zum Hauptinhalt
Als Zeichen der großen Anteilnahme starten die Piloten beim ersten Rennen im Olympiapark von Sotschi Aufklebern mit der Nummer 17 des Franzosen und den Worten: „Alle sind bei Jules“.

© afp

Formel 1: Nach dem Bianchi-Unfall: Dach oder Tempolimit?

Nach dem Unfall von Jules Bianchi diskutiert die Formel 1 vor dem Großen Preis von Russland in Sotschi über Konsequenzen. Die Fia schweigt weiterhin zu dem Thema - aus politischen Gründen.

Der Schatten von Suzuka liegt über Sotschi. Anstatt der erwarteten Diskussionen um die politischen Begleitumstände beim ersten Auftritt der Formel 1 in Russland gibt es an der Strecke im Olympiapark nur ein Thema: das Drama um Jules Bianchi und die Konsequenzen daraus. Die Betroffenheit ist überall groß. „Wir können nur beten“, sagt Adrian Sutil, der den Unfall als Augenzeuge miterleben musste. Für Felipe Massa war „Suzuka das schlimmste Rennen meines Lebens, schlimmer als mein eigener Unfall damals in Ungarn, denn daran erinnere ich mich nicht. Wir können nur versuchen, unseren Job zu machen – wir fahren hier alle für ihn und seine Familie.“ Zweifel am eigenen Tun gibt es bei den Piloten zwar normalerweise nicht, die Entscheidung, das verbleibende Restrisiko einzugehen, hat jeder von ihnen für sich schon lange grundsätzlich getroffen. „Trotzdem ist es emotional ein schwieriges Wochenende“, gibt Fernando Alonso zu.

Informationen über den Gesundheitszustand von Jules Bianchi sind spärlich, was aber durchsickert, klingt nicht hoffnungsvoll. Matteo Bonciani, der Jules Bianchi seit seinem elften Lebensjahr gut kennt, kam am Mittwoch sichtlich angeschlagen nach Sotschi. Der Pressesprecher des Automobil-Weltverbands Fia hatte noch zwei Tage und Nächte in der Klinik in Yokkaichi verbracht. Er darf natürlich nicht mehr sagen als das offiziell mit der Bianchi-Familie abgesprochene Statement von den „diffusen Hirnverletzungen“ – seine Verfassung sagt aber mehr als viele Worte.

Formel 1: Jules Bianchi hat wohl einen Fahrfehler begangen

Dazu kommt offenbar der Versuch aus der obersten Fia-Ebene, gewisse Informationen zum Bianchi-Unfall zurückzuhalten, die klarmachen würden, dass bei aller Tragik ein Faktor nicht wegzudiskutieren ist: Der französische Marussia-Pilot hat wohl schlichtweg einen Fahrfehler begangen. Bisher nicht freigegebene Videoaufnahmen zeigen, dass Jules Bianchi die Kontrolle über sein Auto verliert und dann etwas zu stark korrigiert. Um die politischen Hintergründe des Versteckspiels zu verstehen, muss man wissen: Bianchis Manager ist Nicolas Todt, der Sohn des französischen Fia-Präsidenten Jean Todt. In diese Schiene passt auch, dass die französische Formel-1-Legende Alain Prost mit Äußerungen vorprescht, entweder Rennleitung oder Streckenposten hätten in Suzuka einen Fehler gemacht. Der Bergungskran, in den Bianchi raste, hätte laut Prost nie ohne Safetycar ausrücken dürfen.

Weil die Fia offiziell weiter schweigt, wird die Sicherheitsdebatte weiter angeheizt. Dazu gehört die Forderung nach der Einführung von Cockpit-Verglasungen zum Schutz der Fahrerköpfe. „Warum sollte man nicht darüber nachdenken?“, fragt Ferrari-Pilot Alonso. „Alle schlimmen Unfälle im Motorsport führten in der jüngsten Vergangenheit zu Kopfverletzungen.“ Eine Überdachung ist schon öfter diskutiert, aber immer wieder verworfen worden. Denn dabei besteht das Risiko, sich in bestimmten Situationen neue Probleme zu schaffen – etwa bei der Rettung nach Feuerunfällen.

Cockpit-Verglasungen könnten zu Sichtproblemen für die Formel-1-Fahrer führen

Cockpit-Verglasungen, die auch gegen größere Gegenstände Schutz bieten, müssten sehr dick sein, was dann zu Sichtproblemen und optischen Verzerrungen führen könnte. Davon abgesehen waren offenbar nicht äußerliche Kopfverletzungen bei Bianchi das große Problem, sondern die massiven Verzögerungskräfte, die bei dem Unfall im Innern des Kopfes auf das Gehirn wirkten. „Hundertprozentige Sicherheit in einem Sport, in dem man mit 300 Kilometern pro Stunde unterwegs ist, kann es nicht geben“, betont auch Sebastian Vettel.

Die Pilotengewerkschaft GPDA will dennoch über mögliche Maßnahmen diskutieren, damit der Sport „noch sicherer wird“, wie Mercedes-Pilot Nico Rosberg sagte. Konkreter wurde er nicht, im Fahrerlager wird aber derzeit über die Idee eines Tempolimits bei Gelbphasen debattiert. Im Gespräch ist eine automatische Verlangsamung der Wagen um etwa die Hälfte der üblichen Sektorzeit. Zumindest zwei Konsequenzen wird es schon in Sotschi geben. Bianchis Marussia wird der US-Pilot Alexander Rossi übernehmen. Und Rennleiter Charlie Whiting, sichtlich verunsichert durch die Kritik, wird sicher bei jedem Unfall, spätestens aber, sobald ein Bergungsfahrzeug in Aktion treten muss, das Safetycar auf die Strecke schicken.

Folgen Sie der Tagesspiegel-Sportredaktion auf Twitter:

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false