zum Hauptinhalt
Hatice Cengiz

© Foto: Julia Steinigeweg für den Tagesspiegel

„Mord bleibt Mord“: Die Witwe des Regimekritikers Khashoggi und ihr Kampf für Gerechtigkeit

Der Saudi Jamal Khashoggi wurde 2018 getötet. Im Interview erklärt seine Verlobte Hatice Cengiz, warum die Täter zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

Frau Cengiz, seit Jamal Khashoggis gewaltsamen Tod vor vier Jahren bemühen Sie sich, dass der Mord nicht in Vergessenheit gerät und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Was gibt Ihnen die notwendige Kraft?
Ich glaube an Menschlichkeit und Werte. Dafür kämpfe ich. Das motiviert mich. Für diese Prinzipien einzustehen, ist oft schwierig. Es gibt immer wieder viel Widerstand. Doch das ändert nichts an meiner Haltung und an meiner Überzeugung.

Die Zeit, in der Saudi-Arabien und Thronfolger Mohammed bin Salman als Paria galten, scheint vorbei zu sein. Muss man sich damit abfinden?
Nein, auf gar keinen Fall. Das, was damals im saudischen Konsulat in Istanbul geschehen ist, ist nach wie vor unvorstellbar und völlig inakzeptabel. Ein unschuldiger Mensch ist ermordet worden! Egal, ob ein König oder Prinz dafür die Verantwortung trägt: Er bleibt ein Mörder. Aber Sie haben leider recht, die Zeiten sind jetzt andere.

Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Covid-Pandemie haben „realpolitisch“ vieles verändert. Meistens zum Schlechteren. Nur bedeutet das eben nicht, dass man schlimme Dinge vergeben, verdrängt oder vergessen kann. Denn das würde heißen, es als Normalität hinzunehmen. Es gibt ein Recht auf Leben, und niemand darf jemand anderem dieses Recht nehmen.

Vor Kurzem haben US-Präsident Biden, sein französischer Amtskollege Macron und Kanzler Scholz das Gespräch mit dem Kronprinzen gesucht. Was dachten Sie, als die Bilder der händeschüttelnden Männer im Fernsehen zu sehen waren?
Das hat mich sehr traurig gemacht. Da wird trotz allem, was passiert ist, ein mörderischer Staat vor den Augen der Weltöffentlichkeit rehabilitiert. Das ist auch ein Grund, warum ich gerade in Deutschland bin.

Ich will die Politiker, die ich hier treffe, daran erinnern, was Jamal widerfahren ist. Ihnen klarmachen, welch großes Unrecht vor vier Jahren geschehen ist. Und ich will ihnen sagen, dass dies alle angeht und nicht vergessen werden darf.

Wiegt Realpolitik in Zeiten des Ukrainekriegs und einer großen Energiekrise schwerer als der Tod eines Einzelnen?
Ein Verbrechen bleibt ein Verbrechen! Mord bleibt Mord! Ein Krieg oder eine Energiekrise ändern daran überhaupt nichts. Jamal kam nicht in einem Kriegsgebiet ums Leben. Er betrat ein saudisches Konsulat, um wichtige Papiere für unsere Hochzeit abzuholen.

Es geht nicht nur um eine Einzelperson, es geht um uns alle. Wenn wir heute schweigen, werden noch mehr Menschen das gleiche Schicksal erleiden wie Jamal. Allerdings gibt einen Bezug zum Ukrainekrieg.

Welchen?
Der Westen kann Russland zeigen, wie wichtig ihm Menschlichkeit und Menschenrechte sind. Warum es darauf ankommt, diese Werte zu verteidigen. Jamals Schicksal ist für mich eng mit dem Kampf um Freiheit und Demokratie verbunden. Daran möchte ich alle erinnern.

Jamal sagte mir einige Zeit vor seinem gewaltsamen Tod, dass er sein Saudi-Arabien nicht mehr wieder erkennt.

Hatice Cengiz

Wie hat es Mohammed bin Salman geschafft, dass er nun wieder hofiert wird?
Wir leben in Zeiten des Kapitalismus. Alles dreht sich ums Geld. Bei mir, bei Ihnen, bei allen anderen Menschen. Doch Menschlichkeit und rechtsstaatliche Prinzipien dürfen nicht dem Geld geopfert werden. Der Prinz nutzt seine finanziellen Mittel und die Bedeutung seines Landes als Energielieferant und wichtige Regionalmacht, um Menschen zu kaufen. Das gilt auch für Politiker.

Realpolitik: Kanzler Olaf Scholz wird von Kronprinz Mohammed bin Salman mit Handschlag begrüßt.
Realpolitik: Kanzler Olaf Scholz wird von Kronprinz Mohammed bin Salman mit Handschlag begrüßt.

© Foto: AFP/Saudi Royal Palace/Bandar Al Jaloud

Ihr Verlobter Jamal Khashoggi kannte das saudische Königshaus und den Kronprinzen so gut wie kaum ein anderer. Wie schätze er das Regime ein?
Jamal sagte mir einige Zeit vor seinem gewaltsamen Tod, dass er sein Saudi-Arabien nicht mehr wieder erkennt. Das Land habe sich unter Kronprinz Mohammed bin Salman grundlegend und sehr rasch verändert – eindeutig zum Schlechteren. Darin sah er eine große Gefahr.

Jeder, der es wagte, das Regime zu hinterfragen, sich für Meinungsfreiheit einsetzte oder Reformen forderte, landete im Gefängnis. Auch Jamal wurde verboten, weiter über Missstände zu schreiben, obwohl er zu den prominenten Stimmen im Land gehörte. Das bereitete ihm große Sorgen. Deshalb verließ er das Land.

Thronfolger bin Salman gibt sich gerne als Reformer. Zeichnet er ein Trugbild?
Das tut er! Freiheit, etwa das Recht für Frauen, ein Auto fahren zu dürfen, gibt es nur dann, wenn der Machthaber sie als Gnade gewährt. Wenn Freiheit eingefordert wird, sieht er darin unbotmäßiges Verhalten, das auf eine Majestätsbeleidigung hinausläuft. Dagegen geht der Herrscher mit aller Härte vor.

Am 2. Oktober 2018 betrat Jamal Khashoggi das saudische Konsulat in Istanbul. Dort wurde er ermordet.
Am 2. Oktober 2018 betrat Jamal Khashoggi das saudische Konsulat in Istanbul. Dort wurde er ermordet.

© Foto: Uncredited//CCTV via Hurriyet/AP/dpa

Als Jamal am 2. Oktober 2018 das saudische Konsulat in Istanbul betrat, musste ihm da nicht klar sein, in welcher Gefahr er schwebte?
Nein. Jamal war schon vorher dort. Im Konsulat haben sie ihm versprochen, dass er nach einigen Tagen die für unsere Heirat benötigten Unterlagen erhalten werde. Weder er noch irgendjemand anderes konnte sich vorstellen, dass dort ein bestialischer Mord geschehen wird. Jamal hatte keine Angst, sah sich nicht in Gefahr.

Sie haben am 2. Oktober 2018 auf Nachricht von ihm gewartet. Als keine kam, war Ihnen da gleich klar, dass etwas passiert sein musste?
Anfangs nicht. Dass dort ein Mord dort geschehen sein könnte, lag völlig außerhalb meiner Vorstellungswelt. Aber nach zwei, drei Stunden ohne Nachricht von ihm, machte ich mir große Sorgen.

Und dann?
Habe ich die Polizei informiert und einfach jeden kontaktiert, von dem ich glaubte, er würde mir helfen. Doch keine Sekunde habe ich daran gedacht, dass Killer ihn getötet haben könnten.

Werden die Täter und ihre Hintermänner jemals zur Rechenschaft gezogen?
Bisher ist das nicht geschehen. Das gilt auch für den Thronfolger Mohammed bin Salman. In Saudi-Arabien gab es zwar ein Gerichtsverfahren gegen jene, die Jamal angeblich getötet haben sollen. Aber kein Mensch weiß, ob und wer wirklich ins Gefängnis musste. Die Öffentlichkeit war ausgeschlossen. Wir kennen nichit einmal die Namen der Verurteilten.

Hat der Kronprinz als mutmaßlicher Auftraggeber des Mordes doch noch irgendwann Konsequenzen zu fürchten?
Wer Gerechtigkeit fordert und auf sie hofft, braucht oft einen langen Atem. Zuweilen ist der Weg Richtung Gerechtigkeit wichtiger als das Ziel selbst. Ich glaube an meine Aufgabe. Und die besteht darin, die Erinnerung an Jamal wachzuhalten und dafür zu sorgen, dass seine Mörder bestraft werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false