co. derzeit nicht fürchten. Entsprechend verpasst man auch keine Gelegenheit, Tuchels Leistungen und Stellenwert im Verein in Frage zu stellen. Aus den Erfahrungen seiner bisherigen Stationen glaubt man zu wissen: Thomas Tuchel ist (gelinde gesagt) kein einfacher Charakter. Früher oder später wird das zu Zerwürfnissen im Verein führen. Zwischen Trainer und Vorstand. Zwischen Trainer und Spielern. Oder gar beidem.

Und da neben den sportlichen Belangen besonders auch die Geschehnisse am Hof des FC Hollywood von besonderem Interesse sind, braucht es keine blühende Fantasie – auch nicht die Fantasie eines Dietmar Hamann –, um der sensationslüsternen Fußball-Medienlandschaft mit der Speerspitze Matthäus-Hamann ein gewisses Kalkül bei den mit der Zuverlässigkeit eines Metronoms auf den Weg gebrachten Giftpfeilen zu unterstellen.

Dietmar Hamann findet das Verhalten von Thomas Tuchel merkwürdig.
Dietmar Hamann findet das Verhalten von Thomas Tuchel merkwürdig.

© dpa/Sven Hoppe

Eines sei hier deutlich gesagt: Die Würde des Menschen, deren Wahrung die heiligen Bayern um Hoeneß und Rummenigge einst in peinlicher Manier einforderten, wurde hier weder von Tuchel noch von einem der genannten Experten verletzt. Unterschätzen sollte man die seelischen Auswirkungen dieser anhaltenden Kritik gleichwohl nicht. Im Nachhinein lassen sich die Dinge leicht relativieren. Waren die Aussagen denn wirklich so schlimm? Muss ein Bayern-Trainer das schlichtweg aushalten? Und hat Leon Goretzka letztlich Recht, wenn er sagt, dass das nun mal zum Zirkus dazugehöre?

Man kann das so sehen. Die Frage sei jedoch erlaubt, ob das wirklich die Form von Berichterstattung ist, die wir uns im Fußball oder im Spitzensport allgemein wünschen. Ja, Tuchels Reaktion mag dünnhäutig und unsouverän gewesen sein. Und vielleicht beweist Reporter-Legende Frank Buschmann auch ein feines Gespür, wenn er daran erinnert, dass es in der Regel die getroffenen Hunde sind, die bellen. Gerade dann wäre es wohl umso mehr die Aufgabe des Trainers, diese Kritik auszuhalten und den berühmten Stolz hinunterzuschlucken. Eine Formulierung, die Tuchel selbst auf der Suche nach einem Neuer-Ersatz kürzlich bemühte.

Die Kategorien der Sachlichkeit scheinen seit langem verschoben

Sicher, er hätte darüberstehen können. Er wäre als doppelter Sieger dieses Schlagabtauschs hervorgegangen. Die sportliche Antwort hatte er gemeinsam mit seinen Spielern ohnehin längst gegeben. Die Kritik wenigstens äußerlich gelassen und souverän zuzulassen, hätte seinem Ansehen in Fußball-Deutschland gewiss nicht geschadet. Trotzdem halte ich seine Reaktion in der Sache für absolut richtig, vielleicht sogar überfällig! Selbst wenn Spieler und Trainerkollegen öffentlich kaum dafür einstehen werden, wird er nicht wenigen aus tiefster Seele gesprochen haben.

Selbstredend ist es die Aufgabe der Experten, die Geschehnisse auf und neben dem Platz zu analysieren und bewerten. Sachliche Kritik zu äußern ist dabei das Kerngeschäft und tatsächlich Teil des großen Fußball-Zirkus. Die Kategorien der Sachlichkeit scheinen jedoch seit langem verschoben und bewegen sich nicht selten an der Grenze des Zumutbaren. Wenn Hamann mal wieder von einer „unterirdischen“ Leistung, einer „vergifteten Atmosphäre“ oder vom „Zweckbündnis“ ohne Liebe spricht, muss man die Sinne schon auf stumm schalten, um die subversiven Absichten in der vermeintlich objektiven Kritik zu überhören.

Dass Matthäus seine Privat-Fehde mit Uli Hoeneß inzwischen auf dem Rücken der sportlichen Führung austrägt, unterminiert allmählich seine bisher unbestrittene Autorität als Fußball-Fachmann. Man muss eine Lanze brechen für Thomas Tuchel, der sich in bester Rudi-Völler-Manier nun weigert, diese Polemik weiter hinzunehmen.

Das Perfide an seinem öffentlichen Widerstand ist, dass man möglicherweise genau das erreicht hat, was man sich seit Langem erhofft hatte. Der cholerische Protagonist im Medien-Theater verliert die Beherrschung und alle Scheinwerfer halten drauf. Bei der nächsten Gelegenheit – ein schwächeres Spiel, ein fragwürdiges Interview oder ein öffentlich gewordener Konflikt mit dem Vorstand (oder gar Spielern) – wird ihm sein dünnhäutiges Auftreten um die Ohren fliegen. Und die Speerspitze wird wieder parat stehen.

Tuchel kann am Ende wohl nur verlieren. Es bräuchte Unmenschliches, um diese Geister für immer zu vertreiben. Von Seiten der Kritiker ist kein Gesinnungswandel zu erwarten. Eher im Gegenteil. Was bleibt, ist wie immer die Hoffnung. Die Hoffnung auf einen Diskurs, in dem das sanfte Wort mehr Gewicht hat als das Geschrei der Zwietracht säenden Miesmacher.

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