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Winfried Kretschmann.

© Marc Darchinger

Winfried Kretschmann, die Grünen und Jamaika: Sie scannen halt die ganze Welt

Beim letzten Abend des "Konvents für Deutschland" sinniert der baden-württembergische Ministerpräsident über seine Partei und das Scheitern der Sondierungen.

Winfried Kretschmann kann sein, was man im Schwäbischen als „knitz“ bezeichnet. Das Attribut wird (mit unterschwelliger Anerkennung) Leuten angeheftet, die pfiffig, gerissen, gewitzt, durchtrieben, schlau sind. Als einen Knitzen würde man im Südwesten zum Beispiel auch Horst Seehofer bezeichnen, wenn er kein Bayer wäre. Christian Lindner dagegen eher nicht. Wer ambitionslos in eine Koalitionssondierung geht in der Annahme, sie werde am Gegensatz von CSU und Grünen scheitern, um dann als Verursacher des Scheiterns herauszukommen, der hat ganz unknitz etwas falsch gemacht. Kretschmann hingegen kann ganz knitz hinterher den Beitrag seiner Grünen am Scheitern andeuten, ohne sich Vorwürfen aussetzen zu müssen.

Die Grünen seien eine Weltanschauungspartei, doziert Kretschmann am Donnerstagabend bei einer Veranstaltung des „Konvents für Deutschland“, der Altgedienten-Runde, die der verstorbene Bundespräsident Roman Herzog viele Jahre geleitet hat. Grüne „scannen die ganze Welt“, überall wollten sie etwas reparieren. Und daher seien sie auch eine „Spiegelstrichpartei“, die alles detailliert abarbeiten wolle, erklärt Kretschmann. CDU, CSU und FDP hätten ja gedacht, das sei Verhandlungstaktik. Aber die Grünen meinten das ernst. Die Parteien unterschieden sich kulturell eben doch erheblich, fügt der baden-württembergische Ministerpräsident noch an.

Was aber gehört zur Kultur der FDP? Umfallen? Davonlaufen? „So kann man immer aussteigen“, sagt Kretschmann über Lindner, „wenn man sein Parteiprogramm nicht durchbekommen hat.“ Man müsse aber auch mal gewichten, meint der Realissimo der Grünen mit Blick auf Zugeständnisse beim Soli-Abbau: „Wir haben sie ihnen zum Schluss in den Rachen geschmissen.“

"Erstaunlich unvorbereitet"

Kretschmann ist aber auch selbstkritisch: Die Grünen hätten vielleicht mehr „Seitenverhandlungen“ mit der FDP führen sollen. Und insgesamt: „Wir hätten in der Mitte des Prozesses einfach mal prüfen müssen, was eigentlich der Profit dieses Bündnisses ist.“ Doch sei es nur darum gegangen, wie es zusammenkommt. Ein weiteres Fazit: Man sei „erstaunlich unvorbereitet in die Situation geschlittert, obwohl sie sich in den Ländern schon längst angedeutet hat“. Über weitere Möglichkeiten - etwa eine schwarz-grüne Minderheitsregierung - spekuliert er nicht.

Kretschmann war vom „Konvent“ aus besonderem Grund geladen: Es war die letzte Veranstaltung der Runde, die sich als Ältestenrat der Vordenker gesehen hat. Nach dem Tod Herzogs im Januar entschlossen sich die verbliebenen Mitglieder (darunter Ex-FDP-Chef Wolfgang Gerhardt, die SPD-Politikerin Renate Schmidt, die frühere Grüne Christine Scheel, Ex-Minister Rupert Scholz und der einstige baden-württembergische Regierungschef Erwin Teufel), ihr Engagement zu beenden. Ihnen ging es vor allem um ein Feld, das im Berliner Tagesgeschäft oft unter die Räder kommt: Verfassungspolitik. Oder, wie das Konventsmitglied Klaus von Dohnanyi in seiner Abschiedsrede sagte: den „Maschinenpark der Republik“.

Herzog betrieb das mit Leidenschaft. Kretschmann macht sich auch gern Gedanken darüber, vor allem, wenn es um das Austarieren des Föderalen geht. Ohne jede Spur von Spiegelstrichfechterei. Der Bund ist ihm zu mächtig, die Länder sind ihm zu wenig autonom. Das war auch stets der Ansatz des „Konvents für Deutschland“, dessen Eigenbilanz Dohnanyi allerdings etwas resigniert auf die Formel des „ehrenhaften Scheiterns“ brachte. Für den früheren Hamburger Bürgermeister hat Föderalismus immer mit Freiheit zu tun. So bekam Lindner auch hier sein Fett weg. Was die FDP in der Bildungspolitik fordere, das Ende des Kooperationsverbots, sei „staatliche Gleichschaltung im Schulsektor“. Er sei sehr enttäuscht, „dass eine liberale Partei diesen Weg geht“.

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