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Jüdisches Leben wird in Brandenburg zunehmend bedroht. Ein Bericht verdeutlicht die Annahme.

© Foto: Christian Charisius/dpa

Deutlicher Anstieg: Mehr als 200 antisemitische Vorfälle in Brandenburg registriert

Die meisten Fälle hatten einen rechtsextremen Hintergrund. Das geht aus dem „Monitor-Bericht 2022“ hervor.

Ob Holocaust-Relativierungen, Hakenkreuze oder Judenhass-Pöbeleien im Internet – keine Entwarnung in der Mark. In Brandenburg hat es im vorigen Jahr 204 antisemitische Vorfälle gegeben, Tendenz steigend. Das geht aus dem „Monitor-Bericht 2022“ hervor, den die Brandenburger Fachstelle Antisemitismus am Montag in der Staatskanzlei in Potsdam präsentierte. Die meisten der Fälle (98 Fälle/48 Prozent) hatten demnach einen rechtsextremen oder rechtspopulistischen, nur zwei einen islamischen oder islamistischen Hintergrund. Regionale Spitzenreiter sind die Landeshauptstadt Potsdam und Märkisch-Oderland mit je 22 dokumentierten Fällen.

„Es ist ein Warnsignal für uns alle. Es ist ein Alltagsproblem. Es ist Teil des Alltagsrassismus, den wir in Brandenburg haben“, sagte Staatskanzleichefin Kathrin Schneider (SPD). Es dürfe nicht weggeschaut werden, jüdisches Leben gehöre zu Brandenburg.

Die Fachstelle, die vom Land mit jährlich 295.000 Euro gefördert wird, berät auch Polizei, Justiz und zivilgesellschaftliche Institutionen im Kampf gegen Antisemitismus. Neuer Träger ist seit Anfang 2022 die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KigA). „Brandenburg ist an einem Scheideweg“, sagte Vorstandschef Dervis Hizarci auch mit Blick auf die Landtagswahl im kommenden Jahr und das Erstarken der AfD.

Es ist ein Warnsignal für uns alle. Es ist ein Alltagsproblem. Es ist Teil des Alltagsrassismus, den wir in Brandenburg haben.

Staatskanzleichefin Kathrin Schneider (SPD)

„Wenn wir es gut machen, dann kann hier tatsächlich jüdisches Leben florieren. Es gibt viele junge Leute, die sich bewusst als Jüdinnen und Juden für Brandenburg entscheiden“, so Hizarci. Doch zugleich sei festzustellen, dass Rassisten, Antisemiten und Rechtsextremisten immer mehr die Scham verlieren würden, ihren Hass offen zu artikulieren. „Das passiert immer seltener anonym, immer selten latent, es wird ausgedrückt. Man spürt: Das will raus“, so Hizarci „Das ist die große Gefahr.“ Er hoffe sehr, dass es bei der Landtagswahl 2024 nicht ins Negative kippe.

Im Kreis Ostprignitz-Ruppin wurden die wenigsten Fälle registriert

Die wenigsten Antisemitismus-Fälle hat es auf der Brandenburg-Karte nach dem Bericht in Oberspreewald-Lausitz (3), der Prignitz (4), Elbe-Elster und Potsdam-Mittelmark (4) gegeben. Allerdings seien geringe Zahlen kein Grund zur Entwarnung oder zum Zurücklehnen, da es dort womöglich keine Meldestrukturen gebe. „Das muss uns eher aufhorchen lassen“, sagte Hizarci.

Die Monitoring-Berichte zum Antisemitismus werden jährlich erstellt. In die Dokumentation gehen vor allem Fälle aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Landeskriminalamtes ein, nach der es 2022 insgesamt 195 antisemitische Straftaten in der Mark gegeben hatte. Allerdings übernehme man die Polizei-Fälle nicht automatisch, sondern nur, wenn es dazu konkrete Informationen gebe, sagte Felix Klepzig von der Fachstelle.

Hinzu kämen Meldungen aus der Zivilgesellschaft, etwa den Mobilen Beratungsteams oder vom Verein Opferperspektive oder auch Erkenntnisse aus der Presseschau. Neu ist ein Online-Portal (www.kiga-brandenburg.org), seit Montag freigeschaltet, wo antisemitische Fälle gemeldet werden können.

Internet war der häufigste Tatort

Im Vergleich zur vorherigen Erhebung aus dem Jahr 2020, bei der noch vom Vorgänger-Träger RIAS 141 antisemitische Fälle registriert worden waren, waren es 2022 63 Fälle mehr, ein Anstieg um 44 Prozent. Doch beide Statistiken seien nur eingeschränkt vergleichbar, betonte Klepzig von der Fachstelle. So sei die Erfassung von Hakenkreuz-Schmierereien und von Online-Vorfällen verändert worden.

Das Internet mit Social-Media-Kanälen oder Messengerdiensten war laut Bericht mit 66 Fällen (32 Prozent) der häufigste Tatort. Dieser Trend mache Sorgen, sagte Klepzig. Ein Potsdamer Beispiel aus der Dokumentation: So hatte es am 12. August 2022 im Youtube-Livestream beim Fußballspiel zwischen Babelsberg 03 und Hertha BSC II im Chat antisemitische Kommentare wie „Arbeit macht frei, Babelsberg 03“ gegeben.

Fälle extremer antisemitischer Gewalt mit Schwerverletzten oder Todesopfern hatte es 2022 laut Klepzig glücklicherweise keine gegeben, allerdings fünf körperliche Angriffe und elf gezielte Sachbeschädigungen, etwa an Gedenkorten oder Stolpersteinen. Die Ergebnisse korrespondieren mit der jüngsten Brandenburger Jugendstudie, nach der 12,8 der Jugendlichen im Prozent der Jugendlichen dieser Aussage zustimmen: „Die Juden sind selbst schuld, wenn sie gehasst und verfolgt werden.“

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