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Der Potsdamer Jurist Ludwig Levy Anfang der 1920er Jahre. Im März 2023 erzählt eine Ausstellung in der Gedenkstätte Lindenstraße unter dem Namen „Entrechtet“ seine Geschichte.

© privat

Auf der Spur der Entrechteten: Was die Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße in diesem Jahr plant

Drei Sonderausstellungen stehen in den kommenden Monaten an: Zunächst wird die Situation jüdischer Jurist:innen nach 1933 beleuchtet. Die Gedenkstätte kann auch virtuell besucht werden.

Das Schicksal des Potsdamer Juristen Ludwig Levy lässt sich an seinen Wohnorten ablesen. Nach 1933 wurden sie immer kleiner. Aufgewachsen ist er vermutlich in der Innenstadt, dort wo heute das nach ihm benannte Restaurant „Lewy“ seinen Sitz hat. Als erfolgreicher Jurist lebte er später standesgemäß auf großem Fuß in der Berliner Vorstadt. Von den Nazis enteignet, musste er mehrfach umziehen. Die letzte Potsdamer Adresse war in der Humboldtstraße: eine Einzimmerwohnung.

Recherchiert hat das Johannes Leicht, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Gedenkstätte Lindenstraße. Er wird im März eine Sonderausstellung zu Ludwig Levy präsentieren. Levy war Rechtsanwalt, Sozialdemokrat, und er war Jude. Als einer von rund 600 jüdischen Menschen in Potsdam wurde er nach 1933 schikaniert. Im März 1933 musste er sein seit 1928 ausgeübtes Mandat als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung aufgeben, seit April 1933 durfte er seinen Beruf nicht mehr ausüben.

Er saß im KZ Oranienburg ein, bestritt dann seinen Lebensunterhalt als Angestellter in einer Konservenfabrik. 1938 verhaftete ihn die Gestapo erneut, verschleppte ihn für vier Wochen ins KZ Sachsenhausen. Ende 1938 jedoch gelang ihm und seiner Frau die Flucht. Nach Palästina zunächst, später nach Australien.

Wiederentdeckte Erinnerungen

Gestorben ist Levy 1966 in Sydney, im Alter von 83 Jahren. 1943 hatte er seine Erinnerungen an die Zeit in Nazi-Deutschland aufgeschrieben: Sie sind erst vor Kurzem im Familienbesitz entdeckt worden. Johannes Leicht und die Gedenkstätte Lindenstraße haben ein Buch daraus gemacht, das im März erscheinen soll. Parallel dazu wird die Foyerausstellung die Situation jüdischer Jurist:innen nach 1933 in Potsdam thematisieren. „Entrechtet“ heißt sie, ab 24. März werden darin sechs Schicksale vorgestellt.

„Entrechtet“ ist eine von drei Sonderausstellungen, die die Gedenkstätte für 2023 plant. Es ist das Jahr der historischen Jubiläen. 100 Jahre Schicksalsjahr 1923, das Jahr von Ruhrbesetzung, Hyperinflation, Hitler-Putsch. 90 Jahre „Tag von Potsdam“. Und: 70 Jahre Aufstand des 17. Juni 1953. Im März war Stalin gestorben, im Juni gingen in der DDR die Menschen in abertausenden für gesellschaftliche Veränderung auf die Straße, tausende wurden inhaftiert. Auch in der Haftanstalt Lindenstraße, seit 1952 das Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit für den Bezirk Potsdam, kam es zu einem schlagartigen Anstieg von Verhaftungen. Ein Podiumsgespräch am 7. März und eine Gedenkveranstaltung am 17. Juni werden daran erinnern.

Jahr der Jubiläen

Die geplanten Ausstellungen widmen sich dem für Potsdam wichtigsten Jubiläum: Am 21. März jährt sich der Tag von Potsdam zum 90. Mal. Am 30. Januar 1933 war Hitler zum Reichskanzler ernannt worden, die Feierlichkeiten zur Eröffnung des neuen Reichstags fanden in Potsdam statt. Der symbolisch aufgeladene Staatsakt ging als „Tag von Potsdam“ in die Geschichte ein. Die Gedenkstätte fügt sich mit der Schau zu Ludwig Levy in ein Programm der Landeshauptstadt, die unter dem Titel „Als die Demokratie starb“ mehrere Player verknüpft: Lindenstraße, Rechenzentrum, Potsdam Museum, Landeszentrale für politische Bildung.

Vom 15. Mai bis 11. August wird die Wanderausstellung „Die Weimarer Republik - Deutschlands erste Demokratie“ gezeigt. Als Höhepunkt des Jahres ist die Sonderausstellung „Auf dem rechten Auge blind…“ angekündigt, die ab dem 8. September politisch motivierte Rechtsprechung am Potsdamer Amts- und Landgericht vor 1933 in den Blick nehmen will - falls die entsprechenden Drittmittel bewilligt werden. In der Schau soll auch der Unmut Thema sein, den die offensichtlich voreingenommene Rechtssprechung in den 1930er Jahren in Potsdams Bevölkerung hervorrief.

Vom 15. Mai bis 11. August wird in der Gedenkstätte die Wanderausstellung „Die Weimarer Republik - Deutschlands erste Demokratie“ gezeigt.
Vom 15. Mai bis 11. August wird in der Gedenkstätte die Wanderausstellung „Die Weimarer Republik - Deutschlands erste Demokratie“ gezeigt.

© Ottmar Winter PNN / Ottmar Winter PNN

Jetzt auch digital

„2023 ist angesichts der Haushaltslage kein ganz einfaches Jahr“, sagt Gedenkstätten-Leiterin Maria Schultz. Die genannten Projekte seien nur über Drittmittel zu stemmen gewesen. Das gilt auch für die große technische Neuerung, die das Jahr mit sich bringt: Das gesamte Areal der Gedenkstätte, etwa 2500 Quadratmeter, kann ab sofort auch virtuell besucht werden. Der 360-Grad-Rundgang entstand im Rahmen des Projekts „Vergangenheit verstehen“, das von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird.

Über die Webseite der Gedenkstätte kann man sich nicht nur in Zellen und Hof der Haftanstalt klicken, sondern auch den Dachstuhl besuchen: analog unmöglich. Der virtuelle Zugang soll vor allem Menschen mit Einschränkungen ermöglichen, das nicht barrierefreie Haus zu besuchen, Schülergruppen leichter Einblick gewähren - und auch die ermutigen, die den Weg in ein Museum sonst eher scheuen. Insgesamt ist Schultz mit der Bilanz zufrieden: Rund 14.800 Menschen kamen 2022. Fast so viele wie im Vor-Coronajahr 2019.

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