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Bayern hat verloren... Woronin trifft zum 2:1, Bayerns Lucio (r.) und Torhüter Rensing staunen nur.

© Imago

Zeitreise: Als Hertha BSC die Bayern schlug und vom Titel träumte

Am Dienstag können die Bayern mit einem Sieg in Berlin wieder Meister werden. Der letzte Hertha-Sieg liegt schon ein Weilchen zurück: 2009 siegten die Berliner 2:1 und übernahmen sogar die Tabellenführung. Ein Blick zurück.

Prolog

Wir schreiben den 20. Bundesliga-Spieltag 2009, und Fußball-Berlin ist im Ausnahmezustand. Hertha mischt mit intelligentem Konterfußball die Liga auf und spielt ziemlich unerwartet um die Spitze mit. Vor allem der vom FC Liverpool ausgeliehene Stürmer Andrej Woronin trifft und trifft. So kommt es erstmals seit dem Wiederaufstieg im Olympiastadion zu einem echten Spitzenspiel, als die Bayern in der Stadt sind. Wir geben nun live zurück ins Jahr 2009 zu unserem Autoren Michael Rosentritt...

Das Spiel

Herthas Trainer Lucien Favre hat sich in den vergangenen Wochen einen gewissen Ruf erworben. Der Schweizer ist bekannt geworden für kluge taktische und personelle Schachzüge, mit denen er einige Gegner zur Verzweiflung gebracht hat. Nicht umsonst stand Hertha trotz ernstzunehmender Personalnöte auch vor dem 20. Spieltag noch immer in der Bundesligaspitzengruppe. Aber was Favre gestern für das Spiel gegen den FC Bayern München aufbot, überraschte nicht nur die 74.244 Zuschauer im ausverkauften Olympiastadion, sondern und insbesondere den Gegner. Favre hatte Rodnei auf die Position des linken Verteidigers in die Startelf berufen und damit den Grundstein für den Erfolg gelegt.

Hertha brachte eine 2:1 (1:0)-Führung erfolgreich über die Zeit und ist damit neuer Tabellenführer.

Anders als allgemein angenommen litt das Duell mit den Bayern aus Berliner Sicht keinesfalls unter den personellen Nöten Herthas. In Marko Pantelic, Gojko Kacar und Cicero waren zwar gleich drei bedeutende Basisspieler nicht einsatzfähig, aber das machte sie nicht zwangläufig schwächer. „Das ist keine einfache Situation für uns“, hatte Favre einen Tag vor dem Spiel gesagt. Erneut war er zum Umbau gezwungen. Dieses Mal spülte es Rodnei in die Startelf, den die Berliner im vergangenen Sommer bei Jagiellonia Bialystok in der polnischen Ekstraklasa entdeckt hatten. Der Brasilianer hatte bis gestern nicht eine einzige Bundesligaminute gespielt. Und jetzt spielte er gegen Luca Toni und Miroslav Klose. Er machte es sehr gut.

Bayern spielte wie die Nationalmannschaft am Mittwoch

Die Bayern waren in der ersten Halbzeit das dominantere Team. Hertha benötigte viele Fouls, um das Spiel der Gäste zu unterbinden. Die Berliner versuchten es ihrerseits mit konterartigen Gegenstößen zum Erfolg zu kommen, deren es aber im letzten Teil an Präzision fehlte. Dennoch: Hertha arbeite konzentriert und mit viel Elan gegen die größere fußballerische Qualität der Gäste.

Ein bisschen war es wie am Mittwoch beim Länderspiel gegen Norwegen. Die Bayern dominierten wie die deutsche Nationalelf weite Teile das Spiel, ohne davon aber entscheidend profitieren zu können. Die Gäste hatte in Sachen Ballbesitz und Zweikämpfbilanz ein deutliches Übergewicht, aber Herthas Defensive ließ in der ersten Halbzeit fast keine Chance zu. Im Gegenteil, Hertha war effektiver. Nach einer halben Stunde hatte Pal Dardai die Führung auf dem Fuß. Seinem Linksschuss stand Zé Roberto auf der Torlinie im Weg. Dardai hatte beim bis dato letzten Sieg der Berliner im Dezember 2001 das Siegtor erzielt. Nur einmal, fünf Minuten später, wurde es für die Gastgeber gefährlich, als ein Kopfball Tonis am langen Pfosten vorbei strich. Anschließend musste der leicht humpelnde Italiener raus. Für ihn kam Landon Donovan.

Lell patzt, Woronin trifft - und später rettet Drobny

Gegen 16.10 Uhr war es dann soweit. Hertha erklomm die Tabellenspitze. Sieben Minuten vor dem Halbzeitpfiff köpfte Andrej Woronin die 1:0-Führung. Der Stürmer hatte sich im Rücken von Abwehrspieler Christian Lell den entscheidenden Vorteil verschafft. Offenbar hatte Lell ihn nicht bemerkt. Zuvor Bayerns rechter Außenverteidiger einen weiten Diagonalball unabsichtlich auf Patrick Ebert geschlagen, der die Flanke zum Tor gab.

Mit Beginn der zweiten Hälfte kamen die Bayern mit größerer Laufbereitschaft besser ins Spiel. Nach gut zehn Minuten verhinderte Torwart Jaroslav Drobny mit einer glänzenden Parade den Ausgleich. Der Tscheche klärte reflexartig einen Kopfball Donovans. Dann erhöhten die Bayern noch einmal den Druck. Nach einer Stunde nahm der Münchner Trainer Jürgen Klinsmann den überforderten Lell vom Feld, für ihn kam der Mittelfeldspieler Tim Borowski. Kurz darauf war es Miroslav Klose, der das 1:1 erzielte. Lucio hatte einen Gewaltschuss auf das Tor abgegeben, den Drobny ebenso parierte wie den Nachschuss von Bastian Schweinsteiger. Doch den erneuten Abpraller drückte der deutsche Nationalstürmer mit dem Kopf über die Linie. Damit hatte Hertha die Tabellenführung an Hoffenheim wieder verloren. Knapp zehn Minuten später bot sich erneut Schweinsteiger eine Torchance – Drobny war zur Stelle. Das war er auch, als nach einem wunderschönen Angriff der Bayern über Ribery erneut Donovan vor ihm auftauchte. Herthas Torwart hielt seine Mannschaft jetzt im Spiel. 

Seine Mitspieler zeigten sich kurz darauf auf ihre Weise erkenntlich. In einer Kontersituation trug Rafael lange den Ball, bis sich ihm die Lücke für ein steiles Anspiel in die Spitze auf Woronin bot. Und erneut ließ sich der Stürmer die Chance nicht nehmen. Aus einer Halbdrehung zog der Ukrainer sofort ab und überwand den herausstürmenden Michael Rensing im Bayerntor. Damit hatte Hertha erneut die Tabellenführung übernommen. Doch es war noch eine Viertelstunde zu spielen. Schließlich musste drei Minuten vor dem Ende auch noch Rodnei angeschlagen vom Feld. Er hatte seine Aufgabe mehr als erfüllt. Der gestrige Sieg wird neben den zweimaligen Torschützen Woronin auf ewig mit dem wackeren Abwehrspieler in Verbindung zu bringen sein. (Erschienen am 15. Februar 2009)

Epilog

Berlin feiert, Autokolonnen tuckern hupend durch die Stadt. Zwischenzeitlich hat Hertha an der Tabellenspitze vier Punkte Vorsprung. Doch dann folgt der Einbruch mit drei Niederlagen in Serie. Mit 63 Punkten und Platz vier erreicht der Verein schließlich das gesetzte Saisonziel und qualifizierte sich damit für die neue Europa League. Meister werden aber auch die Bayern nicht - der VfL Wolfsburg holt sich mit Trainer Felix Magath den ersten Ligatitel seiner Geschichte.

Wie vergänglich der Ruhm eines Sieges gegen die Bayern ist, erfährt Hertha bald auf äußerst schmerzvolle Art. Gerade mal ein halbes Jahr später entlässt der neue Manager Michael Preetz den Trainer Lucien Favre, nachdem Hertha zu Beginn der nächsten Saison sechs Niederlagen in Folge kassiert. Doch auch Friedhelm Funkel kann den Absturz nicht verhindern, am Ende steht der Abstieg in Liga zwei fest.

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