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Außenministerin Annalena Baerbock im Gespräch mit ihrem US-Amtskollegen  Antony J. Blinken.

© dpa/Sina Schuldt

Umfrage zur deutschen Außenpolitik: Mehrheit wünscht sich größere Zurückhaltung in Krisen

Wie sehen die Deutschen die Außenpolitik ihres Landes? Eine Erhebung der Körber-Stiftung zeigt den Wunsch nach Diplomatie – aber auch nach mehr militärischer Unterstützung für die Ukraine.

Von Christopher Schade

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat auf dem „Berliner Forum Außenpolitik“ der Körber-Stiftung dafür geworben, sich außenpolitischen Krisen trotz ihrer Härte nicht zu verschließen. Insbesondere „nachts, wenn man sich Videos anschaut“, seien die Krisen, die die Welt umgeben „kaum zu ertragen“.

Aus diesem Gefühl der Hilflosigkeit lasse sich der „Drang zur vermeintlich einfachen Parole“ vielleicht erklären, sagte sie. „Dazu, einseitig Stellung zu beziehen, das Leid des anderen auszublenden, sich dem universellen Blick auf die Not insbesondere des anderen zu verschließen.“

Wie denken die Deutschen über Außenpolitik? Das untersucht regelmäßig die Körber-Stiftung in ihrer Studie „The Berlin Pulse“. Am Montag stellte die Stiftung ihre jüngsten Zahlen vor. Dazu wurden im September 1057 Wahlberechtigte in Deutschland repräsentativ befragt.

Die Deutschen sind demnach mehrheitlich der Ansicht, dass Deutschlands Einfluss in der Welt in den vergangenen zwei Jahren zurückgegangen ist: 57 Prozent stimmen dem zu, 30 Prozent sehen keinen Unterschied, nur elf Prozent attestieren Deutschland eine wichtigere Rolle als noch vor zwei Jahren.

Gleichzeitig wünscht sich mehr als die Hälfte der Deutschen (54 Prozent), dass sich das Land in internationalen Krisen künftig mehr zurückhält. Lediglich etwa jeder Dritte (38 Prozent) wünscht sich der Erhebung zufolge mehr außenpolitisches Engagement – das war der niedrigste Wert seit dem Start der „The Berlin-Pulse“-Umfragen im Jahr 2017.

Die Deutschen fühlen sich traditionell unwohl, eine militärische Führungsrolle einzunehmen.

Studienautorin Julia Ganter von der Körber-Stiftung

76 Prozent möchten dabei vor allem auf Diplomatie setzen. Nur zwölf Prozent setzen in erster Linie auf mehr militärisches und neun Prozent auf mehr finanzielles Engagement. Zudem lehnen 71 Prozent eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa ab. Dafür bekennen sich aber 72 Prozent zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato oder möchten sogar noch mehr in die Verteidigung investieren.

Wie passt das zusammen? „Die Deutschen fühlen sich traditionell unwohl, eine militärische Führungsrolle einzunehmen. Dennoch wird die Notwendigkeit der eigenen Verteidigungsfähigkeit stärker wahrgenommen“, erklärt Julia Ganter, Autorin der Studie, die Ergebnisse.

Liebesgrüße nach Moskau nur von Rechtsaußen

Das wichtigste außenpolitische Thema für die Befragten ist der anhaltende Krieg in der Ukraine: 41 Prozent zählen ihn zu den derzeit größten Herausforderungen. Darauf folgen mit großem Abstand die Beziehungen zu Asien, insbesondere China (elf Prozent), Flüchtlinge und Migration (zehn Prozent) und der Klimawandel (neun Prozent). Zu beachten ist, dass die Befragung vor dem Wiederaufflammen des Nahostkonflikts durchgeführt wurde, sodass dieser für die Befragten noch kein großes Thema war.

66 Prozent möchten die Ukraine weiterhin militärisch unterstützen. Die Befürworter von Waffenlieferungen haben dabei unterschiedliche Zielvorstellungen: 54 Prozent wollen, dass die Ukraine die von Russland besetzten Gebiete zurückerobern kann, 41 Prozent geht es darum, einen weiteren russischen Vormarsch zu verhindern.

Studienautor Jonathan Lehrer sagt: „Die Zurückhaltung des Bundeskanzlers bezüglich Waffenlieferungen lässt sich weniger mit der öffentlichen Meinung rechtfertigen als angenommen.“

76 Prozent
der befragten AfD-Anhänger möchten die Ukraine nicht mehr militärisch unterstützen.

Die deutsch-russischen Beziehungen sind auf einem Tiefstand, das Misstrauen gegenüber der russischen Führung ist groß: 86 Prozent der Befragten trauen ihr nicht. 76 Prozent nehmen Russland als militärische Bedrohung für Deutschland wahr. Um das verlorene Vertrauen wieder herzustellen, fordern 87 Prozent, dass sich Russland aus der Ukraine zurückzieht, 84 Prozent, dass Russland zu ernsthaften Friedensverhandlungen bereit ist und 79 Prozent, dass Wladimir Putin entmachtet wird.

AfD-Anhänger sehen das anders: 46 Prozent von ihnen vertrauen der russischen Regierung (im Vergleich zu zwölf Prozent aller Befragten). Außerdem möchten nur 24 Prozent von ihnen die Ukraine weiterhin militärisch unterstützen, 76 Prozent möchten das nicht.

Große Angst vor Donald Trump

Während Russland zum Feindbild für die meisten Deutschen geworden ist, bleiben die USA der wichtigste Partner für die deutsche Außenpolitik: 43 Prozent der Befragten sehen das so. Auf Platz zwei folgt mit einigem Abstand Frankreich mit 26 Prozent. 77 Prozent beschreiben das deutsch-amerikanische Verhältnis als „eher gut“ oder „sehr gut“.

Der Wert der transatlantischen Partnerschaft zeigt sich für 69 Prozent der Befragten beim gemeinsamen Umgang mit dem Krieg in der Ukraine. Zudem sind die USA für 65 Prozent ein wichtiger Partner bei der Förderung des freien Handels und für 59 Prozent beim Einsatz für die Demokratie in der Welt.

Im Umgang mit China sehen 47 Prozent die USA als Partner, 46 Prozent jedoch nicht. Beim Klimaschutz sehen sogar 68 Prozent die USA nicht als Partner an, 29 Prozent tun dies. Die Sorge, dass sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen schon bald wieder eintrüben könnten, sind groß: Bei einer Wiederwahl Donald Trumps ins US-Präsidentenamt befürchten 82 Prozent eine Verschlechterung der Beziehungen.

Ist China Rivale oder Partner?

Den wachsenden Einfluss Chinas beobachten die Deutschen mit Sorge: 62 Prozent bewerten den chinesischen Aufstieg als negativ und 49 Prozent sehen in China eine große wirtschaftliche Bedrohung für Deutschland. Aus diesem Grund befürworten 60 Prozent, dass deutsche Unternehmen ihre Abhängigkeit von China verringern, auch wenn das im Gegenzug Arbeitsplätze und Wachstum kostet.

49 Prozent sehen China als wirtschaftlichen Wettbewerber, 35 Prozent sogar als Rivalen und nur 13 Prozent als Partner. Bei anderen Schwellenländern zeigt sich ein anderes Bild: 51 Prozent sehen es positiv, wenn in Zukunft Länder wie Brasilien, Indien und Südafrika international an Einfluss gewinnen, 17 Prozent stehen dem negativ gegenüber.

Eine positive Nachricht: 82 Prozent der Deutschen sind davon überzeugt, dass demokratische Regierungen globale Herausforderungen wie Pandemien, den Klimawandel oder militärische Konflikte besser bewältigen können als nicht-demokratische Regierungen.

Baerbock sagte in Berlin, sie besorge die „Ruchlosigkeit“, die sich auszubreiten scheine. Sie nannte die Terrortaten der Hamas und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. „Es scheint einen gemeinsamen Nenner dieser Akteure zu geben: die Erwartung, dass es keine internationale Ordnung gibt, in der Ruchlosigkeit, in der Regelbrüche sanktioniert werden“, sagte sie. Dagegen müsse man angehen.

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