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Gundermann mit Großaufgebot. Andreas Dresen (Mitte) mit Alexander Scheer (links) und Filmorchester Babelsberg im Nikolaisaal Potsdam.

© Andreas Klaer

Gundi ist tot? Es lebe Gundi!: Andreas Dresen rockt den Nikolaisaal in Potsdam

Andreas Dresen und Alexander Scheer würdigten im Nikolaisaal mit dem Filmorchester Babelsberg Gerhard Gundermann.

Von Oliver Köhler

Es ist ein einmaliges Bild: Das Orchester im Rücken, stehen Alexander Scheer und Andreas Dresen auf der Bühne, beide spielen im selben Rhythmus Gitarre, als sich ihre Blicke treffen. Ein kurzes Lächeln, dann lässt Dresen die Gitarre los und legt die rechte Hand kurz auf Scheers Schulter – eine vertrauliche Geste, die eine Freundschaft symbolisiert. Es gibt hier kein Gefälle zwischen Regisseur und Protagonist. Warum auch?

Sechs Jahre alt ist der Film inzwischen, in dem Alexander Scheer „Gundermann“ spielte, ein Biopic und auch ein Musikfilm, der völlig zu Recht den Deutschen Filmpreis einheimste. Am vergangenen Samstag (27.1.) standen Dresen und Scheer im Nikolaisaal gemeinsam auf der Bühne, und natürlich ging es da gar nicht mehr um den Film selbst, sondern um den Poeten und Baggerfahrer Gerhard Gundermann als Musiker. Der Lausitzer Melancholiker starb bereits 1998 nach einem viel zu kurzen Leben. Sein Erbe hallt jedoch auf vielen Ebenen nach – auch mehr als ein Vierteljahrhundert später.

Scheer spielte Gerhard „Gundi“ Gundermann mit einer Intensität, die auch am Samstag erlebbar wurde. Zwar nicht mit übergroßer Brille und Schüttelfrisur, dafür mit Hut und zumeist geschlossenen Augen, die Gitarre fast auf den Knien: „Ich mache meinen Frieden“, singt er, und es klingt, als wäre Gundermann nie weg gewesen, stimmlich eine fast beängstigend reale Kopie. Die Band – neben Dresen und Scheer Jens Quandt, Jürgen Ehle, Harry Roswog und Nicolai Ziel – zieht ihn regelrecht, dann noch dieses unfassbar pathetisch-schöne Filmorchester im Rücken. Christian Köhler dirigiert das mit einer Coolness, die ihresgleichen sucht. Zonenromantik? Weit gefehlt: „Mittlerweile spielen wir sogar im Westen“, freut sich Dresen. Und sogar mit Orchester. Als hätte es nie eine Mauer gegeben.

Annäherung? Auferstehung!

Und so krallt man sich in den Sitz, der Abend glüht, und dafür sorgen nicht nur die genialen Kompositionen, sondern die so unfassbar schöne Interpretation: „Ich habe keine Zeit mehr“, singt Scheer-Gundi mit ganz viel Pathos, aber Zeit spielt in diesem Moment keine Rolle. Eigentlich braucht Scheer die Gitarre gar nicht, aber Gundermann ohne die Klampfe wäre irgendwie – nackt. „Einmal“ singt Dresen, die zuckersüßen Geigen im Hintergrund, Scheer bekommt die Augen gar nicht mehr auf, seine Stahlkette schwappt aus der Hosentasche, als sollte sie irgendwo einrasten, um ihn festzuhalten, dabei hält er sich am Mikro fest, schwankt, vibriert.

Andreas Dresen strahlt, zwinkert seinem Gundermann zu, die Gitarre betont lässig, statt gewohntem Jeans-Outfit in weißem Hemd und mit quietschroten Turnschuhen. Es ist eine Auferstehung ohnegleichen, nicht nur eine schnöde Annäherung. Vielleicht wäre der Abend dem bodenständigen Baggerfahrer, der immer von „echter“ Arbeit leben wollte, fast schon zu viel gewesen, diese traurig leuchtende Schönheit, dieses musikalische Pathos. Aber wann bekommt man schon mal so eine Hommage? Die bekommt übrigens auch Gundermanns Tochter, die an diesem Abend im Saal sitzt, genau wie ihre Mutter Conny. Bei „Linda“ schafft es Scheer mühelos, den Kloß im Hals ganz tief sitzen zu lassen. 

Näher kommt man dem Künstler vielleicht nie wieder, weder im Film noch auf der Bühne. Dabei ist der Film von Andreas Dresen die bislang konsequenteste, vielschichtigste Annäherung an den Lausitzer Künstler, keine Frage. Mittlerweile steht Dresen selbst im Fokus: Die Dokumentation „Andreas Dresen. Ein Leben für den Film“ feiert am Dienstag im Filmmuseum Premiere. Die Dresen-Ausstellung „Voll das Leben!“ läuft noch bis Ende des Jahres im Filmmuseum. 

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