zum Hauptinhalt
Ein Flüchtling in einer Unterkunft (Symbolbild).

© Tobias Hase/dpa

„Nicht das Boot ist voll, die Arztpraxen und Schulen sind es“: Prenzlauer Bürgermeister sieht derzeit keine Kapazitäten mehr für Geflüchtete

Die Stadt Prenzlau in der Uckermark wehrt sich gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft. Der parteilose Bürgermeister Hendrik Sommer erklärt, warum er eine Integration weiterer Geflüchteter derzeit für ausgeschlossen hält.

Von Sandra Dassler

Herr Sommer, warum will Prenzlau keine Geflüchteten aufnehmen?
So pauschal kann man das nicht sagen. Wir haben ja in den vergangenen Jahren schon viele Menschen aufgenommen, die vor Kriegen und Armut flüchteten und Asyl in Deutschland beantragten.

Wie viele sind es denn derzeit?
Ungefähr 1300 Menschen, darunter 250 bis 300 Ukrainer. Die anderen, etwa tausend Menschen kommen aus den „klassischen“ Herkunftsländern wie Kamerun, Syrien, dem Irak, Afghanistan und der russischen Föderation. Es war nicht einfach, aber wir haben es in den vergangenen Jahren unter großen Anstrengungen einigermaßen hinbekommen, dass sie alle unter menschenwürdigen Bedingungen bei uns leben können.

Prenzlauer Bürgermeister Hendrik Sommer

© Stadt Prenzlau/Martinot

Und das geht jetzt plötzlich nicht mehr?
Nein. Die aktuellen Gegebenheiten sind so, dass genau das nicht mehr geht.

Die Rede ist von noch einmal 300 Menschen. Ist es wirklich so problematisch, diese hier unterzubringen?
Die Unterbringung ist zwar gegenwärtig auch noch unklar und heftig umstritten, aber sie ist trotzdem das kleinere Problem. Viel wichtiger ist, ob die Integration gelingt. Gelingen kann. Bei den damit verbundenen Problemen lässt man uns und auch die anderen Kommunen schlichtweg allein. Und deshalb sind die meisten der Stadtverordneten angesichts der aktuellen Situation in Prenzlau der Ansicht: Das schaffen wir – zumindest derzeit – nicht.

Was meinen Sie konkret mit der aktuellen Situation?
Das geht bei den Schulen los. Wir haben ja Schulpflicht und jedes Kind muss zur Schule gehen – egal, ob es Deutsch sprechen oder auch nur verstehen kann oder nicht. Früher hatten wir sogenannte Willkommensklassen, wo Schüler verschiedener Altersgruppen erst einmal ein wenig Deutsch lernen konnten. Diese gute und sinnvolle Einrichtung hat das Land leider abgeschafft. Dafür gibt es jetzt für Kinder aus Flüchtlingsfamilien ab der zweiten Klasse Deutsch als zusätzliches Angebot. Das reicht aber nicht aus. Und wenn dann der Ausländeranteil in einer zweiten Klasse bei 70 Prozent liegt, sind alle überfordert: Lehrer, Eltern sowie einheimische und besonders geflüchtete Schüler, die ja logischerweise viel mehr Förderung und Unterstützung benötigen.

Kinder-, Zahn- und andere Fachärzte sind so überlastet, dass sie keine neuen Patienten mehr aufnehmen können.

Hendrik Sommer, Bürgermeister von Prenzlau

Und dafür gibt es kein zusätzliches Personal?
Wo soll das herkommen? Wir haben doch Lehrermangel im Land Brandenburg. Und in weit abgelegenen Städten wie Prenzlau ist der noch eklatanter als im Speckgürtel von Berlin. Übrigens fehlen uns auch Räume für den Förderunterricht, na ja und fast noch dramatischer ist die Situation im Gesundheitswesen.

Für die Geflüchteten?
Nein, für alle Einwohner. Kinder-, Zahn- und andere Fachärzte sind so überlastet, dass sie keine neuen Patienten mehr aufnehmen können. Sie finden, wenn Sie beispielsweise aus Berlin zuziehen, auch keinen Hausarzt mehr. Manchmal rufen die Menschen in ihrer Verzweiflung schon bei der Kassenärztlichen Vereinigung an und bekommen tatsächlich einen Termin: allerdings in Rostock oder Stralsund. Da ist es für viele Einheimische schon schwierig hinzukommen, wie sollen das die Flüchtlinge bewerkstelligen?

In vielen Städten gibt es freiwillige Helfer, die Asylsuchende bei Arzt- oder Behördengängen unterstützen.
Die haben wir auch, aber als Kleinstadt leider nicht genug. Studenten beispielsweise gibt es in Prenzlau nicht. Und die Menschen, die sich hier seit Jahren für eine Willkommenskultur engagieren, sind längst an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gekommen.

Was ist mit Sprachkursen?
Das ist das nächste Problem: Manche Geflüchtete müssen wegen fehlender Lehrkräfte lange auf Sprachkurse warten. Und dann können sie ihre Kenntnisse nicht anwenden, weil sie niemanden haben, der mit ihnen Deutsch spricht. Die Chance hätten sie am ehesten noch am Standort der schon bestehenden Unterkunft auf dem Kasernengelände. Weil man dort Angebote der begleitenden Sozialarbeit bündeln kann. Aber der Landkreis will ja unbedingt ein ehemaliges Bürohaus am anderen Ende der Stadt in einem Industriegebiet ausbauen.

Sie möchten, dass die neue Unterkunft lieber am Standort der schon bestehenden eingerichtet wird. Die Landrätin der Uckermark argumentiert aber, dass die Sanierung der älteren Gebäude eine (zu) lange Zeit in Anspruch nehmen würde…
Mich ärgert das alles, weil die Prenzlauer Stadtverordneten schon 2015 einen entsprechenden Beschluss gefasst und den Landkreis gebeten haben, dieses geeignete Kasernengebäude zu erwerben und auszubauen. Damals wäre das sehr viel preiswerter geworden, nicht nur der Ankauf. Und die Familien, aber auch die allein reisenden jungen Männer hätten anständigen und menschenwürdigen Wohnraum gehabt.

Sie sorgen sich um die Geflüchteten?
Natürlich, aber ich sorge mich auch um die anderen Einwohner meiner Stadt. Ich bekomme von immer mehr Menschen immer häufiger zu hören, dass diejenigen, die alles erarbeiten, nicht entlastet oder unterstützt würden. Während man sich um jeden Geflüchteten oder auch um jeden langjährigen Bürgergeldempfänger ganz besonders kümmere. Das ist natürlich sehr pauschal, aber so nehmen es viele wahr. Und es sind keineswegs nur AfD-Anhänger, die meinen, dass alles sein Maß haben muss.

Und das ist Ihrer Ansicht nach überschritten?
Prenzlau ist definitiv an der Grenze der Belastbarkeit angekommen. Nicht das Boot ist voll, sondern die Arztpraxen und Schulen sind es. Da baut sich eine Stimmung auf, die man beim Land und beim Bund ernst nehmen sollte. Und die auch mir Sorge bereitet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false