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Hertha BSC: Alexander Baumjohann: "Es kann in jeder Sekunde passieren"

Alexander Baumjohann spricht über seine beiden Kreuzbandrisse, die Erfahrungen mit Louis van Gaal bei den Bayern und ein verspätetes Angebot von Borussia Dortmund.

Herr Baumjohann, hatten Sie in dieser Woche Kontakt zu Nico Schulz?
Ja, er hat mich angerufen, nachdem er sich das Kreuzband gerissen hat. Wir haben kurz gequatscht. Ich will nicht sagen, dass ich ihm Tipps gegeben habe, aber zumindest ein paar Empfehlungen. Bevor ich mich habe operieren lassen, habe ich auch mit Holger Badstuber geredet. Es ist ganz gut, wenn man mit jemandem spricht, der das Gleiche durchgemacht hat.

Durchzuckt es Sie, wenn Sie hören, dass sich ein Kollege das Kreuzband gerissen hat?
Natürlich tut es einem leid. Ich weiß ja, was es bedeutet. Andererseits wird dir auch wieder bewusst, dass du nicht der Einzige mit diesem Schicksal bist.

Ist ein Kreuzbandriss die Verletzung, vor der Fußballer die größte Angst haben?
Was heißt Angst? Eine Knorpelgeschichte, wie sie Julian Schieber hat, ist bestimmt noch komplizierter. Aber bei einem Kreuzbandriss weißt du halt sicher, du bist mindestens sechs Monate raus. Und wenn es richtig ausheilen soll, vielleicht noch länger. Das heißt: Du fällst eine komplette Saison aus.

Welcher Kreuzbandriss war schlimmer: Ihr erster oder Ihr zweiter?
Beim ersten Mal war das ein Riesenschock. Ich war in Wolfsburg im Rasen hängen geblieben, hatte eigentlich keine Schmerzen und habe überhaupt nicht mit etwas Schlimmem gerechnet. Ich war davor auch nie ernsthaft verletzt, wusste also nicht, was das konkret bedeutet, was ich alles mitmachen muss, wie die Heilung verläuft, wie ich danach drauf sein werde. Mir hat einfach die Erfahrung gefehlt.

Und beim zweiten Mal?
Ich hatte schon Angst, weil ich ein leichtes Knacken gehört habe. Aber das Knie war kaum geschwollen, ich hatte wieder keine großen Schmerzen. Trotzdem hatte ich kein gutes Gefühl. Die Diagnose und die Gewissheit waren für mich das Schlimmste in der ganzen Zeit. Ich würde sogar sagen, das war der schlimmste Moment in meinem Leben.

Warum?
Weil man sich natürlich Gedanken macht, ob man das alles noch ein zweites Mal durchsteht, ob es wirklich wieder richtig gut wird. Die zweite OP war auch noch ein bisschen komplizierter, weil aus dem gesunden linken Knie ein Stück Patellarsehne entnommen werden musste, das rechts eingesetzt wurde, also beide Knie operiert werden mussten.

Ist das beim zweiten Mal so, als würde ein Film im Kopf ablaufen?
Ja, das war wie ein Déjà-vu. Der erste Tag war extrem schwer. Aber danach habe ich mir auch gesagt, dass es keine andere Möglichkeit gibt, als den Kopf hoch zu heben und weiter zu arbeiten. Für mich war es eine riesige Herausforderung, allen zu zeigen, dass ich auch nach zwei so schweren Verletzungen zurückkommen kann und wieder das Niveau erreiche, das ich vorher hatte.

Die Kreuzbandrisse haben Ihnen zwei Jahre Ihrer Karriere genommen. Was haben sie Ihnen gegeben?
Man wird demütiger. Man lernt kleine Dinge zu schätzen. Ich werde mich jedenfalls nie wieder über zu harte Trainingseinheiten beschweren. Ich genieße es, dass ich überhaupt trainieren kann. Das ist halt das Schlimme an uns Menschen: Man weiß etwas erst dann zu schätzen, wenn etwas Schlimmes passiert ist.

Gab es einen Moment der Resignation?
Nein, gar nicht. In beiden Fällen war ich relativ schnell wieder ganz klar im Kopf, so dass ich gesagt habe: Es gibt keine Alternative. Ich muss hart arbeiten, und ich werde das schaffen.

Also eine Art Zweckoptimismus?
Ich bin auch vom Naturell so, dass mich das nicht aus der Bahn wirft. Beim zweiten Mal macht man sich natürlich mehr Gedanken. Aber ich habe mir auch gesagt: Beim ersten Mal hat es gut geklappt, in der Reha ging es stetig bergauf. Beim zweiten Mal war es genauso. Von daher ist es mir relativ leicht gefallen, nicht zu zweifeln. Im Gegenteil: Ich habe jeden Tag den Willen gehabt, so viel wie möglich zu arbeiten. Wenn ich diesen unbedingten Willen nicht gehabt hätte, wäre es vermutlich nicht so gut gelaufen.

Das Thema Sportinvalidität haben Sie völlig verdrängt?
Nicht verdrängt. Ich hab’ einfach an mich geglaubt und, weil die Reha immer positiv lief, keinen Moment daran gedacht, dass es nicht klappen könnte. Es ist aber nicht so, dass ich mir das eingeredet habe.

Haben Sie Angst, dass es wieder passiert?
Nach der zweiten Verletzung war ich zehn Monate komplett aus dem Mannschaftstraining raus. Es ist klar, dass bestimmte Automatismen nicht sofort wieder funktionieren, dass man auch ein bisschen mit Auge trainiert. Aber das hat nichts mit Angst zu tun. Das heißt auch nicht, dass man in gewissen Situationen zurückzieht. Ich weiß ja, es kann in jeder Sekunde passieren. Und wenn es passiert, dann sollte es halt passieren.

Im Sommer waren Sie sehr optimistisch, was Ihre Rückkehr auf den Platz angeht.
Beim Trainingsauftakt habe ich gesagt: Ich möchte am ersten Spieltag wieder auf dem Platz stehen. Es ist leider nicht der erste geworden, sondern der zweite. Aber selbst damit hat niemand gerechnet. Alle haben gesagt, dass ich noch lange brauchen werde, was nach so einer Verletzung auch normal ist. Aber ich habe mich in der ganzen Phase vor dem Trainingsauftakt gut gefühlt, habe den Sommerurlaub komplett durchgearbeitet. Es gab also keinen Grund, nicht optimistisch zu sein.

Wie schwer ist es Ihnen gefallen, geduldig zu bleiben?
Geduld ist das Schwierigste überhaupt. Jeder Fußballer möchte so viel wie möglich spielen. Aber gerade für mich ist es nach der langen Pause das Wichtigste, clever, schlau und vor allem geduldig zu sein. Auch wenn man natürlich schon kurz enttäuscht ist, wenn man vor einem Spiel erfährt, dass man nicht in der Startelf steht.

Sie sagen sogar, dass Sie eigentlich kein Jokertyp seien.
Ja, dazu stehe ich – auch wenn es als Joker bis jetzt gut geklappt hat. Ich habe ganz ordentlich gespielt und das eine oder andere Tor vorbereitet. Aber ich bleibe dabei: Gerade auf meiner Position ist es am besten, wenn man von Anfang an im Spiel ist.

Sehen Sie sich als klassischen Spielmacher?
Ja, schon. Auch wenn das Spiel natürlich komplexer geworden ist und der Spielmacher nicht nur nach vorn arbeitet. Ich habe auch meine Aufgaben nach hinten, muss der Mannschaft helfen und in der Defensive arbeiten. Trotzdem sehe ich mich auf der Zehnerposition am stärksten.

Sind nicht längst die Sechser die neuen Spielmacher?
Natürlich muss man den Ball schon klar von hinten herausspielen, aber der Sechser ist mehr für die defensive Organisation zuständig. Wir haben in Per Skjelbred und Vladimir Darida zwei Spieler auf der Sechs, die gar keine typischen Sechser sind. Sie holen sich aus der Innenverteidigung den Ball ab, haben das ganze Feld vor sich und sind gewissermaßen auch Spielmacher, wenn auch mit mehr defensiven Aufgaben. Das sieht man ja daran, dass Darida und Skjelbred jeweils fast 14 Kilometer im Spiel zurücklegen. Derjenige, der vor ihnen spielt, kann dann vielleicht ein, zwei Kilometer weniger laufen (lacht).

Ihr Trainer Pal Dardai sagt: Wenn Sie eingewechselt werden, helfen Sie der Mannschaft zu hundert Prozent.
Ich will mich auch nicht beschweren. Ich weiß selbst nicht, ob ich schon Kraft für 90 Minuten habe. Aber ich glaube eben auch, dass mir jede Minute hilft, wieder auf das alte Niveau zu kommen. Ob ich Kraft für 90, für 70 oder 60 Minuten habe, das weiß der Trainer nicht, das weiß ich selber nicht, weil ich schon lange nicht mehr 90 Minuten gespielt habe. Im Moment genieße ich jede Minute. Aber wenn der Trainer sagt, dass ich von Anfang an spiele, werde ich es doppelt genießen.

Spekulieren Sie an diesem Wochenende noch ein bisschen mehr darauf, weil Hertha bei Schalke 04 spielt?
Ich freue mich riesig auf das Spiel – selbst wenn ich nur eingewechselt werde. Das ist das Stadion, in dem ich mein erstes Bundesligaspiel absolviert habe, der Verein, bei dem ich zehn Jahre gespielt habe. Aber ganz ehrlich: Wo ich zum ersten Mal auflaufe, in Darmstadt, Ingolstadt oder auf Schalke – das ist mir eigentlich egal.

Inwieweit treibt es Sie an, auch die Leute zu widerlegen, die behaupten, Sie hätten Ihr Talent ein wenig verschludert?
Viele Leute kennen mich gar nicht und haben einen falschen Eindruck von mir. Ich bin als schwieriger Typ dargestellt und dann auch so wahrgenommen worden bin. Weil ich es trotz meines Talents nicht zum Nationalspieler gebracht und es bei den Bayern nicht geschafft habe. Aber da haben mehrere Faktoren eine Rolle gespielt. Ich will nicht sagen, dass immer die anderen schuld waren, aber ich glaube, dass mein Weg danach zeigt, dass ich nicht abgehoben bin.

Wie meinen Sie das?
Ich bin von Schalke nach Kaiserslautern gewechselt, von der Bundesliga eine Klasse tiefer in die Zweite Liga. Ich bin bewusst einen Schritt zurückgegangen, um vielleicht zwei Schritte nach vorn zu machen. Und dass ich nach zwei solchen Verletzungen zurückkomme, hätten mir wahrscheinlich auch nicht viele zugetraut.

Gibt es trotzdem Dinge, die Sie bereuen? Vielleicht, dass Sie zu früh aus Mönchengladbach zu den Bayern gewechselt sind?
Was heißt bereuen? Bei meiner Unterschrift im Frühjahr 2009 war Jürgen Klinsmann noch Trainer, im Sommer war er weg und Louis van Gaal sein Nachfolger. Ich habe schnell festgestellt, dass es für mich unter diesem Trainer keine Zukunft gibt. Er hat mich gar nicht gekannt. Als ich ihn am ersten Tag begrüßt habe, hat er mich gefragt, wer ich denn sei, und mir dann relativ früh zu verstehen gegeben, dass er mich bei den Amateuren sieht. Das war nicht mein Anspruch. Und es gab auch andere Absprachen.

Sie sollen als Kind ein großer Fan von Borussia Dortmund gewesen sein?
Das stimmt.

Haben Sie es nicht bereut, dass Sie nie für den BVB gespielt haben, stattdessen für dessen Erzrivalen Schalke 04?
Als ich mit zwölf in der Westfalen-Auswahl gespielt habe, habe ich von allen größeren Klubs aus der Region ein Angebot bekommen. Nur von Borussia Dortmund nicht. Ich habe mich dann für Schalke entschieden. Einen Tag später haben sich die Dortmunder gemeldet. Da sind, glaube ich, ein paar Tränen geflossen. Ich habe sogar überlegt, den Schalkern wieder abzusagen, aber meine Mutter hat gesagt: „Wenn man sein Wort gegeben hat, muss man auch dazu stehen.“ Und im Endeffekt ist es bei Schalke ja auch nicht ganz so schlecht für mich gelaufen.
Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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