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Zur Stelle. Tjark Ernst bekam in Jena wenig zu tun, war aber einmal entscheidend zur Stelle.

© IMAGO/Beautiful Sports

Tjark Ernst auf den Spuren von Oliver Christensen: Die erste echte Prüfung für die Nummer eins von Hertha BSC

Beim Gastspiel von Hertha BSC im Hamburger Volkspark werden Erinnerungen an die Relegation im Mai 2022 wach. Auch da stand bei den Berlinern ein junger Keeper im Tor.

Wenn Hertha BSC an diesem Samstag in der Zweiten Liga (20.30 Uhr, Sport1 und Sky) beim Hamburger SV antritt, sind seit dem letzten Aufeinandertreffen beider Klubs im Volkspark exakt 453 Tage vergangen. Seitdem ist viel passiert, bei den Berlinern vor allem viel Negatives.

Die Relegation vor 15 Monaten und die späte Rettung vor dem Abstieg waren für Hertha so etwas wie der vorerst letzte emotionale Höhepunkt. Marvin Plattenhardt, an beiden Toren zum 2:0-Sieg beteiligt, und der spielende Co-Trainer Kevin-Prince Boateng stiegen an diesem Abend zu Helden auf. Und ein bisschen auch Torhüter Oliver Christensen, dessen exzessive Freude über den Klassenerhalt wohl für immer mit diesem Spiel verbunden bleiben wird.

Nach dem Schlusspfiff schien einiges von dem jungen Dänen abzufallen, der sich ein ganzes Jahr hatte gedulden müssen, ehe er ausgerechnet in den beiden Relegationsspielen sein Debüt für Herthas Profis feierte – und sich unter denkbar schwierigen Bedingungen behaupten konnte.

Im emotionalen Ausnahmezustand. Oliver Christensen feiert die erfolgreiche Relegation gegen den Hamburger SV.

© IMAGO/Matthias Koch

Das, was Christensen im Mai 22 erlebt hat, steht nun an selber Stelle seinem Nachfolger bevor. Tjark Ernst hat bisher zwei Pflichtspiele für Herthas Profis bestritten. Am Ende der vergangenen Saison, im sportlich bedeutungslosen letzten Saisonspiel, stand er gegen den VfL Wolfsburg im Tor, dazu vor einer Woche in der ersten Runde des DFB-Pokals beim Viertligisten Carl Zeiss Jena.

Das Duell im ausverkauften Volkspark ist nun die erste echte Herausforderung für den 20-Jährigen. „Das trauen wir ihm zu, absolut“, sagt Sportdirektor Benjamin Weber.

Durch Christensens Wechsel nach Florenz, aber auch durch die Verfehlung von Marius Gersbeck im Trainingslager ist Ernst unverhofft zu Herthas Nummer eins aufgestiegen. „Davon träumt jeder. Selbstverständlich ist es mein Ziel zu spielen“, hat er nach dem 5:0-Erfolg in Jena gesagt. „Ich war darauf vorbereitet, dass dieser Moment kommen kann. Wenn du dich darauf einstellst, hilft es natürlich.“

Er hat keine Angst vor dem Ball. Er bleibt stehen, macht sich groß, ist ruhig.

Pal Dardai, Herthas Trainer, über Tjark Ernst

Dass es trotzdem Bedenken gibt, ob der junge Torhüter der Aufgabe als Nummer eins bereits gewachsen ist, liegt weniger an seinen bisherigen Leistungen; es liegt vor allem an seinem noch jugendlichen Alter und der mangelnden Erfahrung. In Wolfsburg, bei seinem Bundesligadebüt, wirkte Ernst jedenfalls erstaunlich reif und abgeklärt; in Jena bekam er nur wenig zu tun, war aber einmal, bei einem Flachschuss ins Eck, zur Stelle und lenkte den Ball um den Pfosten.

„Tjark ist ein stabiler Junge. Er hat uns noch nie enttäuscht“, sagt Trainer Pal Dardai, der sogar von sich behauptet, ein Fan des früheren Bochumers zu sein. Anfangs hat Dardai ihn ein bisschen provoziert, ihn gefragt, wer er überhaupt sei und was er bei Hertha mache. „Aber im Training hat er mir gefallen. Er hat keine Angst vor dem Ball. Er bleibt stehen, macht sich groß, ist ruhig. Er erfüllt viele Kriterien, damit er wachsen kann.“

Wie schnell Tjark Ernst in seine neue Rolle hineinwachsen kann und muss, das hängt auch von den Entwicklungen im Fall Gersbeck ab. Herthas Plan war es vor der Saison, zusätzlich zu den ausschließlich jungen Keepern im Kader einen erfahrenen Torhüter hinzuzuholen.

Doch der für diese Rolle vorgesehene Gersbeck, 28 Jahre alt und zweitligaerfahren durch seine Zeit beim Karlsruher SC, ist aktuell suspendiert. Er soll während des Trainingslagers in Zell am See einen jungen Mann krankenhausreif geschlagen haben.

Unter der Woche hat sich Gersbeck mit seinem Opfer außergerichtlich geeinigt. Zumindest eine Zivilklage ist damit abgewendet; ob die Angelegenheit jedoch noch strafrechtliche Konsequenzen haben wird, ist weiterhin unklar. Genauso wie die Frage, ob Hertha Gersbecks Suspendierung aufhebt.

Wie geht es mit Gersbeck weiter?

Das Präsidium würde einen solchen Schritt befürworten, der Aufsichtsrat aber stellt sich derzeit noch quer – weil er zum einen die Werte des Vereins verletzt sieht und weil er für Hertha negative Konsequenzen in den noch ausstehenden gerichtlichen Auseinandersetzungen mit dem früheren Sportchef Fredi Bobic und dem ehemaligen Torhüter Rune Jarstein fürchtet. Beide sind wegen weit geringerer Verfehlungen fristlos gekündigt worden.

Bis zum 1. September, dem Ende der Transferperiode, hat Hertha Zeit, die Frage zu beantworten, ob die vakante Position im Team Torhüter wieder mit Gersbeck besetzt wird oder ob doch noch ein erfahrener Keeper verpflichtet wird. „Wir beobachten die Situation“, sagt Sportdirektor Weber.

In der Zwischenzeit hat Tjark Ernst die Chance, sich weiter zu empfehlen. Am vergangenen Wochenende in Jena hat er bei seinem Trainer schon mal zusätzliche Pluspunkte gesammelt, obwohl er strenggenommen gar nichts dazu konnte. In der zweiten Halbzeit landete der Ball erst an der Unterkante der Latte und gleich darauf am Pfosten des Berliner Tores.

„Bei neun von zehn Torhütern ist der Ball drin“, sagte Pal Dardai. Sein Landsmann Gabor Kiraly sei jemand gewesen, der in einer solchen Situation oft das nötige Glück gehabt hätte, und „ich schätze, dass es bei Tjark in diese Richtung geht“, sagte Herthas Trainer. „Du brauchst als Torhüter Glück. Aber das erarbeitest du dir. Das kommt nicht, weil du so geboren wurdest.“

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