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Potsdamer Blaulichtgottesdienst: Gedenken an verstorbene Einsatzkräfte in der Nikolaikirche Potsdam.

© Andreas Klaer

„Ich gucke Toten nie ins Gesicht“: Wie Brandenburgs Einsatzkräfte schreckliche Erlebnisse verarbeiten

Was Feuerwehrleute oder Polizisten bei Einsätzen erleben, ist oft schwer zu ertragen. Das Brandenburger Einsatznachsorge-Team hilft, damit umzugehen. Wie kriegt man furchtbare Bilder aus dem Kopf?

Von Jeanette Bederke, dpa

Feuerwehrleute, Polizisten und Rettungssanitäter sind den Anblick von Leid gewohnt. Brände, schwere Unfälle und mittlerweile sogar Terroranschläge gehören zu ihrem Alltag. Verarbeitet werden diese schrecklichen Erlebnisse von den Einsatzkräften ganz unterschiedlich. „Ich lasse bestimmte Dinge nicht an mich heran, gucke beispielsweise Toten nie ins Gesicht – denn die vergisst Du sonst nicht mehr“, erzählt Ralf Michalski, Stadtwehrführer der Feuerwehr Eisenhüttenstadt. Der Chef von 32 Feuerwehrleuten bezeichnet sich selbst als „harten Hund“. Er weiß aber auch, dass nicht alle Kollegen solche Erlebnisse einfach wegstecken.

„Gerade wenn Kinder betroffen sind, belastet das auch im Nachhinein. Um das zu verarbeiten, reicht oftmals die Auswertung im Kreis der Kameraden nicht. Dann brauchen sie professionelle Hilfe“, erzählt der Feuerwehrchef.

Gerade wenn Kinder betroffen sind, reicht oftmals die Auswertung im Kreis der Kameraden nicht.

Ralf Michalski, Chef der Feuerwehr Eisenhüttenstadt

Die Psychologin Susanne Deimling ist in Brandenburg eine Pionierin im Hinblick auf Einsatznachbetreuung. Die 59-Jährige wurde für ihr Engagement vor kurzem mit dem Landesverdienstorden geehrt. „Direkt im Einsatz funktionieren die meisten, denn sie sind gut ausgebildet, arbeiten im Team und wissen zumindest grob, was sie konkret erwartet. Erst danach merken sie, dass sie die oftmals furchtbaren Bilder nicht aus dem Kopf kriegen“, erzählt sie.

Von der Psychologin zur Feuerwehrfrau für besondere Aufgaben

Als die Psychologin, gebürtige Rheinländerin, nach dem Studium 1997 mit der Familie von Berlin nach Neuzelle (Oder-Spree) zog, ahnte sie noch nichts von ihrer späteren Berufung. „Mein Mann wurde Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Als der Chef dort von meinem Beruf erfuhr, fragte er, ob ich die Kameraden dort nicht betreuen könnte. Damals war gerade ein Kesselwagen in Elsterwerda explodiert, zwei Feuerleute starben“, erinnert sie sich.

Susanne Deimling, Psychologin, spricht an der Feuerwache Eisenhüttenstadt mit einem Feuerwehrmann.
Susanne Deimling, Psychologin, spricht an der Feuerwache Eisenhüttenstadt mit einem Feuerwehrmann.

© dpa/Patrick Pleul

Immer wieder wurden die Kameraden auch zu schweren Verkehrsunfällen gerufen. „Sie kämpften um die Opfer, die manchmal trotzdem vor ihren Augen starben.“ Zwei Drittel der Einsatzkräfte erholten sich in der Regel schnell, der Rest sei längerfristig traumatisiert, so Deimling.

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Nach einer ersten Ruhephase kämen häufig Flashbacks, die betroffenen Einsatzkräfte seien unruhig, gereizt, schlaflos und würden einen Riesenbogen um den Einsatzort machen, beschreibt die Psychologin die Auswirkungen. „Das sind akute Belastungsreaktionen, zunächst völlig normal. Gruppengespräche zur Auswertung des Erlebten und Methoden effektiver Stressbewältigung könnten da helfen, ebenso wie Ablenkungen, um den Kopf wieder freizubekommen.“ Zehn bis zwölf Prozent der betroffenen Einsatzkräfte, so schätzt sie, entwickelten hingegen posttraumatische Belastungsstörungen, die Einzeltherapien notwendig machten.

Professionelle Einsatznachbetreuung für Brandenburg

Nach ihren ersten Erfahrungen beim Neuzeller Löschtrupp initiierte Deimling eine gemeinsame landesweite Einsatznachbetreuung – nach dem bestehenden Berliner Vorbild. Ein Mitstreiter kümmerte sich um Betroffene und deren Angehörige, Deimling nach etlichen Fortbildungen um Feuerwehrleute, Polizisten und Mitarbeiter von Rettungsdiensten. „Finanziert wurden wir über Spenden und Lottomittel, heute gibt es dafür Haushaltsmittel des Landes“, sagte die Wahl-Brandenburgerin.

Früher hätten sich Einsatzkräfte als „harte Jungs“ gegeben, heute gehöre es zum guten Ton, sogenannte Nachsorgegespräche zu führen. 15 Jahre lang leitete die Psychologin mit eigener Praxis in Eisenhüttenstadt das „ENT“ genannte 20-köpfige Einsatznachsorgeteam Brandenburgs und fungierte als Fachberaterin für den Landesfeuerwehrverband.

Den Bedarf kann auch Matthias Mehlhorn bestätigen, der das inzwischen auf 35 Mitarbeiter angewachsene und beim Innenministerium angesiedelte ENT-Team Brandenburg aus Polizisten, Feuerwehrleuten, Angehörigen des Technischen Hilfswerkes, Psychologen und Sozialarbeitern leitet. „Belastungsreaktionen kosten viel Energie. Auf Dauer kann das ermüdend und anstrengend für den Körper sein. Der Betroffene ist weniger leistungsfähig, kämpft mit Wut, Verzweiflung, Traurigkeit und ist hypersensibel“, erklärt er. Dass es das ENT-Team zur Unterstützung und Entlastung gebe, es ausgebaut und finanziell abgesichert wurde, sei Deimlings Verdienst, die dafür echte Pionierarbeit geleistet habe, lobt Mehlhorn.

Noch immer für Feuerwehrleute da

Heute leitete Deimling das Notfallteam der Unfallkasse Brandenburgs und ist noch immer Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Neuzelle, wenn auch altersbedingt „nicht mehr an vorderster Front“, wie sie sagt. Doch ein Anruf von Feuerwehrleuten aus Ostbrandenburg genügt und sie schließt die Praxis und eilt den Einsatzkräften zur psychologischen Hilfe. „Sie hat sich in der Region einen Namen gemacht. Hut ab vor dem, was sie leistet. Den Landesverdienstorden hatte sie schon längst verdient“, meint der Eisenhüttenstädter Feuerwehrchef Michalski.

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