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Steffi Lemke hält am Atomausstieg fest.

© dpa/Wolfgang Kumm

„Vor uns liegen Jahrzehnte des Rückbaus“: Die Ära der Atomkraft ist noch nicht vorbei

Die Grünen hadern mit der Klimapolitik der Ampel, doch die emissionsfreien Atomkraftwerke wollen sie trotzdem vom Netz nehmen. Die Umweltministerin rechtfertigt sich.

Einen Sekt will Steffi Lemke nicht öffnen, wenn am 15. April die verbliebenen drei Atomkraftwerke in Deutschland endgültig abgeschaltet werden. Beim G7-Gipfel der Umweltminister in Japan werde sie sein, erklärt die Grünen-Ministerin am Donnerstag auf einer Pressekonferenz. „Wenn ich arbeite, trinke ich in der Regel keinen Sekt.“

Doch so trocken, wie Lemke dem Datum entgegenblickt, tun das nicht alle in ihrer Partei. Für die Grünen ist es die Verwirklichung eines ihrer Gründungsziele. Lange war über den Atomausstieg gerungen und gestritten worden, nun steht er also kurz bevor - und sorgt weiter für Ärger.

Lemke begründet die Entscheidung am Donnerstag vor allem sicherheitspolitisch. „Auch wenn es manche nicht wahrhaben wollen – Atomkraft ist und bleibt eine Hochrisikotechnologie“, sagt die Umweltministerin und verweist auf die Reaktorunfälle in Tschernobyl, Fukushima oder die Kämpfe rund um das ukrainische AKW Saporischschja. „Es ist nicht umsonst so, dass keine Versicherung der Welt das potenziell katastrophale Schadensausmaß von Reaktorunfällen versichert.“

Wir haben drei Generationen Atomkraft genutzt und dabei Atommüll produziert, der noch für 30.000 Generationen gefährlich bleibt.

Umweltministerin Steffi Lemke

Doch mit dem 15. April sei die Ära der Atomkraft noch nicht vorbei, betont Lemke. „Vor uns liegen Jahrzehnte des Rückbaus.“ Erst drei AKW seien vollständig rückgebaut worden, bei mehr als 30 anderen werde dies teils noch mehr als 15 Jahre dauern. Noch viel länger werde Deutschland das Problem mit dem Atommüll beschäftigen. „Wir haben drei Generationen Atomkraft genutzt und dabei Atommüll produziert, der noch für 30.000 Generationen gefährlich bleibt“, sagt Lemke.

Auch Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, betont, dass die Atomkraft Deutschland auf der Suche nach einem unterirdischen Endlager noch lange beschäftigen werde. „Langzeitzwischenlager sind kein Ersatz für Endlagerung. Beton, Stacheldraht, Wachmannschaften, Stahl können eben nicht stabile geologische Strukturen ersetzen“, sagt König. Dafür werde man wohl noch mindestens 60 Jahre benötigen, prognostiziert er.

Die Ampel wird zum 15. April endgültig zur Kohle-Koalition.

Jens Spahn, Vize-Fraktionschef der Union.

Und doch bleibt die Kritik an der Entscheidung der Ampel laut. Opposition und Teile der Wissenschaft argumentiert vor allem klimapolitisch. „Die Ampel wird zum 15. April endgültig zur Kohle-Koalition“, sagt Jens Spahn, Vize-Fraktionschef der Unions-Fraktion, dem Tagesspiegel. Er plädiert dafür, die klimaneutralen AKW noch so lange laufen zu lassen, bis die erneuerbaren Energien ausgebaut sind. „Die Ampel handelt gegen den Willen der Bürger und die Interessen unseres Landes“, sagt Spahn.

1,3
Millionen Tonnen Co2 wurden eingespart durch den Streckbetrieb der drei Atomkraftwerke.

Wie sinnvoll der Atomausstieg vor dem Kohleausstieg ist, bleibt auch in der Wissenschaft strittig. 2022 wurde wegen der Gaskrise die klimaschädliche Kohleverstromung hochgefahren. Aus Steinkohlekraftwerken kam 20 Prozent mehr Strom, die Braunkohleverstromung legte um sieben Prozent zu. „Die Rückkehr der Kohle steht im klaren Widerspruch zu den Klimazielen“, bilanzierte zuletzt Simon Müller, Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende.

Auch in der Ampel weiß man über die Vorteile der Atomkraft. Allein der Streckbetrieb der drei verbliebenen AKW hat laut Bundeswirtschaftsministerium bis Ende März 1,3 Millionen Tonnen Co2 eingespart.

Die Umweltministerin sieht beim Klimaschutz dennoch an anderer Stelle Handlungsbedarf. „Der Sektor, der die größten Defizite vorweist, ist der Verkehrssektor.“ Es sei noch nicht einmal gelungen, ein Tempolimit einzuführen, kritisierte sie in Richtung FDP. Sektstimmung scheint in dieser Koalition in diesen Tagen generell nicht aufkommen zu wollen.

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