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SEITEN Wechsel: Als die Bayern fast pleite waren Ein großartiges Buch über 50 Jahre Fußball-Bundesliga

Alles lief prächtig für den FC Bayern München im Frühjahr 1976: Das Team um Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß und Gerd Müller stand im Europapokal der Landesmeister vor dem dritten Titel in Folge. Weniger perfekt war die Finanzlage.

Alles lief prächtig für den FC Bayern München im Frühjahr 1976: Das Team um Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß und Gerd Müller stand im Europapokal der Landesmeister vor dem dritten Titel in Folge. Weniger perfekt war die Finanzlage. Die Steuerschuld war so dramatisch, dass der Steuerberater des Klubs im März 1976 gegenüber dem Münchner Stadtsteueramt klagte, „zur Auflösung des Vereins“ gezwungen zu sein, falls der Fiskus „eine vollständige Zahlung“ der Steuerlast durchsetze. Dem Pleitegeier entkamen die Bayern nur, weil der Fiskus sich auf Ratenzahlungen einließ.

Die Zeiten hatten sich also geändert: Noch im Februar 1970 hatten sich das Bayern-Präsidium um Wilhelm Neudecker bei Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel beschwert, weil es sich steuerlich ungerecht gegenüber dem Ortsrivalen 1860 behandelt fühlte. Anlass der Beschwerde war, dass die Bayern-Profis die gleichen Prämien wie die Kollegen von 1860 forderten. Doch die über 1000 Mark Siegprämie, die 1860 zahlte (Bayern nur 500), seien ökonomisch nur erklärbar, wenn die Stadt München dem Konkurrenten Abgaben oder Steuern stunde. In der Tat schuldete 1860 der Stadt München damals fast 300 000 Mark, während die Bayern brav alle Steuern entrichtet hatten.

Gefunden hat diese Dokumente der Historiker Nils Havemann. Sein Buch „Samstags um halb 4. Die Geschichte der Fußballbundesliga“ ist eine fantastische Fundgrube für Fußballfans. Besonders für diejenigen, die sich für die wichtigen Triebfedern des modernen Fußballs interessieren: Ökonomie und Kommerz. Mit kühlem Blick und zugleich großem Unterhaltungswert seziert Havemann die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen und Zäsuren in der Geschichte der 1963 gegründeten Bundesliga. Eine der wichtigsten Thesen Havemanns: Bis in die siebziger Jahre hinein habe es sich um eine „Staatsbundesliga“ gehandelt, in der „die gut verdienenden Spieler zu einem beträchtlichen Teil von der Gemeinschaft der Steuerzahler alimentiert wurden und in der die Vereine von der Finanzkraft ihrer Kommunen abhängig geworden waren“.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) habe, so der Historiker, eine „Sonderwirtschaftsförderzone“ Bundesliga angestrebt, „in der sich die seit Jahrzehnten verbreiteten Missstände wie Steuerhinterziehung, Bilanzierungstricks und die juristisch zweifelhafte Beanspruchung von öffentlichen Hilfsgeldern von selbst verflüchtigen würden, indem man sie schlicht legalisierte“. Um Steuervergünstigungen zu erhalten, etwa eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes, mahnte der DFB seine Klubs 1970 an, möglichst keine Informationen über Gehälter oder Verschuldung an die Öffentlichkeit zu geben.

Dass die Fußballer auch schon vor 1972, bevor also der Professionalismus offiziell eingeführt wurde, mehr als die erlaubten Zuwendungen verdienten, war ein offenes Geheimnis. Schon 1951 hatten die AOK Essen und das Versicherungsamt festgestellt, dass Rot-Weiss Essen, wo der spätere Weltmeister Helmut Rahn seine Schuhe schnürte, vornehmlich aus Profis bestehe. Die Gehaltsobergrenze (1200 Mark im Monat), die für die Lizenzspieler in der frühen Bundesliga galt, war daher auch das Papier nicht wert, auf dem sie geregelt war. Franz Kremer, der damalige Präsident des 1. FC Köln, schätzte 1965, dass überdurchschnittliche Fußballer rund 60 000 Mark jährlich kassierten. Die Klubs arbeiteten dafür mit „Wildwestmanieren unter der Oberfläche des sauberen Sports“ (Havemann) – indem sie den Spielern zum Beispiel Autos, die Schrottwert hatten, für große Summen abkauften. Erik Eggers

Nils Havemann: Samstags um halb 4. Die Geschichte der Fußballbundesliga.

Siedler-Verlag, 672 Seiten, 26,99Euro.

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