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Vor dem Foul. Toni Schumacher (re.) im Anflug.

© AFP

WM 2014 - Deutschland - Frankreich 1982, gesehen in Paris: Das Drama von La Defense

Das WM-Halbfinale 1982 Deutschland gegen Frankreich hat unser Autor als einziger Deutscher unter vielen Franzosen geschaut. Erinnerungen an einen Fernsehabend in Paris.

Die Weltmeisterschaft 1982 begann für meinen französischen Austauschfreund Vincent und mich freundschaftlich lustig – mit ersten leichten Spannungen. Gemeinsam haben wir uns am Fernseher bei meiner Großmutter in Münster beömmelt, als die Deutschen gegen Algerien beim 1:2 auf die Mütze bekamen. Aber ich fand das nur offiziell lustig, innerlich nicht. Das Schiebespiel gegen Österreich haben wir auf der Zugfahrt nach Paris erlitten. Ein Mitfahrer hatte ein Transistorradio. Und in Vincents elterlicher Wohnung in der Trabantenstadt La Defense haben wir das Turnier dann weiterverfolgen können – nachdem Vincents Vater Michel auf unseren Druck und unter dem Druck der guten Leistungen des französischen Teams einen Leih-Schwarzweißfernseher besorgt hatte.

Ich erlebte den Aufstieg der Fußballnation Frankreich in Paris mit und hatte eine kleine Befürchtung, die sich als berechtigt erwies. Frankreich gegen Deutschland im Halbfinale! In Sevilla. Und ich mitten in Paris. Ich gab mir im Vorfeld alle Mühe, das herunterzuspielen. Meine Gastfamilie kannte keine Gnade, acht Bekannte wurden gar zum Fernsehabend eingeladen. Franzosen natürlich. Zunächst aber konnte ich mit dem Missverhältnis im Publikum gut schauen. Ich hielt mich bedeckt. Nachdem Littbarski zur Führung getroffen hatte, ging ich zur Toilette. Dort leiser Jubel. Dann aber glich Platini aus und die Menschen neben mir wirkten angespannter. Ich tauchte ab, sagte Nichtiges. „Ist doch nur ein Spiel.“ Kein Kommentar.

Nach einer gespielten Stunde zerstörte Toni Schumacher meine Schutzmauer aus vorgetäuschter Gleichgültigkeit. Mein Gastvater raunte mich an: „Was zum Teufel fällt dem ein!“ Die Stimmung kippte vollends gegen mich, als Battiston nach jenem Jahrhundertfoul vom Platz getragen wurde. Verlängerung. Zeit, schüchtern darauf hinzuweisen, dass ich nun meinen mitgereisten neunjährigen Bruder ins Bett bringen müsse. In die Ferienwohnung im Block nebenan. Zehn Stockwerke runter, vier Stockwerke hoch. Zeit, durchzuschnaufen. Ich wollte nicht zurück, aber ich musste.

Die Verlängerung lief längst, als ich an der Tür von Vincent klingelte. Mit einem breiten Lächeln öffnete mein – bis dahin – Freund: „Qui, qui“, sagte er. „Es sind zwei Tore gefallen.“ – „Was schon 2:2?“. – „Nee, 3:1 für uns.“ Okay, das war’s. Spiel verloren, Ruhe gewonnen. Ich werde heil hier rauskommen, dachte ich und schmiss mich etwas zu locker aufs Familiensofa. Doch dann. Rummenigge. Tor. Und der Fallrückzieher von Klaus Fischer. „Jaaaaaa!“, dachte ich zu laut. Vernichtende Blicke. Elfmeterschießen. Stielike verschießt. Frankreich neben und hinter mir jubelte. Und dann kam Horst Hrubesch.

Plötzlich fremdelte mein Gastvater auf Englisch mit mir. „Your big man. It’s over.“ Wenig später zeitgleich: „Merde!“ und ein zu lautes „ja“ von mir. Und dann bin ich geflüchtet, schnell die zehn Stockwerke runter, zum nächsten Haus durch das auf einmal mucksmäuschenstille La Defense. Was für eine Tragödie für den französischen Fußball und was für ein schlechter Tag für den deutschen Fußball in Frankreich.

Das Finale habe ich dann auf der Ferieninsel „Ile d’Oléron“ gesehen. Als einziger Deutscher in einer proppevollen Kneipe. Alles tobte für Italien. Geoutet habe ich mich erst ganz spät, als Paul Breitner das nutzlose 1:3 erzielte. Ich erntete abfälliges Lächeln. Vincent habe ich ein Jahr später wiedergesehen. Da hatte sich Schumacher zum Glück schon entschuldigt bei Battiston.

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