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Endlich schreien. Leon Schäfer machte es am Montag in Paris spannend. Mit seinem letzten Versuch verteidigte der Weitspringer seinen WM-Titel.

© IMAGO/Beautiful Sports

Para-WM der Leichtathleten: Leon Schäfer fliegt zu Gold

Der Titelverteidiger machte es spannend. Erst in seinem sechsten Versuch flog Leon Schäfer zu Gold – und verbesserte dabei seinen eigenen Weltrekord um einen Zentimeter.

Von Benjamin Apitius

Groß ärgern konnte sich Leon Schäfer am Montagabend gar nicht. Bei seinem ersten von sechs Versuchen war der deutsche Para-Weitspringer übergetreten – der Kampfrichter wedelte auf seinem Stuhl neben der Sandkuhle mit der roten Fahne und erklärte Schäfers Sprung für ungültig. Und kaum hatte der deutsche Athlet Notiz davon genommen, hieß es auf den Anzeigetafeln im Stade Charléty von Paris: „SHHHH!“

Unmittelbar zur Weitsprunganlage fand bei den Weltmeisterschaften der Para-Leichtathleten, die bis kommenden Montag andauern, nun das erste von mehreren Sprintfinals über 100 Meter an diesem Abend statt. Ruhe also, shhhh. Titelverteidiger Schäfer, dem nach einer Knochenkrebserkrankung der rechte Unterschenkel samt Knie amputiert werden musste, nutzte die Pause für ein Gespräch mit seinem Trainer auf der Tribüne. Er war weit geflogen, sehr weit, das wusste er. Jetzt musste noch der Absprung sitzen.

7,25
Meter von Leon Schäfer bedeuteten neuen Weltrekord. Er verbesserte die eigene Bestleistung in seiner Startklasse um einen Zentimeter. Der Berliner Ali Lacin wurde mit 6,29 Metern Fünfter.

Ein Jahr vor den Paralympics in Frankreichs Hauptstadt kamen die Leichtathleten nach vier Jahren coronabedingter Pause wieder für eine WM zusammen. Das Heimstadion des Fußball-Zweitligisten Paris FC hatte sich bis zur Hälfte gefüllt. Eine Gerade gehörte vor Beginn der Abendwettkämpfe allein dem DJ, hinter ihm die Fahnen der rund 110 teilnehmenden Nationen – darunter auch die der Ukraine. Unter den Zuschauenden – quelle surprise – vor allem Fähnchen mit den französischen Farben.

Das Publikum trägt Schäfer

Dann der zweite Versuch von Leon Schäfer. Wieder eine aussichtsreiche Weite. Wieder ungültig. Schäfers Konkurrenz legte vor.

Nur siegen ist schöner! Leon Schäfer machte es am Montag in Paris spannend. Mit seinem letzten Versuch verteidigte der Weitspringer seinen WM-Titel.

© IMAGO/Mika Volkmann

Am Montagvormittag hatte bereits die erste deutsche Starterin aus dem 29-köpfigen Aufgebot des Deutschen Behindertensportverband (DBS) ihren Auftritt gehabt. Die 18 Jahre alte Merle Menje wurde mit dem Rennrollstuhl über 5000 Meter Fünfte. Zu Rang vier, der Deutschland einen Startplatz für die Paralympics garantiert hätte, fehlten nach einem packenden Sprint nur sechs Hundertstelsekunden. Am Abend traten dann mit den Weitspringern Ali Lacin und Titelverteidiger Schäfer die nächsten zwei DBS-Akteure in der Startklasse der oberschenkelamputierten Athleten an.

Als Schäfer zu seinem dritten Versuch ansetzen wollte, hieß es wieder „SHHHH!“, ein weiteres Sprintfinale hatte Vorrang. Der 26 Jahre alte Leverkusener stellte sich breitbeinig neben der Bahn auf und schaute es sich an. Dann fokussierte er sich erneut, atmete tief ein, streckte den Oberkörper durch, lief mit schnellen Nähmaschinenschritten an.

Schäfer, der vor vier Jahren in Dubai mit einer Weite von 6,90 Meter den WM-Titel gewonnen hatte, sprang nun ein gutes Stück vor dem Absprungbalken ab, wer wollte es ihm verdenken, und landete bei 6,52 Meter – womit er sich in dem zwölfköpfigen Starterfeld auf Platz vier einreihte. Er hätte nun eigentlich schreien dürfen. Ging aber ruhig zu seinem Trainer.

Vor seinem vierten Sprung wandte sich Leon Schäfer an das Publikum, die Zuschauenden klatschten im Takt. Schäfer traf das Brett perfekt, weiße Fahne, geballte Faust, 6,95 Meter. Nur Daniel Wagner lag nun noch vor ihm, acht Zentimeter war der Däne weiter gesprungen als Schäfer.

Versuch Nummer fünf, die Sonne in Paris stand bereits tief. Wie muss das sein, nahezu sieben Meter durch die Luft zu fliegen und dann sitzt da ein Herr und schwenkt wegen ein paar Millimetern die rote Fahne? Leon Schäfer erlebte es an diesem Abend zum dritten Mal.

Irgendwie, warum auch immer, ist das meistens mein bester Sprung.

Leon Schäfer zum sechsten Versuch

Die gute Nachricht vor den abschließenden Sprüngen: Es stand kein weiteres Sprintfinale an. Also das Gegenteil von „SHHHH!“, Leon Schäfer wollte es nun laut und das Publikum verlieh ihm Flügel. Dann leuchtete sein Ergebnis auf: 7,25 Meter! Endlich schrie er seine ganze Freude heraus, die Anspannung entwich aus seinem kräftigen Körper. Daniel Wagners Bestleistung blieb bei 7,03 Meter und machte Leon Schäfer so erneut zum Weltmeister.

„Ich weiß, dass ich im letzten Sprung immer noch einen raushauen kann, ich bin den Weltrekord davor auch im sechsten Versuch gesprungen“, sagte der Titelverteidiger nach dem Wettkampf: „Irgendwie, warum auch immer, ist das meistens mein bester Sprung.“ Am Abschlussabend – Montag, 17. Juli – will Schäfer nun auch erstmals die 100 Meter im Sprint gewinnen.

Parallel findet an diesem Tag übrigens kein Weitsprung statt. Es müssen also keine Kollegen ruhig sein und auf ihn warten.

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