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Kirsten Bruhn ist Pescetarier und schwört auf Bananen und Rohkost.

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Ernährung von Para-Spitzensportlern: Die Banane als Allerheilmittel

Im Para-Sport ist die Ernährung ein weitgehend unerforschtes Feld. Studien aus dem olympischen Sport lassen sich nur bedingt anwenden.

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Das Thema Ernährung nimmt bei Spitzensportlerinnen und -sportler eine wichtige Rolle ein. „Gerade bei Athletinnen und Athleten, die sich noch in der Entwicklung befinden“, sagt Kirstin Bruhn: „Im Wachstum sowie in der sportlichen Weiterbildung sollte die Nahrungszufuhr auf jeden Fall einen hohen Stellenwert einnehmen.“ Die ehemalige Para-Schwimmerin setzt sich dafür ein, dass Mentaltraining mehr Aufmerksamkeit im paralympischen Sport zukommt, und ist davon überzeugt, dass die Ernährung mit allem in Verbindung steht: der Anfälligkeit für Infektion, der sportlichen Performance, dem allgemeinen Wohlbefinden. „Ich habe das zum Beispiel sehr direkt gemerkt: wenn ich zu wenig wog, hatte ich auch weniger Ausdauer. Eine gute Ernährung ist mindestens genauso wichtig, wie die Krafttrainingseinheiten“, sagt Bruhn, die bei den Paralympics in Athen, Peking und London jeweils Gold gewann über 100 Meter Brust.

Dabei ist es kein leichtes Unterfangen, seine Ernährung zu planen. Warum gäbe es ansonsten so viele Ernährungsberatungsstellen und Ratgeberbroschüren? Mit diesen kennt sich Hans Braun, Mitarbeiter der Abteilung Sporternährung am Zentrum für Präventive Dopingforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln, besonders gut aus. Er ist seit 1999 am Olympiastützpunkt Rheinland für die Ernährungsberatung zuständig und betreut dort olympische Kaderathletinnen und -athleten – und auch paralympische Sportlerinnen und Sportler. Beide Gruppen würden sich nicht grundlegend voneinander unterscheiden, sagt Braun Braun. Auch Bruhn würde „ da nicht grundlegend eine Abgrenzung ziehen“. Beide sind sie sich jedoch einig, dass es für Para-Sportlerinnen und -sportler mitunter schwieriger ist, Orientierung in der Thematik zu finden. Größen wie zum Beispiel der Body-Mass-Index funktionieren bei fehlenden Extremitäten oder Kleinwuchs nicht in den regulären Maßstäben und Tabellen.

„In der Sportwissenschaft gibt es zahlreiche Analysen“, sagt Braun: „Ob Leistungsprofile oder Kalorienbedarfsmessungen – hier ist natürlich im Feld der Personen ohne Behinderung deutlich mehr zu finden.“ Auch Kirsten Bruhn erzählt von Kolleginnen und Kollegen, bei denen eine Unterstützung besonders entscheidend sei. „Gerade bei Paralympioniken, die starke Lähmungen aufweisen, bei denen mitunter die Atmung betroffen ist oder ein größerer Teil des Herz-Kreislaufsystems – das ist dann schon ein anderes Level. Gerade bei Erkrankungen, die den Stoffwechsel betreffen, muss natürlich ganz anders auf die Ernährung geachtet werden, als bei mir.“ Besonders die muskuläre Belastung sei entscheidend „Wenn mehrere Muskelgruppen nicht einsetzbar sind, verändert sich auch der Grundbedarf und der Kalorienverbrauch bei körperlichen Aktivitäten.“ Darüber hinaus gäbe es aber ganz andere entscheidendere Einflussfaktoren. „Auch genetisch herrschen natürlich starke Unterschiede. Im Stoffwechsel oder in der Körperform. Genetische Auswirkungen spielen häufig eine größere Rolle in der Beratung als physische Einschränkungen. Gerade wenn die Athleten an sich fit sind, haben Behinderungen wenig Einfluss auf den Bedarf an Mikronährstoffen oder das ideale Verhältnis aus Proteinen, Kohlenhydraten oder Fetten. Hier ist es bei olympischen Sportlern auch nicht unbedingt einfacher.“

Mit Nahrungsergänzungsmittel sollte sparsam umgegangen werden

Bruhn selbst ist Pescetarier und hat „einige Lebensmittelunverträglichkeiten, wie beispielsweise in Bezug auf Gluten und Lactose“. Die Banane sei für sie das Allerheilmittel. „An sich esse ich gerne viel Rohkost, aber damit darf man seine Verdauung auch nicht überfordern.“ Die Unterschiede in ihrer Ernährung als Rollstuhlfahrerin zeigen keinen gravierenden Unterschied zu der als Fußgängerin vor ihrem Motorradunfall. „Ich habe noch nie viel auf die Anzeige an der Waage geschaut und habe ein gutes Körpergefühl. Das hat sich auch seitdem ich im Rollstuhl sitze nicht verändert“, sagt Bruhn. Nach dem Ende ihrer aktiven Sportkarriere hatte sie „durchaus ein wenig Bedenken, schnell zuzunehmen“. Aber auch hier half ihr das bewusste Hören auf den Körper.

Wo aber informieren sich Sportlerinnen und Sportler mit Beeinträchtigung? Pauschale Informationen zu erhalten ist kaum möglich, Forschung gibt es in diesem Bereich wenig. „Es fehlt hier insgesamt an Geldern. Ich kann nur noch einmal betonen, dass erstens deutlich werden sollte, wie wichtig das Themenfeld ist und zweitens dann auch konkret gehandelt werden soll. Ähnlich wie beim Mentaltraining. Da setzt sich gerade wenigstens etwas in Bewegung“, sagt Bruhn. Mediziner Braun verweist auf einen weiteren Gesichtspunkt: „Es ist zudem schwierig eine ausreichend große Anzahl an Probanden zu erhalten.“ Im olympischen Sport würden die meisten Studien zumeist nicht mit den Olympioniken selbst durchgeführt. Aufgrund deren begrenzte Zeitfenster nutze man eher Personen aus dem Breitensport. Auf paralympischer Ebene ist dieses Feld kleiner. Und natürlich sind auch die Paraolympionik:innen in erster Linie mit ihrem Training beschäftigt.

Kirsten Bruhn gewann über 100 Meter Brust bei drei Paralympics in Folge die Goldmedaille.

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Dass es dennoch Fortentwicklungen gibt, zeigen die Arbeiten an der Deutschen Sporthochschule Köln, an der sich insbesondere Thomas Abel mit dem Para-Sport befasst. Am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft ist er unter anderem seit 2014 Professor für paralympischen Sport. Trotz separatem Forschungszweig betont aber auch er die Gemeinsamkeiten der Olympischen und Paralympischen Spiele. In der Ernährungsberatung geht es entsprechend bei allen darum, das Training zu verbessern, Trainingserfolge zu steigern oder auch das Organisatorische rund um die Ernährung zu regulieren. Gerade Zeitpunkt und Disziplin sind hierbei relevant. „Das ist natürlich abhängig von jedem Einzelnen und auch sehr sportartenspezifisch. Wir gehen hier so oder so sehr differenziert und individuell vor“, sagt Braun.  

Bei der Aufnahme von Nahrungsergänzungsmitteln tragen „die Sportler die volle Verantwortung“, sagt Braun. Gerade bei Produkten aus dem Ausland könne es vorkommen, dass diese Mittel enthalten, die unter die Liste der verbotenen Substanzen fallen. „Darüber werden die Sportler aber umfassend aufgeklärt“. Auch Bruhn sagt: „Man muss sich akribisch informieren – oder die Mittel nur von jemandem erwerben, dem man vertraut.“ Unabhängig von der Dopinggefahr sollte mit Nahrungsergänzungsmitteln sparsam umgegangen werden. Hier gelte ebenfalls, dass Para-Sportler nicht unbedingt mehr oder weniger Nahrungsergänzungsmittel benötigen. Laut Braun käme es jedoch mitunter zu stärkeren Komplikationen in Hinblick auf Wechselwirkungen mit der regulären Medikation, welche bei paralympischen Sportlerinnen und Sportler teilweise ausgeprägter sei.

„Die Gründe, Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen, sind vielschichtig und in einigen Fällen ist es auch notwendig“, sagt Experte Braun. In allen Disziplinen sollten jedoch die Risiken und der Nutzen abgewogen werden. „Unsere Daten der vergangenen zehn bis 15 Jahre zeugen davon, dass mehr eingenommen wird, als benötigt“. Auch Bruhn hat in ihrer Karriere „Nahrungsergänzungsmittel eingenommen. Alleine in Hinblick auf meine Knochendichte“, sagt sie: „Aber dass jeder Sportler auf diese zugreifen sollte wäre sicher falsch.“ Es herrsche die falsche Annahme, dass solche Mittel grundsätzlich guttun. „Dabei sollte der Überkonsum einzelner Nährstoffe in jedem Fall vermieden werden“, sagt Braun.

Lilith Diringer

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