zum Hauptinhalt
Alfred Roos, Chef des Netzwerks Tolerantes Brandenburg

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Toleranzbündnis-Chef Alfred Roos: „Mein Job ist es nicht, die AfD zu bekämpfen“

In der Mark ist die AfD aktuell stärkste Kraft, rechtsextreme Vorfälle wie in Burg häufen sich. Was taugt die vor 25 Jahren aufgelegte Strategie „Tolerantes Brandenburg“? Ein Interview mit dem neuen Chef Alfred Roos.

Rechtsextreme Vorfälle häufen sich, ob in Burg, Golm oder Heidesee, die AfD wird stärker und stärker. Tolerantes Brandenburg?
Das Programm wird gebraucht. Das Tolerante Brandenburg wird 25 Jahre alt. Es ist damals gegründet worden aufgrund vieler rechtsextremer, auch gewalttätiger Übergriffe, einer drohenden Gefahr von No-Go-Areas. Wir haben Strukturen aufgebaut, die die Menschen vor Ort beraten und unterstützen, insbesondere die Schulen. Das Wichtigste war die klare Aussage der Landesregierung, dass nicht weggeguckt wird und der Rechtsextremismus klar bekämpft wird.  

Erlebt Brandenburg gerade eine Neuauflage der damaligen Baseballschlägerjahre?
Das geben weder die Zahlen her noch ist die Situation vergleichbar. Die 90er Jahre waren bestimmt von rechtsextremen, neonazistischen Jugendkulturen, die versucht haben, die Oberhand in ihrer Region zu übernehmen. Das ist längst nicht mehr so, glücklicherweise. Schon damals war das Ganze aber kein Jugendproblem, sondern eins der gesamten Gesellschaft. Das wird jetzt sogar noch deutlicher: Die Einstellungen von Jugendlichen haben sich in den letzten Jahren kaum verändert: Es ist mehr denn je ein Problem der gesamten Gesellschaft. Man muss, man darf sich nicht fokussieren auf rechtsextreme Schlägertrupps, die damals in den Baseballschlägerjahren eine so große Rolle gespielt und zu einer starken Verunsicherung geführt haben. 

Es sind also eher die Eltern, die nach rechts gerückt sind?
Ich sage es mal so: Die Jugendlichen von damals sind älter geworden, und heute selbst Eltern.  

Der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe hat damals eingeräumt, zu lange weggeschaut, zu lange Verständnis für das Abdriften seiner Brandenburger gezeigt zu haben. Was trägt vom damaligen Ansatz auch heute noch?
Ich denke, es sind drei Punkte, die seitdem zusammen gedacht wurden, und auch weiterhin zusammen gedacht werden müssen: Nötig ist erstens eine Politik der klaren Signale, die von der Landesregierung ausgehen, auch vom Parlament, von der parlamentarischen Mehrheit: Dass wir eine weltoffene, demokratische Gesellschaft brauchen. Zweitens müssen die zivilgesellschaftlichen Strukturen im Land unterstützt werden. Drittens muss bei Straftaten die Repression funktionieren, und zwar durch Polizei und Justiz. Es muss deutlich sein, wo die Grenzen sind, die auch durchgesetzt werden. Der Verfassungsschutz, der aufgestockt wurde, spielt eine wichtige und gute Rolle.

Das ist der Anspruch. Die Realität ist eine rechtsextreme Partei auf dem Sprung zur stärksten Kraft. Ist das Programm Tolerantes Brandenburg ins Leere gelaufen?
Nein, das ist eine Art Präventions- und Evaluationsparadox. Man kann eben nicht sagen, was nicht geschehen ist, weil es das Tolerante Brandenburg gegeben hat und weil es sich so entwickelt hat, wie es sich entwickelt hat. Aber wir müssen natürlich auch gucken, wie die Strukturen, so wie sie sind, weiter entwickelt werden können. Wir müssen prüfen, ob wir neue Themen besetzen und bearbeiten müssen. Wir müssen mit einer Entwicklung umgehen, in der weite Teile der Bevölkerung sich so orientieren, dass sie mit rechtsextremen Aussagen wenig Probleme haben. Da sind wir dran. Dabei spielen die sogenannten sozialen Medien eine große und schwierige Rolle.

Wir müssen mit einer Entwicklung umgehen, in der weite Teile der Bevölkerung sich so orientieren, dass sie mit rechtsextremen Aussagen wenig Probleme haben.

Alfred Roos

Wo noch?
Ich denke, dass da, wo Verfassungsfeinde unterwegs sind, Repression konsequenter sein muss. In den Baseballschlägerjahren hatten wir es geschafft, dass Straftaten nicht erst fünf Jahre danach vor Gericht verhandelt werden. Es ist deutlich, und da sind wir auch im Gespräch, dass eine Beschleunigung der Verfahren nötig ist.

Die beiden Lehrer in Burg, die die rechtsextreme Hegemonie unter Schülern und das Wegschauen der Schulleitung beklagten, wussten sich nicht anders als mit einem anonymen Brandbrief zu helfen. Schmerzt Sie das?
Ich habe mit beiden gesprochen. Diese Frage hat thematisch dabei keine Rolle gespielt. Aber es ist sicher eine Aufgabe für uns, dafür zu sorgen, dass unsere Hilfs- und Beratungsangebote in den Institutionen auch wirklich bekannt sind. Wir prüfen, ob und wie wir da auch noch mal nachlegen können, etwa für Lehrkräfte, die neu in den Schuldienst kommen. Jedenfalls klagen die Kolleginnen und Kollegen im Beratungsnetzwerk nicht über zu wenig Arbeit: Sie werden also gefunden und auch angesprochen.

Im Externen Evaluationsbericht zum Toleranten Brandenburg aus dem Jahr 2004 findet sich der Befund, „dass aufgrund der recht allgemein gehaltenen Ziele der Grad der Umsetzung nicht beurteilt werden kann“. Ist das das Problem?
Das Problem ist, dass eine Evaluation eines Handlungskonzepts dieser Größe nicht finanzierbar wäre. Ein Großteil der Mittel, die wir zur Bekämpfung des Rechtsextremismus erhalten, müsste dafür eingesetzt werden. Da würden auch Soziologinnen und Soziologen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Das Handlungskonzept wird aber wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse nehmen wir ernst. Wir brauchen das Geld für die Praxis.

Sie leiten das Netzwerk, das in der Staatskanzlei angesiedelt ist, seit dem 1. Mai. Wo muss im Kampf gegen Rechtsextremismus nachgesteuert werden, wo sind neue Akzente nötig?
Wir brauchen keine regionalen Außenstellen des Toleranten Brandenburgs. Das Beratungsnetzwerk mit den Praktikern vor Ort macht seine Sache gut.

Reichen angesichts der aktuellen Entwicklungen die mobilen Beratungsteams aus?
Ein Mehr kann es immer geben. Wir haben das Mobile Beratungsteam im Süden des Landes verstärkt, also verdoppelt, …

… wegen der gefestigten rechtsextremen Strukturen im Cottbuser Raum, der toxischen Mischung mit Hooligans, Sicherheitsgewerbe, die der Verfassungsschutz regelmäßig beschreibt.
Ja, drei Landkreise und die kreisfreie Stadt Cottbus sind zu groß für nur zwei Beraterinnen und Berater. Auch die Schulberatung wird dort verstärkt.

In Kürze soll das „Bündnis für Brandenburg“ wiederbelebt werden, das eine ähnliche Stoßrichtung hat. Was sollen solche Doppelstrukturen?
Es ist keine Doppelstruktur. Um dies zu verhindern, wird es auch unter unserem Dach koordiniert. Es ist eine Ergänzung, keine Konkurrenz. Das Bündnis versucht vor allem, Partner in der Wirtschaft und Gesellschaft zu gewinnen.  

Der „Brandenburg-Monitor“ registriert seit einigen Jahren, wie sich intolerante und auch teils rechtsextreme Einstellungen bei einem festen Teil der Bevölkerung etabliert haben, dass generell das Vertrauen in Institutionen schwindet. Liegt das Kernproblem weniger im Erstarken des Rechtsextremismus als darin, dass die demokratischen Parteien immer schwächer werden?
Man sollte über den Brandenburger Tellerrand hinausschauen: In allen liberalen Demokratien ist in den vergangenen Jahrzehnten eine verstärkte Entwicklung von Rechtspopulismus zu beobachten. Es gibt rechtspopulistische und rechtsextremistische Regierungen in Europa. All diese Entwicklungen gehen auch an Deutschland, an Brandenburg nicht vorbei. Im Vergleich ist die Parteienbindung glücklicherweise hier sogar noch relativ groß. Aber die Bindung lässt nach, besonders im Osten.

In Brandenburg geht es großen Teilen der Bevölkerung sozial besser und besser, aber die Stimmung wird schlechter. Haben Sie eine Erklärung für dieses Phänomen?
Es gibt verschiedene Erklärungsversuche. Dem Land geht es wirtschaftlich gut. Damit es so bleibt, werden Fach- und Arbeitskräfte angeworben werden müssen, auch aus Europa und darüber hinaus. Dass das notwendig ist, wird zwar durchaus über die Vernunft vermittelt. Aber es erreicht nicht die politischen Emotionen. Und Gefühlen von Abgehängtsein, nicht beteiligt zu sein, dass Eliten die Gesellschaft und damit das Schicksal des Einzelnen bestimmen, ist mit Argumenten sehr schwer beizukommen.

Womit dann?
Ich denke, dass man vor allem vor Ort partizipative Strukturen stärken, zivilgesellschaftliches Engagement fördern muss.

Was heißt das für ein märkisches Dorf?
Zum Beispiel, aus einem alten Dorfkonsum einen Ort der Begegnung zu machen. Eins meiner Lieblingsprojekte sind die Dorfhelden, die genau das versuchen: aus einem alten Laden ein Bauernhaus als Treff wiederzubeleben für Jung und Alt, um zusammenzukommen, damit Vereine tagen können oder wo auch mal eine Hochzeit gefeiert werden kann.

Wie halten Sie es mit der AfD, vom Verfassungsschutz beobachtet, aber zahlenmäßig stärkste Oppositionsfraktion im Landtag?
Mein Job ist es nicht, die AfD zu bekämpfen. Das ist zunächst Aufgabe der Parteien. Unsere Aufgabe ist es, uns mit rechtsextremem Gedankengut in der Bevölkerung auseinanderzusetzen. Und rechtsextreme und rechtspopulistische Einstellungen sind normalerweise dort weniger verbreitet, wo es eine starke Zivilgesellschaft gibt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false