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Argentinien leidet. Nicolas Otamendi sehnt sich beim Debakel in Madrid nach himmlischem Beistand.

© Francisco Seco/dpa

Spanien demütigt Argentinien: Ohne Messi habt ihr keine Chance

Während Argentinien ein Desaster erlebt und nach der Schmach von Madrid Häme einstecken muss, findet Brasilien zu alter Stärke.

Am schlimmsten war es beim fünften Tor. Als Spaniens Torhüter David de Gea sich einen Punkt als Vorlagengeber abholte. Mit einem aus der Hand über das halbe Feld geprügelten Ball, in dessen Folge ein sichtlich überraschter Iago Aspas kaum etwas hätte ausrichten können, wäre ihm nicht Argentiniens Torhüter Willy Caballero desorientiert entgegengetaumelt. Oder war das sechste Tor noch deprimierender? Das finale des dreifachen Torschützen Isco, umgeben von den Señores Rojo, Otamendi, Mercado und Biglia, die allesamt interessiert und unbeteiligt zuschauten.

Über solche Feinheiten wollten sie im Kreis des WM-Zweiten nicht länger debattieren. Das Große und Ganze sprach für sich und gegen Argentinien. 1:6 gegen Spanien, Madre de Dios … Das weckt elf Wochen vor dem Beginn der Weltmeisterschaft in Russland unangenehme Erinnerung an eine überwunden geglaubte Vergangenheit. An ein 1:6 vor zehn Jahren gegen Bolivien, mit dem Autodidakt Diego Maradona als Trainer auf der Bank. Oder an ein 0:5 gegen Kolumbien, das ist jetzt schon 25 Jahre her. Beide Male schaffte es Argentinien zwar zur WM, gestaltete diese aber zu einem Desaster. Und diesmal? „Das war ein Schlag ins Gesicht“, analysierte die Zeitung „La Nacion“ und kam zu dem Urteil: „Die Seleccion ist zu einem durchschnittlichen Team geworden.“

Im eigentlichen Sinne war das gar nicht die argentinische Nationalmannschaft, sondern nur ein kickender Appendix, zum Scheitern verurteilt ohne den alles bestimmenden Anführer. Lionel Messi fehlte in Madrid wegen einer Oberschenkelverletzung und verließ schon eine Viertelstunde vor Schluss seinen Platz auf der Tribüne – wohl wissend, welche Fragen auf ihn eingeprasselt wären. Schon die erst im letzten Spiel gegen Ecuador geschaffte WM-Qualifikation war allein seiner Inspiration und seinen Toren zu verdanken. Vom Trainer Jorge Sampaoli ist der schöne Satz überliefert: „Das ist mehr Messis Mannschaft als meine.“

Austauschbare Zählkandidaten

Das Argentinien von 2018 ist mit seinem Exportartikel Nummer eins auf höchstem Niveau nur noch konkurrenzfähig, wenn Messi einen guten Tag hat. Die anderen sind austauschbare Zählkandidaten. „Sie können kämpfen, sperren und ein Bein stellen. Aber nicht gut genug spielen, um die Weltmeisterschaft zu gewinnen“, heißt es bei „La Nacion“.

Das ist ein dramatischer Unterschied zum alten Lieblingsfeind aus dem Norden. Es ist gar nicht so lange her, da war Brasilien so abhängig von Neymar da Silva Santos Junior wie Argentinien von Lionel Messi. Aber das liegt vier Jahre zurück, und an die WM daheim mag zwischen Fortaleza und Florianopolis niemand mehr denken. Am Dienstag hat sich in Berlin ein anderes, ein modernes und emanzipiertes Brasilien präsentiert. Eines, das auch ohne seinen verletzten Ausnahmespieler über so viel individuelle Qualität verfügt wie lange nicht mehr.

Beim 1:0-Sieg über ein Deutschland B ließen es die Brasilianer ruhig angehen und hatten die Lage doch jederzeit im Griff. „Die Mannschaft fühlt Neymars Abwesenheit“, sprach Trainer Tite. „Aber sie lernt, auch ohne ihn stark zu sein und zu spielen.“ Ästheten wie Willian, Philippe Coutinho, Casemiro oder Gabriel Jesus können ein Spiel jederzeit ganz allein entscheiden, in Russland wird ein auskurierter und ausgeruhter Neymar ihr Spiel noch veredeln. Diese Perspektive fehlt Argentinien. Zumal Lionel Messi in der Vergangenheit allzu oft gezeigt hat, dass er bei Weltmeisterschaften selten im Zenit seines Könnens aufspielt.

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