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Dortmunds Trainer Thomas Tuchel hat derzeit viele Probleme.

© AFP

Borussia Dortmund: Der BVB erlebt die schwerste Krise seit der Fast-Insolvenz

Bei Borussia Dortmund stottert es vor dem Champions-League-Achtelfinalhinspiel bei Benfica Lissabon in vielen Bereichen.

Vor einer Woche hat der Süden noch gefeiert. Vor allem die Mannschaft, aber ein bisschen auch sich selbst, denn der Süden hält große Stücke auf sich, ganz egal, was alle anderen sagen. Als Marcel Schmelzer vor dem Pokalspiel am Mittwoch gegen Hertha BSC auf dem Videowürfel eine Botschaft wider Gewalt und Beleidigung verlas, da sang ein Teil des Dortmunder Anhangs demonstrativ gegen den eigenen Mannschaftskapitän an. Es ist etwas kaputt gegangen zwischen Borussia Dortmund und einem harten Kern der Fans, seitdem sich diese rund um das Bundesligaspiel gegen RB Leipzig auf so unangenehme Weise daneben benommen haben.

Am Montag nun hat die Geschäftsführung des börsennotierten Fußballklubs demonstrativ die Verantwortung für diese Zwischenfälle übernommen. Borussia Dortmund akzeptierte die vom Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) beantragten Sanktionen: 100.000 Euro Geldstrafe und, weitaus schwerer wiegend, eine komplette Sperrung der Südtribüne für das nächste Bundesligaspiel. Wenn am kommenden Samstag der VfL Wolfsburg in Dortmund gastiert, wird der BVB ohne die Unterstützung von 25.000 Zuschauern auf Europas größter Stehplatztribüne auskommen müssen.

In einer Pressemittelung verweist der Klub darauf, es sei ihm „elementar wichtig, noch einmal deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass wir insbesondere die Geschehnisse rund um das Spiel gegen Rasenballsport Leipzig in keinster Weise relativieren wollen“. Damit aber war es auch schon genug der Selbstgeißelung. In Dortmund fühlen sie sich zu hart bestraft und haben dem Strafantrag nur zugestimmt, weil es „in der emotional noch immer aufgeladenen Atmosphäre derzeit weder möglich noch sinnvoll erscheint, eine inhaltliche Debatte über ein im juristischen Sinne angemessenes, erforderliches, verhältnismäßiges oder weitsichtiges Strafmaß zu führen“.

Watzke spricht von der größten Krise seit gut zehn Jahren

Der Verein sehe durchaus „die Gefahr, dass die Ablehnung des Strafantrages oder von Teilen seiner Inhalte durch den BVB als mangelnde Einsicht des Klubs in das krasse Fehlverhalten von Teilen der Fans fehlinterpretiert werden könnte. Dieser Eindruck wäre fatal!“ In diesem Sinne halte die Geschäftsführung „eine Kollektivstrafe gegen 25.000 Zuschauer, von denen einer überwältigenden Mehrheit weder ein Tat- noch ein Schuldvorwurf zu machen ist, für unverhältnismäßig“.

In der Konsequenz versucht sich Borussia Dortmund an einem höchst anspruchsvollem Spagat: glaubwürdig Buße tun für das offensichtliche Fehlverhalten einiger weniger, ohne die überwiegende Mehrzahl der friedlichen Fans dafür in Geiselhaft zu nehmen. Am Gelingen dieses Unternehmens hängt nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der Dortmunder Erfolgsgeschichte der vergangenen Dekade. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat im internen Kreis verlauten lassen, er halte das, was der BVB derzeit erlebe, für die schwerste Krise, seitdem die Borussia vor gut zehn Jahren eine Fast-Insolvenz erlebte und erst in letzter Sekunde vor dem Gang zum Konkursrichter bewahrt wurde.

In dieser Gemengelage fällt es nicht leicht, den Blick auf das Kerngeschäft zu richten. Am Dienstag tritt der BVB im Hinspiel des Achtelfinales der Champions League bei Benfica Lissabon an. Thomas Tuchel hat dafür den schönen Begriff „Scheinwerferspiel“ ersonnen. Das Flutlicht wird in Lissabon leuchten, passend dazu im Estadio da Luz, dem Stadion des Lichtes. Vor allem aber wird auszuleuchten sein, wie gut die kickende Belegschaft mit der Ablenkung jenseits des Rasens zurechtkommt.

Auch sportlich ringt das Team um Konstanz

Kapitän Marcel Schmelzer hat gestern Verständnis für das Urteil des DFB geäußert. „Wir müssen dieses Strafmaß akzeptieren, weil viele Sachen, die im Spiel gegen Leipzig passiert sind, überhaupt nicht in Ordnung waren“, sagte Schmelzer vor dem Abschlusstraining für das Spiel bei Benfica Lissabon.

Trainer Thomas Tuchel geht es aber nicht nur um die Aufarbeitung des Spiels gegen Leipzig, sondern auch um die Ansprüche seiner Vorgesetzten. Der Trainer fühlt sich durch das Auf und Ab der vergangenen Monate in seiner Meinung bestätigt, die junge Mannschaft sei noch nicht gefestigt genug für die Erfüllung der Vorgaben seitens Geschäftsführer Watzke und Sportdirektor Michael Zorc. Beide definieren sie als Saisonziel eine erneute Qualifikation für die Champions League.

Wie sehr die Borussia um die dafür notwendige Konstanz ringt, war in der vergangenen Woche nur zu gut zu beobachten. Dem Kraftakt des im Elfmeterschießen geschafften Einzugs ins Pokal-Viertelfinale folgte in der Bundesliga ein blamables 1:2 beim abgeschlagenen Schlusslicht Darmstadt 98. „Es wäre hilfreich, wenn das mal durchsickern würde“, sprach Tuchel. „Ich dachte, das ist intern schon angekommen.“ Aus Stellungnahmen wie diesen klingt weniger Bedürfnis nach Harmonie denn Angriffslust. So ruhig wie am Samstag auf der verwaisten Südtribüne dürfte es in den kommenden Wochen beim BVB kaum zugehen.

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