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Wie am Schnürchen. Wie fair ist die Gymnastik?

© Imago

Rhythmische Sportgymnastik: Subjektive Schönheit

Nach den Manipulationsvorwürfen vor rund einem Jahr will die Rhythmische Sportgymnastik gerechter werden. Auch beim Masters in Berlin.

Als Isabell Sawade die Schmeling-Halle betritt, laufen die Staubsauger auf Hochtouren. Penibel reinigen zwei Frauen den Wettkampfteppich, bis auch die letzte Unebenheit entfernt ist. Alles soll stimmen für das Masters. Isabell Sawade ist die oberste Kampfrichterin dieses Turniers. In ihrem schwarzen Hosenanzug, der hellen Bluse und dem Ordner unter dem Arm sieht sie aus wie eine Juristin kurz vor Verhandlungsbeginn. Die 34 Jahre alte Vertriebskauffrau aus dem schwäbischen Bochingen ist seit 15 Jahren Kampfrichterin der Rhythmischen Sportgymnastik. Ein „gewisser Drang nach Gerechtigkeit“ zeichne sie aus, sagt sie über sich selbst.

Üblicherweise fallen im Zusammenhang mit Rhythmischer Sportgymnastik Worte wie Anmut, Eleganz und Schönheit. Jede noch so komplizierte Übung soll so leicht aussehen wie möglich, im Takt der Musik und immer schön lächelnd. Die tänzerischen Elemente waren es auch, die Sawade mit sechs Jahren in die Turnhalle zogen. Aber auf die Frage, warum sie Kampfrichterin geworden ist, fällt ihr zuerst ihr „Gerechtigkeitssinn“ ein. „Ich bewerte und entscheide nach Vorgaben“, erklärt sie ernst. Umso mehr ärgere es sie, dass zuletzt in ihrem Sport, den sie selbst sechs Jahre lang betrieb, nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Eine Anfälligkeit für Manipulationen möchte Sawade nicht abstreiten. Die Bewertung setzt sich aus zwei Noten zusammen, aus der D-Note, dem Schwierigkeitsgrad, und der E-Note, der Art der Ausführung. „Vor jedem Wettkampf bekomme ich eine Liste, auf der steht, was die Gymnastin turnen wird. Das kann ich dann objektiv abhaken und Fehler, die zum Punktabzug führen, vermerken. Aber die E-Note, die ist immer auch subjektiv.“

Diese Subjektivität wurde von Verantwortlichen des Sports bei vielen Wettkämpfen offenbar missbraucht. Im Vorhinein waren umfangreiche Absprachen getroffen worden. Wie eine Überprüfung des Weltturnverbandes (FIG) herausfand, war beim zentralen Kurs für den Olympiazyklus, der im November 2012 in Bukarest stattfand, so massiv manipuliert worden, dass die Ergebnisse ausnahmslos annulliert werden mussten. Der Betrug ging vom Technischen Komitee aus – jenem internen Gremium also, das für den rechtmäßigen Ablauf der Wettbewerbe und für die Ausbildung der Juroren verantwortlich ist.

Auch Isabell Sawade hatte in Bukarest an den Prüfungen teilgenommen. Von den Manipulationen erfuhr sie erst hinterher. „Ich bin direkt nach dem Kurs abgereist. Als am Abend die Prüfungsergebnisse verkündetet wurden, war die Verwunderung, wie mir gesagt wurde, entsprechend groß.“ Neunzehn Mal war exakt die gleiche Note verteilt worden. Bruno Grandi, Präsident des Verbandes, nahm kein Blatt vor dem Mund, als er die Rhythmische Sportgymnastik als „degeneriert, unglaubwürdig und irregulär“, als einen „Kochtopf voller Lügen“ beschrieb. Die Konsequenz: Die Disziplinarkommission erklärte alle Kampfrichter-Diplome für ungültig. Die damalige Präsidentin Natalia Kusmina wurde mit sofortiger Wirkung von ihren Aufgaben entbunden, sechs von sieben Prüferinnen wurden suspendiert. Der Kurs musste von allen 56 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Frankfurt am Main nachgeholt werden.

Wenn es nach dem Deutschen Turner-Bund (DTB) geht, müssten konkrete Reformen folgen. In den „kriminellen Tendenzen“, wie sie in Bukarest zutage getreten sind, sieht Wolfgang Willam, Sportdirektor des DTB, ein mögliches Aus der Sportart, zumindest auf olympischer Ebene – und das kurz vor den Spielen in Rio de Janeiro. „Wertungsgerechtigkeit“ sei, so Willam, „das Mindeste“.

Mittlerweile ist die Schmeling-Halle fast zur Hälfte gefüllt. Vor allem junge Mädchen sind mit ihren Eltern gekommen. Was sich Sawade für ihren Sport wünscht? „Dass er sauber ist“, sagt sie und geht zu den anderen Kampfrichtern. Der Teppich jedenfalls ist es schon mal.

Johanna Behre

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