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Von Elena Senft: Jugend musiziert

„Deutschland sucht den Superstar“ lud zum Casting in Berlin. Nur wenige kamen weiter, aber alle waren begeistert

Es gibt einen Ort, an dem sich Jugendliche respektieren, obwohl sie den unterschiedlichsten subkulturellen Strömungen angehören. An diesem Ort geben sie sich gegenseitig Halt und legen eine Disziplin an den Tag, dass man sich für die Projekttage einiger Berliner Schulen gern etwas abschauen würde. Wenn der Hiphopper aus Neukölln und das Emo-Mädchen aus Steglitz den Schlagernachwuchs aus Chemnitz fest in den Arm nehmen und sagen, dass alles gut werden wird, dann ist DSDS-Casting. Ja, schon wieder.

Am Sonntag und Montag wurde in Berlin im Hotel Intercontinental für die sechste Staffel der Erfolgs-Show „Deutschland sucht den Superstar“ gecastet. So wie bundesweit in vielen größeren Städten. Eigentlich stimmt das so aber gar nicht, in Wirklichkeit wurde gecastet, wer gecastet wird. Denn die Teilnehmer singen hier vor RTL-Musikredakteuren, die aus der Masse der Bewerber diejenigen heraussuchen, die sie für den repräsentativen Durchschnitt halten und die am 22. September in der Puro Sky Lounge im Europa Center vor die eigentliche Casting-Jury treten dürfen. Erst, wer es hierher schafft, sieht Dieter Bohlen, Anja Lukaseder und „Bär“ Läsker.

Unter den Teilnehmern des Vor-Castings jedenfalls sind sowohl begnadete Sänger als auch obligatorische Freaks, die fester Bestandteil der Sendung sind. Sie lebt ja nun mal davon, dass Dieter Bohlen Teilnehmer darauf hinweist, dass die Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ und nicht etwa „Deutschland sucht Naturkatastrophen“ heißt.

Vor dem Seiteneingang des Hotels will die Warteschlange, die zur Anmeldung führt, einfach nicht abreißen. Dort treten die Bewerber erst einmal ihre Verwertungsrechte an RTL ab, bekommen einen Nummernaufkleber auf die Brust und gehen dann in einen überfüllten Warteraum, in dem Teenager auf dem Boden sitzen und ihre Lieder üben. Viel „Hero“ von Mariah Carey. Viel „Señorita“ von Justin Timberlake. Viel andächtiges Zuhören. Viel Fremdschämen.

Bundesweit geht RTL in dieser Staffel von einer Rekordbewerberzahl von über 25 000 aus. Einige Hundert sind es am Sonntag. Da sind die 17-jährigen Mädchen, die aussehen wie Amy Winehouse, mit schwarz geschminkten Augen und Bienenkorbfrisur, die 29-jährigen Männer, die auf den letzten Drücker noch mal gucken wollen, was für sie in einer Teenie-Show drin ist, der Gitarrero, der sagt, in Mexiko würde es so was nicht geben. Auch der gegelte 18-Jährige, der einen Hundeblick aufsetzen kann, der Enrique Iglesias zum Schweigen bringen würde, fehlt nicht, und die Reisegruppe, die sich grölend vor jede Kamera wirft.

Jeder will Teil des Spektakels sein und hier werden alle gebraucht. Allein dafür, dass das Casting in Berlin später mit einer johlenden Menge ausgestrahlt werden kann. Deswegen läuft der riesige Tross zur Berliner Gedächtniskirche und postiert sich in einer Traube vor den Kameras. Dann folgt ein Vorzeigebeispiel braver Jugendlicher, die zu Musterschülern werden, wenn der Lehrer kein Physik-Referendar ist, sondern RTL. Auf Knopfdruck johlen und winken die Jugendlichen, machen La Ola-Wellen von links nach rechts und wieder nach links, bejubeln den DSDS-Moderator Marco Schreyl, der Bäder in der Menge nimmt und unzählige Male zählen sie Countdowns herunter, bevor sie im Chor „Wir wolln den Dieter sehn“ anstimmen.

Zurück im Interconti kommen die Ergebnisse. Nur etwa zehn der Hunderte von Jugendlichen werden heute erwählt. Sie schaffen es vor die richtige Jury. Sie werden den Dieter sehn. Die Enttäuschung der anderen lässt sich verkraften. „Vielleicht beim nächsten Mal“, sagt Nummer 6060. „Dabei sein ist alles“, sagt 26560. Dann tragen sie ihre Gitarren, Songtexte und Bienenkorbfrisuren nach Hause. Nur eine ehrgeizige Mutter verlässt pöbelnd das Hotel. „Der Dieter Bohlen kann doch selber gar nicht singen!“ Die Mutter hat DSDS nicht verstanden. Das verstehen nur Jugendliche.

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