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Die Cheerleaderinnen des Marzahner Vereins zeigen beeindruckende akrobatische Übungen.

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„Eine der gefährlichsten Sportarten für Frauen“: Marzahns Cheerleaderinnen wollen in den USA hoch hinaus

Mit Pompons die Männerteams anfeuern? Von wegen. Bei Berlins Cheerleaderinnen stehen akrobatische Stunts und Tanz auf dem Programm. Nun fliegen sie zur WM nach Florida – unter einer Bedingung.

Five, six, seven, eight, schallt es durch die Turnhalle der Marcana-Schule. Hier, in der Nähe des S-Bahnhofs Ahrensfelde, trainieren am Dienstagnachmittag die Giants Cheerleaderinnen. Die lange Seite der Halle ist mit Matten ausgelegt, damit die Turnerinnen sich nicht verletzen, wenn sie einen Salto oder Flick-Flack üben. Auf den kurzen Seiten werden in Paaren und Gruppen verschiedene Stunts einstudiert. Immer wieder schallen die Stimmen der Trainer durch die Halle, die Anweisungen geben. Zwischendurch wird Musik eingespielt, einzelne Cheerleaderinnen zählen auf Englisch laut den Takt vor.

Pompons zum Anfeuern sind nicht zu sehen. Das hat auch einen Grund. „Wir versuchen das Klischee abzulegen, dass wir nur dazu da sind, Männerteams anzufeuern“, erzählt Viktoria Pohl, Vorstandsvorsitzende und Trainerin des Marzahner Vereins. „Wenn wir erzählen, dass wir Cheerleading machen, werden wir oft gefragt: Für welches Team? Dabei machen wir den Sport nur für uns selbst.“

Über Monate studieren die Athletinnen komplizierte Choreografien ein, mit denen sie an nationalen und internationalen Wettbewerben teilnehmen. Es ist eine Mischung aus Tanz und Akrobatik.

Trainiert wird bis zu viermal unter der Woche. Weil die Halle in Ahrensfelde nicht besonders groß ist, müssen die Teams sich untereinander gut absprechen, damit sie sich nicht in die Quere kommen. Nach Schulschluss beginnen die Jüngeren, anschließend trainieren die Älteren, teilweise bis spät in den Abend. „Die Hallenzeiten sind wie überall in Berlin ein großes Thema“, sagt Pohl. „Aber wir haben uns ganz gut eingespielt.“

Die „Fabulous Giants“ qualifizierten sich im Dezember für die WM. 
Die „Fabulous Giants“ qualifizierten sich im Dezember für die WM. 

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Die Cheerleaderinnen starten an diesem Dienstagnachmittag mit einigen Aufwärmübungen, dem „Warm-Up“, wie Pohl erklärt. Danach folgt das „Tumbling“, bei dem Elemente aus dem Bodenturnbereich einstudiert werden, wie Salti, Flick-Flack und Schrauben. Zum Schluss steht das „Stunten“ auf dem Programm. „Das macht für viele das Cheerleading aus, wenn die Mädels hochgehoben werden und Stunts vorführen“, sagt Pohl.

Wenn sie über die verschiedenen Elemente spricht, die ihre Sportart auszeichnen, fällt schnell auf, dass sie vor allem englische Begriffe verwendet. „Die USA geben die Entwicklungen vor, die dann zu uns rüberkommen“, erklärt Stephan Knop, der ebenfalls Trainer beim Marzahner Verein ist. „Deshalb zählen wir auf Englisch und arbeiten mit den entsprechenden Begriffen.“

Ursprünglich war Cheerleading eine reine Männersportart

Nur ein Trend ist aus den USA noch nicht übergeschwappt: Die Teilnahme von Jungen und Männern. In der Sporthalle in Ahrensfelde sind keine zu sehen und auch in anderen deutschen Vereinen sind sie eher eine Seltenheit. „Wir hatten in den jüngeren Teams mal ein paar Jungen, aber die sind nicht lange geblieben“, erklärt Pohl. „Der Sport ist sehr mädelslastig. Dabei war er ursprünglich sogar mal eine reine Männersportart.“

Tatsächlich waren Ende des 19. Jahrhunderts bei Football-Spielen in den USA ausschließlich Männer zu beobachten, die aus dem Publikum die Spieler anfeuerten und damit den Grundstein für die Sportart Cheerleading legten. Erst in den darauffolgenden Jahren wurden Frauen zugelassen.

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Im jüngeren Alter trainieren Mädchen und Jungs ohnehin noch zusammen, erst später werden sie in Allgirl-Teams und Coed-Teams unterteilt, also Mädchen-Teams und gemischte Teams. „In den USA ist das Verhältnis von Mädchen und Jungen im Cheerleading ausgewogen“, sagt Knop. „Die Männer haben dort bereits erkannt, dass es sich um eine richtige Sportart handelt. Das kommt bei uns in Deutschland erst langsam an.“

In Berlin gibt es mittlerweile 24 Cheerleading-Teams. Die Wartelisten der Vereine sind lang. „Daran merkt man, dass der Boom da ist“, sagt Pohl. „Das Besondere ist, dass die Sportart für alle da ist. Hier kann jeder mitmachen.“ Die Cheerleaderinnen unterstützen sich gegenseitig, das fällt auch beim Training in Ahrensfelde auf: Auf den Matten leisten sie sich Hilfestellungen, während sie Bodenturn-Elemente einstudieren. Bei den Gruppen-Stunts wirken sie hochkonzentriert und gut aufeinander abgestimmt.

Jede findet dabei ihren Platz: Es gibt die sogenannten „Flyers“, die von den anderen getragen werden und in der Luft akrobatische Kunststücke vorführen. Und es gibt die „Bases“, die die Flyer in die Höhe stemmen. Damit das gelingt, lernen die Sportlerinnen, wie man sich richtig abrollt und den Flyer im schlimmsten Fall auffängt. Sicherheit wird hier großgeschrieben. „Man braucht unfassbar viel Vertrauen. Cheerleading gehört zu den gefährlichsten Sportarten für Frauen“, sagt Pohl. „Die Verbindungen, die sich dadurch zwischen den Mädels entwickeln, sind einzigartig.“

Bei Gruppenstunts wie diesen braucht es Vertrauen.
Bei Gruppenstunts wie diesen braucht es Vertrauen.

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Einen besonderen Erfolg fuhr zuletzt das Team „Fabulous“ ein. Die 26 Cheerleaderinnen zwischen 15 und 21 Jahren siegten im vergangenen Dezember in Schweden beim „Nordic All Level Championship“ und sicherten sich damit einen Startplatz bei der Weltmeisterschaft in Florida Ende April. Für den Marzahner Verein ist die Qualifikation eine Premiere. „Es ist immer noch surreal. Ich glaube, wir können das erst realisieren, wenn wir in das Flugzeug steigen“, erzählt Michelle, die seit knapp fünf Jahren im Team trainiert.

Ausgetragen wird die WM in Disney World Orlando

Genau wie ihre Teamkolleginnen trägt sie eine schwarz-rote Trainingsjacke mit der glitzernden Aufschrift „Giants“. „Ich habe immer darauf gehofft, mal bei einem Wettbewerb in den USA zuschauen zu dürfen“, sagt Michelle. „Aber ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich selbst teilnehme.“

Trainer Stephan Knop führt den Erfolg maßgeblich auf den Fleiß seines Teams zurück. „Über die Jahre hinweg haben wir uns ständig weiterentwickelt. Die Mädels sind ohne Druck nach Schweden gefahren, haben das gezeigt, was sie können, und dann wurde der Fleiß der letzten zehn Jahre honoriert.“

Ausgetragen wird die WM in Disney World Orlando. „Jeder Cheerleader träumt davon, dort einmal aufzutreten“, sagt Chantal, die erst im vergangenen Jahr zum Team dazu gestoßen ist. So gibt es in dem US-amerikanischen Freizeitpark einen Platz, der aussieht wie ein kleines Football-Feld und der innerhalb der Cheerleading-Community über Videos in sozialen Medien wie TikTok Berühmtheit erlangt hat. „Wenn man dort steht, fühlt man sich bestimmt wie ein richtiger Cheerleader. Dann hat man es geschafft“, sagt Chantal.

Gerade einmal zwei Minuten und dreißig Sekunden bleiben ihrem Team, um ihr Können unter Beweis zu stellen und die Elemente zu zeigen, die sie über Monate geprobt haben. „Im Endeffekt ist Cheerleading auch ein Kopfsport. Man braucht gute Nerven“, sagt Pohl.

Am ersten Tag der WM findet die Vorrunde statt, bei der sich Teams aus über 40 Ländern in verschiedenen Kategorien miteinander messen. Am darauffolgenden Tag wird das Finale ausgetragen. Als Favoriten gelten das Team aus den USA, aber auch die skandinavischen Länder können international immer besser mithalten. Ebenso haben sich Frankreich, Spanien und Deutschland in den vergangenen Jahren gesteigert.

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Seit Berlins Cheerleaderinnen sich für die WM qualifiziert haben, trainieren sie verstärkt. Die Flyers müssen überdies zusätzliche Fitness-Einheiten absolvieren. Hinter der Teilnahme an dem Wettbewerb steht allerdings noch ein kleines Fragezeichen. Der Verein benötigt rund 100.000 Euro, um die Reise in die USA stemmen zu können. Pro Person kommen 2500 Euro zusammen für Startgebühren, Flüge, Hotel, Transporte und Verpflegung. Eine Summe, die die Sportlerinnen nicht ohne Weiteres stemmen können. Eine Sportförderung ist derzeit nicht in Sicht, daher sind sie auf Spenden angewiesen.

„Wir haben ungefähr die Hälfte zusammen“, sagt Knop. „Rund 75 Prozent davon sind private Spenden. Vom Landessportbund und dem Bezirk haben wir auch eine kleine Förderung erhalten. Aber dadurch, dass die Startgebühren pro Person auf 500 Euro angehoben wurden, fehlen uns noch Gelder.“ Er hofft, dass diese bis zum Abflug noch zusammenkommen.

Auf nationaler Ebene haben die Giants schon an einigen Wettbewerben teilgenommen.
Auf nationaler Ebene haben die Giants schon an einigen Wettbewerben teilgenommen.

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Trotz der finanziellen Herausforderung überwiegt bei Trainer*innen und Cheerleaderinnen aktuell die Vorfreude. „Das ist alles sehr aufregend“, sagt Pohl. Einige Cheerleaderinnen hätten zwar schon Erfahrung darin, vor mehreren tausend Zuschauenden aufzutreten. „Aber die WM ist eine ganz andere Nummer als die regionalen oder deutschen Meisterschaften.“

In der Sporthalle in Ahrensfelde ist an diesem Dienstagnachmittag noch wenig Aufregung zu spüren. Die Cheerleaderinnen wirken ausgelassen, während sie Stück für Stück die Choreografie einstudieren, die sie in rund zwei Monaten in Orlando vorführen. Nur wenn sie auf Englisch den Takt vorzählen oder sich gegenseitig Anweisungen zurufen, kann man erahnen, dass sie sie schon bald in den USA auftreten. Dem Land, wo ihre Sportart erfunden wurde und das bis heute überall beim Stunten, Tumbling und Counten präsent ist.

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