zum Hauptinhalt
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).

© imago/Political-Moments

Verfassungsrechtlich fragwürdig oder völlig normal?: Lindners Schuldenpolitik wirft Fragen auf

Geht der Bundesfinanzminister zu trickreich vor bei der Kreditaufnahme für die Energiepreisbremsen? Staatsrechtler sind sehr unterschiedlicher Meinung.

Ist die Finanzierung des „Doppelwumms“ verfassungsrechtlich sauber? Werden wichtige Haushaltsgrundsätze eingehalten? Diese Fragen stellen sich, seit die Finanzagentur des Bundes am 28. Dezember die wohl größte Anleihe in der Geschichte der Bundesrepublik geschaffen hat. Diese „Zusatzemission des Bundes“ mit der Isin-Nummer „DE000BU4W000“ hat ein Volumen von 169,78 Milliarden Euro. Sie wird aber nie am Kreditmarkt platziert werden.

Denn sie ist nur als eine Art Platzhalterin gedacht. Und zwar in einem Topf namens Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aus dem die Ampel-Koalition ihre Energiepreisbremsen und andere Stützungsmaßnahmen finanzieren will. Die Mega-Anleihe ist nach Angaben der Finanzagentur, welche das Schuldenmanagement des Bundes betreibt, „als liquides Mittel direkt in den Bestand des WSF“ übergegangen. Und damit beginnen die Fragen.

Im Stabilisierungsfondsgesetz wurde das Bundesfinanzministerium ermächtigt, Kredite für den WSF in Höhe von bis zu 200 Milliarden Euro aufzunehmen. Und zwar ausdrücklich „für das Jahr 2022“. Laut Gesetz muss diese Kreditaufnahme insgesamt auch der Gesamtverschuldung für 2022 zugerechnet werden.

Im vorigen Jahr hatte die Ampel-Koalition wegen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs nochmals die Notlagenklausel der Schuldenbremse genutzt, was eine deutlich höhere Neuverschuldung ermöglicht hat. In diesem Jahr soll die Schuldenregelung im Grundgesetz wieder voll angewendet werden.

Gleichzeitig wurde im Gesetz beschlossen, dass der WSF eine Rücklage bilden darf. In diese fließen alle Mittel, die im Jahr 2022 nicht ausgegeben werden konnten. Das sind nun die mit der Anleihe als liquide Mittel in den WSF gelegten 169 Milliarden Euro. Da diese Anleihe aber nicht am Markt platziert werden soll, mit ihr also gar kein Geld eingenommen wird, muss das Finanzministerium sich die Mittel über die Ausgabe anderer Anleihen im Lauf des Jahres 2023 beschaffen – immer dann, wenn Finanzierungsbedarf besteht.

Die Frage ist nun, ob dieses bisher einmalige Verfahren dem Umstand geschuldet ist, dass die Ampel-Koalition in diesem Jahr die Vorgaben der Schuldenbremse wieder einhalten will. Das war eine Forderung der FDP und ihres Parteichefs Christian Lindner, die auch im Koalitionsvertrag verankert wurde. Lindner wollte sich damit auch als Garant für finanzpolitische Stabilität zeigen. Eine Kreditaufnahme in Höhe von 169 Milliarden Euro ist damit im laufenden Jahr nicht mehr möglich. Regulär darf die Bundesregierung 2023 laut Etat nur 45,6 Milliarden Euro an neuen Krediten aufnehmen.

Das Riesenproblem der Mega-Anleihe

Andererseits stand das Finanzministerium im Herbst vor dem Problem, dass eine zusätzliche echte Kreditaufnahme in Höhe von 200 Milliarden Euro binnen weniger Wochen eine immense Herausforderung gewesen wäre. Nach der Emissionsplanung der Finanzagentur waren für das vierte Quartal regulär 106 Milliarden Euro vorgesehen. Der Bund lief damit Gefahr, zum einen für Marktturbulenzen zu sorgen, zum anderen aber seine eigenen Zinskonditionen am Markt zu verschlechtern.

Und das zu einer Zeit, da angesichts der Inflation und der Leitzinspolitik der Europäischen Zentralbank ohnehin schon höhere Zinsen zu bieten waren. Das Ergebnis war die Entscheidung des Finanzministeriums, die Riesenanleihe im Eigenbestand der Finanzagentur zu schaffen, ohne damit an den Markt, also quasi nach außen zu gehen. Im Wirtschaftsplan für den WSF, der als Anlage dem Etatgesetz für 2023 angefügt ist, sind allerdings ausdrücklich „Einnahmen aus Krediten vom Kreditmarkt“ in Höhe von 200 Milliarden Euro für 2022 vorgesehen.

Der abenteuerliche Versuch, eine Kreditermächtigung über die Zeit zu retten.

Hanno Kube, Staatsrechtsprofessor

Für den Heidelberger Verfassungsrechtler Hanno Kube ist das Vorgehen der Koalition bei der WSF-Finanzierung „verfassungsrechtlich fragwürdig“. Es handele sich bei der „geparkten Anleihe“ um nichts anderes als das „Vorhalten einer Kreditermächtigung“, sagte Kube dem Tagesspiegel. Dies sei der „abenteuerliche Versuch“, eine Kreditermächtigung über die Zeit zu retten, indem man eine Kreditaufnahme quasi simuliere.

Echte Kreditaufnahme?

Das Bundesfinanzministerium habe damit möglicherweise versucht, einen anderen Sachverhalt zu schaffen als beim Nachtragsetat für 2021, als nicht genutzte Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds (EKF) übertragen worden seien. Tatsächlich aber findet laut Kube keine echte Kreditaufnahme statt, weil es zu keiner „Außenbindung“ des Staates komme. Es werde kein Geld eingenommen.

Die Kreditaufnahme finde erst 2023 und 2024 über die Ausgabe anderer Anleihen statt, betont Kube. Insofern handele es sich bei der Mega-Anleihe um das Parken einer Kreditermächtigung, denn die damit bereitgestellten Mittel würden vorerst gar nicht gebraucht.

Staatsanleihen - ein gar nicht so einfaches Geschäft.  

© imago stock/Schöning

Kube ist Bevollmächtigter der Unions-Fraktion im Bundestag bei der Klage, die sie im Frühjahr beim Bundesverfassungsgericht gegen den Nachtragsetat 2021 und das Verschieben der Kreditermächtigungen in den EKF eingereicht hatte. Der Zweite Senat in Karlsruhe hatte zwar vor drei Wochen dem Eilantrag der Unions-Fraktion nicht stattgegeben, aber in einer ausführlichen Stellungnahme angedeutet, wo die Richter mögliche kritische Punkte für das Hauptverfahren sehen.

Kube betont, dass das Gericht vor allem auf das auch im Grundgesetz verankerte Jährlichkeitsprinzip als Haushaltsgrundsatz hingewiesen habe. Dieses Prinzip ist seiner Ansicht nach nicht nur beim Nachtragsetat verletzt worden, sondern auch jetzt bei der WSF-Finanzierung.

Etatprinzip der Jährlichkeit

Das Prinzip besagt, dass Mittel grundsätzlich innerhalb eines Haushaltsjahres ausgegeben werden müssen und nicht ohne Weiteres übertragbar sind. In einem vom Bundesfinanzministerium veröffentlichten Leitfaden zum System der öffentlichen Haushalte heißt es dazu: „Aus dem Jährlichkeitsprinzip folgt der für den Vollzug des Haushalts bedeutsame Grundsatz der zeitlichen Bindung. Ihm zufolge gelten die Ermächtigungen des Haushalts, Ausgaben zu leisten und ausgabewirksame Verpflichtungen einzugehen, grundsätzlich nur für dasjenige Jahr, für das der Haushaltsplan festgestellt worden ist.“

Laut Kube gilt das Jährlichkeitsprinzip auch für die Aufnahme von Notlagenkrediten. Der Bundesrechnungshof sieht das auch so.

Als rechtlich weitgehend unproblematisch betrachtet dagegen der Münchner Staatsrechtler Stefan Korioth die zur Abfederung der Energiekrise aufgestockte Kreditfinanzierung. Es sei eine gängige Praxis der Finanzverwaltung, dass eine Kreditermächtigung auf ein Haushaltsjahr gebucht, sie dann aber tatsächlich zur Inanspruchnahme der genehmigten Mittel erst in einem Folgejahr genutzt werde, sagte er dem Tagesspiegel.

Nach dem Stabilisierungsfondsgesetz sei die einschlägige Kreditermächtigung in Höhe von 200 Milliarden Euro auf das Jahr 2022 begrenzt. Sie werde auch auf die Schuldenregel angerechnet. „Damit ist dem Prinzip der Jährlichkeit Genüge getan“, lautet Korioths Einschätzung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false