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Wassily Kandinskys Gemälde „Murnau“ aus dem Jahr 1908 wurde in der Dezember-Auktion von Ketterer für 3,9 Millionen Euro zugeschlagen. 

© Ketterer Kunst GmbH & Co. KG/Marc Autenrieth

Rückblick auf das Jahr 2023 im Kunsthandel: Silberstreif am Horizont

Was für ein Jahr erschütternder Konflikte und schwacher Konjunktur. Sie verschonten auch den Kunstmarkt nicht, der dennoch seine Stabilität bewahrte.

Von Eva Karcher

Es ist keine Überraschung: Die Zahlen des globalen bis lokalen Kunstmarkts im Primärsektor der Galerien wie im Sekundärbereich der Auktionshäuser fallen im Vergleich zum nachpandemisch euphorisierten Boomjahr 2022 bescheidener aus. Fast alle Player hatten angesichts von Kriegen und Krisen mit Korrekturen gerechnet, einem langsameren Tempo der Verkäufe, mehr Rückgängen von Losen und generell zurückhaltenderer Kauflaune, auch weniger hysterischen Preisen für gehypte Künstlern.

Das Gesamtvolumen der Auktionsverkäufe der Big Player Christie’s, Sotheby’s und Phillips in den Sparten Alte Meister, Impressionisten, Klassische Moderne, Postwar und zeitgenössische Kunst lag nach Analysen des Datenpioniers ArtTactic mit 5,6 Milliarden Dollar um 27 Prozent niedriger als im Vorjahr. Während die schwächeren Ergebnisse einem dreißigprozentigen Rückgang der Toplose im Segment ab 10 Millionen Dollar geschuldet sind, nahmen Verkäufe im Preiskorridor unter 50.000 Dollar um 18 Prozent zu.

Teuerstes Werk des Jahres ist Pablo Picassos popleuchtendes Meisterwerk „Femme à la montre“ aus dem Jahr 1932, das Sotheby’s Anfang November in New York für 139,4 Millionen Dollar versteigerte. Das zweite Rekordwerk des Jahres, Gustav Klimts 1917 entstandenes ebenfalls prachtvolles Gemälde „Dame mit Fächer“ hatte das Haus bereits im Juni für 99,57 Mio. Euro an einen Sammler aus Hongkong versteigert. Immerhin – doch im Jahr zuvor waren es sechs Spitzenergebnisse im 100 Millionen Dollar-Bereich.

Viele Rückgänge bei den Winterauktionen

Weist das Abebben der Rekordrallyes auf eine überfällige Marktkorrektur hin? Auch die europäischen und deutschen Auktionshäuser mussten in ihren November- und Dezember-Auktionen zahlreiche Rückgänge hinnehmen. Sowohl der Münchner Versteigerer Karl & Faber als auch das Kölner Haus Lempertz erlebten, wie nur vierzig bis fünfzig Prozent ihrer Positionen zugeschlagen werden konnten. Sogar die Arbeiten großer Namen wie Wassily Kandinskys Gouache „Pointillé“ bei Karl & Faber oder August Mackes Ölgemälde „Kinder mit Ziege im Wald“ bei Lempertz sind im Nachverkauf noch zu haben. „Regelrecht gerettet“, so Lempertz-Chef Henrik Hanstein, „hat uns Max Pechstein“.

Immerhin 3,2 Millionen Euro erzielte das 1909 entstandene „Selbstbildnis liegend“ des Brücke-Malers, das der Käufer dem Museum Wiesbaden anvertrauen will. Am Ende setzte Karl & Faber in den Winterauktionen 6 Millionen Euro um, Lempertz 7,5 Millionen; für Co-CEO Isabel Apiarius-Hanstein ein „starkes Ergebnis mit 6,5 Prozent Umsatzzuwachs im Jubiläumsjahr“.

15,77 Millionen Euro erbrachte beim französischen Auktionshaus Artcurial der „250 LM Berlinetta“ von Pininfarina, ein Oldtimer von Ferrari.

© Alex Penfold

Eher ernüchternd schnitt das Berliner Auktionshaus Grisebach in seiner Abendauktion ab: 22 von 60 Werken blieben liegen. Gleichzeitig gab es drei Millionenzuschläge, allen voran für Lyonel Feiningers betörendes Strandbild „Wolken über dem Meer I“ aus dem Jahr 1923, das seinen oberen Schätzwert von 1,2 Millionen Euro auf 2,4 Millionen Euro verdoppelte. Selbst der deutsche Branchenprimus, der Münchner Auktionator Robert Ketterer, bilanzierte eine höhere Rückgangsquote, jubelte jedoch auch über 4 Millionenzuschläge und ein Gesamtergebnis von 41 Millionen Euro.

Zum Star-Los des Abends wurde Konrad Klaphecks hyperrealistisches Ölgemälde eines Motorrads im Nostalgie-Look mit dem postironisch anmutenden Titel „Die Jagd nach dem Glück“. Inklusive der Vorzeichnung ging es für die Rekordsumme von 2,48 Millionen Euro an einen Galeristen aus Zürich.

 139,4 
Millionen Dollar kostete Picassos „Femme à la montre“ bei Sotheby’s ein und war damit teuerstes Werk des Jahres

Während das Wiener Dorotheum keine Millionen, doch zahlreiche sechsstellige Summen in den Jahresendauktionen erlöste, so ein mattschwarzes „Concetto Spaziale“ von Lucio Fontana für 875.000 Euro, triumphierte das größte französische Auktionshaus Artcurial mit ganz anderen Zahlen: An der Spitze positionierte sich mit sensationellen 15,77 Millionen Euro ein Oldtimer von Ferrari aus dem Jahr 1964 der „250 LM Berlinetta“ von Pininfarina, gefolgt von 6,77 Millionen Euro für einen honiggelben „Concetto spaziale, Piazza San Marco al sole“ (1961) von Lucio Fontana und 5,71 Millionen Euro für das hinreißende Gemälde „The Sacrifice to the Minotaur” des Rokoko-Malers Jean-Honoré Fragonard.

Diese aparte Mischung aus Kunst und Luxus, die Artcurial wie auch andere Mehrspartenhäuser, darunter Christie’s, Sotheby’s, Bonhams und Lempertz mehr und mehr favorisieren, weist auf einen immer populäreren Trend hin: den zum intelligenten Mix von etablierter wie junger Kunst und Lifestyle-Pretiosen wie exklusiven Immobilien, Designobjekten und antikem Mobiliar, Tapisserien, Porzellan, Schmuck, Oldtimern und Collectibles von Luxushandtaschen bis zu Sneakern. Der stilistische Eklektizismus des 21. Jahrhunderts ist Teil einer umfassenden Neubewertung der globalen Kulturgeschichte seit der Generation X, die als wohl erste aus dem westlichen Zentrismus ausbrach.

Der Primärmarkt der Galerien und ihrer Messen blieb 2023 ebenfalls stabil, wenn auch „auf einem etwas schwächeren Niveau als im Vorjahr“, wie Thaddaeus Ropac meint, einer der führenden zeitgenössischen Galeristen, der gerade das vierzigjährige Jubiläum seines weltweiten Imperiums feierte. „Wir sind Teil der Konjunkturzyklen, ihre Aufs und Abs prägen nun einmal unser Business.“

Marc Payot, Präsident und Senior Partner des Powerhouses Hauser & Wirth mit inzwischen 22 Standorten weltweit, spricht von „einem anregenden und positiven Jahr, trotz der Herausforderungen durch Kriege und Konflikte. Es gab einen Silberstreif am Horizont: Wir wurden uns unserer Werte bewusster.“

Die Boutique-Messen behaupten sich immer mehr

Im jährlichen Messereigen der global agierenden Messen Art Basel, die zur MCH Group AG gehört, an der die Beteiligungsgesellschaft Lupa von James Murdoch erheblichen Anteil hat, und der Frieze, die mit dem Unterhaltungs- und Medienkonglomerat Endeavor als Muttergesellschaft gerade die Expo Chicago und die Armory Show kaufte und jetzt den US-Markt beherrscht, behaupten sich erstaunenlicherweise gerade die Boutique-Messen mit kleinen und mittleren Galerien immer mehr.

Zu den kleinsten der Miniformate zählen die zwei Jahre junge CAN Ibiza, außerdem der Nomad Circle, der wechselnde, architektonisch spektakuläre Standorte an exklusiven Orten wie St. Moritz, Capri oder Monaco wählt und Kunst, Handwerk sowie Design mixt, und als jüngste die Art & Design Tegernsee. Mit zehn Ausstellern startete sie im Herbst, darunter die Galerien Beck & Eggeling aus Düsseldorf und Wentrup aus Berlin.

Ihr Potenzial, so Direktorin Christine Otsver, liege in der Verbindung von „hochkarätiger Kunst mit traumhafter Landschaft, Hotellerie und Gastronomie“. Sofern die Qualität der Kunst stimmt, besitzt das immer beliebtere Messe-Boutique-Format vielversprechendes Potenzial.

Was prägte und erregte den Markt außerdem in diesem Jahr? NFT-Kunstwerke interessieren nur noch wenige; 95 Prozent der Sammlungen sind angeblich wertlos. Dafür experimentieren Künstler wie der Deutsche Andreas Greiner in seiner Ausstellung „Game Of Life“ bei Dittrich & Schlechtriem in Berlin immer überzeugender mit KI. Und noch eine gute Nachricht: Kunst und Wohltätigkeit verbünden sich immer häufiger in Charity-Auktionen: Noch ein Silberstreif am Horizont.

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